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       # taz.de -- Positionspapier zum Profifußball: Eiserne Revolution
       
       > Der Fußballzweitligist 1. FC Union Berlin will nicht nur aufsteigen, er
       > fordert auch eine soziale Ausrichtung der Bundesliga. Unrealistisch ist
       > das nicht.
       
   IMG Bild: Fans verschaffen sich Gehör. Wenn es nach Union geht, werden ihre Forderungen erfüllt
       
       In der Bundesliga-Saison 2024/2025 wird der FC Bayern in letzter Sekunde
       bekannt gegeben haben, ein gescheitertes Real-Talent nicht zu verpflichten.
       Denn der junge Mann verlange einfach zu viel Geld, und die
       Gehaltsobergrenze der Bundesliga mache so ein Geschäft unmöglich. Leihen
       können die Bayern ihn auch nicht, denn das Leihgeschäft wird begrenzt sein,
       und München hat schon jetzt zu viele Spieler geparkt.
       
       Dank der ligaweiten stufenlosen Verteilung der TV-Erlöse wird der Meister
       2024 zudem nicht Bayern, sondern Mönchengladbach heißen – knapp vor Hertha,
       Augsburg und Dortmund. Im internationalen Geschäft wird kein deutscher Klub
       über die Vorrunde hinauskommen. Aufgrund der drastisch gestiegenen
       Ausbildungsentschädigungen aber wird es dafür der MSV Duisburg zurück in
       die Bundesliga geschafft haben. Und weil es ja keine Montagsspiele mehr
       geben wird, strömen die Zuschauer in die Arenen, während die ständigen
       Fanvertreter in den DFL-Gremien moderate Ticketpreise und gemeinsame
       Sicherheitskonzepte ausgehandelt haben werden.
       
       Das ist keine wilde Träumerei aufsässiger Ultras und auch nicht das
       Drehbuch zum persönlichen Horrorfilm Kalle Rummenigges, sondern tatsächlich
       das Szenario eines Positionspapiers, das der Zweitligist Union Berlin
       vergangene Woche zur Reform des deutschen Fußballs veröffentlicht hat. Die
       Berliner wollen nicht nur aufsteigen, sondern auch gleich die Bundesliga
       reformieren.
       
       Fehlender nationaler Wettbewerb, fehlende Erfolgschancen für kleine
       Vereine, Entfremdung und Marginalisierung von Fans, solcherlei konstatiert
       Union dort zunächst. Die Erkenntnisse sind wahrlich nicht neu. Die
       geforderten Konsequenzen von Seiten eines Profivereins sind aber beinahe
       revolutionär: „Die Diskussion über Veränderungen im deutschen Fußball
       sollten wir nicht auf personelle und strukturelle Aspekte beschränken,
       sondern uns auch damit auseinandersetzen, in welche Richtung wir künftig
       gehen wollen“, lässt sich Union-Präsident Dirk Zingler zitieren.
       
       Neben weitreichenden Reformen – Gehaltsobergrenze, stufenlose Verteilung
       der TV-Gelder, Begrenzung des Leihgeschäfts, höhere
       Ausbildungsentschädigung, fanfreundliche Politik mit und von Fans – hat
       Union natürlich auch sich selbst nicht vergessen: Die ersten drei Ligen
       sollen künftig 20 Teilnehmer haben, die Aufsteiger hinter dem Meister in
       Play-offs ermittelt werden. Profitieren würde davon gewiss im Zweifelsfall
       Union. Drohende Überbelastung der Spieler und Aufstiegslotterie lässt die
       Vereinsführung sicherheitshalber ungenannt.
       
       ## So viel Fanproteste gab es nie
       
       Die oberflächlichen, wenig systemkritischen Punkte haben bislang die meiste
       Resonanz hervorgerufen. Vor allem über die 20er-Bundesliga und
       Aufstiegskonzepte dürfte (erneut) diskutiert werden. Aber es wäre
       ungerecht, die anderen Vorschläge nur als PR-Träume eines Zweitligisten
       abzustempeln.
       
       Das Papier ist Teil einer größeren Entwicklung, die unerwartet an Fahrt
       gewinnt: Noch nie haben Fans so dauerhaft und grundsätzlich für einen
       besseren, gerechteren, partizipativeren Fußball demonstriert wie seit rund
       einem Jahr. Die 50+1-Regel wurde im Frühjahr entgegen vielen Erwartungen
       gehalten – mit besonderer Bedeutung des FC St. Pauli. Die Fifa hat eine
       Task Force für faireren Wettbewerb gegründet, die DFL will sich
       reformieren, und jetzt fordert sogar ein Profiverein eine soziale
       Bundesliga. Gedanken, die lange Zeit nur in der Nische am Stammtisch
       stattfanden, haben es auch aufgrund des wirtschaftlichen Drucks in die
       Mitte des Fußballs geschafft. Das wird Konsequenzen haben.
       
       Realistisch sind zunächst nur kleine Korrekturen. Vorschläge wie die
       Gehaltsobergrenze und die stufenlose Verteilung der TV-Gelder sind
       vielfältig angreifbar, noch unausgegoren, und für beide findet sich im
       deutschen Profifußball derzeit sicher keine Mehrheit. Aber die
       Unterstützergruppen für solcherlei Ideen dürften weiter wachsen.
       
       Etwas kurios ist es allerdings doch, dass Union jetzt Revoluzzer spielt.
       Noch im vergangenen Jahr flirtete Dirk Zingler öffentlich damit, einen
       Investor an Bord zu holen, und betonte, es gebe im Verein „keine
       Denkverbote“. Ein Jahr später klingt das völlig anders.
       
       8 Oct 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Alina Schwermer
       
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