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       # taz.de -- Petros Markaris' Krimi „Die drei Grazien“: Der Chronist der Misere
       
       > Er ist Griechenlands bekanntester Krimiautor. Petros Markaris' elfter
       > Kostas-Charitos-Roman ist beste Unterhaltung und politische Analyse.
       
   IMG Bild: Schräger Typ: Petros Markaris
       
       Imam Bayildi mit epirotischen Auberginen, Lauchpitta oder Bauernsalat –
       dieses Mal speist Kommissar Kostas Charitos besonders oft und genüsslich.
       Kein Wunder, wir dürfen ihn gleich zu Beginn von „Die drei Grazien“, Petros
       Markaris’ gerade erschienenem elften Charitos-Roman, ausnahmsweise in die
       Ferien begleiten.
       
       Die titelgebenden Damen, die Markaris Hauptfigur Charitos im griechischen
       Spätsommer trifft, sind allesamt im Rentenalter. Und das ist, entsprechend
       der nationalen Ruhestandsregelung, nicht sonderlich betagt. Adriani,
       Gattin des Kriminalers Kostas Charitos, hat sie aufgetan, und fortan läuft
       ohne deren Begleitung im Urlaub gar nichts. Schon gar keine Besuche von
       Kafenions oder Tavernen.
       
       Anhänglich und neugierig, wie das Trio ist, reißt dieser im kühlen
       September im Epirus geknüpfte Faden nicht ab. Auch nicht, als alle wieder
       zurück in Athen sind und Charitos es bald mit einem neuen, übermäßig an
       Gerechtigkeit interessierten Mörder zu tun hat. Es bleibt nicht bei
       gegenseitigen Essenseinladung. Und nicht bei einem Mord.
       
       Dieses Mal sind die Opfer griechische Universitätsprofessoren, die in die
       Politik gegangen sind. Und auch solche, die zurückkehren an die Alma Mater,
       so die Partei und das Amt sie nicht mehr nähren. Das erste Opfer, so
       beschreibt es Markaris, hatte schon vor der politisch aktiven Zeit gerne
       das Scheinwerferlicht gesucht und „seine Zeit und seine Kenntnisse in
       Facebook, Twitter und Zeitungsartikel investiert“.
       
       Wer nun an den Ökonomen Yanis Varoufakis denkt, der 2015 ein knappes halbes
       Jahr lang griechischer Finanzminister war, liegt nicht ganz falsch.
       Markaris, Griechenlands bedeutendster Autor, der seine letzten vier Romane
       der Finanzkrise und ihren Auswirkungen auf die Gesellschaft gewidmet hat,
       macht seinen Kommissar erneut zum Chronisten der griechischen Misere.
       
       ## Die Folgen des Kabinetts Tsipras
       
       In diesem Fall geht es weniger ums große Ganze als um die Folgen des
       Kabinetts Tsipras für die maroden Bildungsinstitutionen des Landes:
       Gleich mehrere Minister der Syriza-Regierung stammen aus der
       Professorenschaft, den Studenten fehlen nun die Dozenten.
       
       Markaris, der 1937 als Sohn eines Armeniers und einer Griechin in Istanbul
       geboren wurde und in Wien die Universität besuchte, nennt nicht die
       tatsächlich aus der Politik bekannten Namen. Ihm genügen Andeutungen,
       Berufsbezeichnungen; die Figuren gestaltet er verfremdet aus.
       
       Markaris’ Herz schlägt seit jeher für die „einfache“ Bevölkerung, ohne dass
       er dabei jemals ins Horn des Populismus gestoßen hätte. Als der griechische
       Filmregisseur Theodoros Angelopoulos in den 1970ern für ein Szenario einen
       Kenner der Werke Bertolt Brechts suchte, brachte ihn dies mit Markaris
       zusammen. Markaris übersetzte damals schon neben seiner Tätigkeit für einen
       Zementkonzern deutsche Gegenwartsautoren, aber auch Brecht und Johann
       Wolfgang Goethe ins Neugriechische. Mit einem Theaterstück gegen die
       griechische Obristen-Diktatur hatte er zudem für Furore gesorgt. Und Dank
       der Koautorenschaft für Filme von Angelopoulus konnte er sich als
       Exportleiter aus der Zementbranche so langsam verabschieden.
       
       ## Tempo eines Kleinwagens
       
       Spuren dieser Zusammenarbeit, die mit dem Tod von Angelopoulos im Jahr 2012
       endete, finden sich bis heute im Schreiben von Markaris. Seine Krimis sind
       detailverliebt, an dem Miteinander der Figuren interessiert und
       konzentrieren sich dabei meist auf das Sicht- und Hörbare, wie dies auch
       Drehbücher auszeichnet. Das Tempo des Geschehens überschreitet dadurch
       niemals das des Kleinwagens, den der Kommissar unermüdlich durch die
       verstopften Athener Straßen steuert. Da bleibt viel Zeit, um nachzudenken
       und in die von Markaris entworfene Atmosphäre einzutauchen.
       
       Charitos ist diesmal noch häufiger als gewohnt unterwegs. Denn sein Chef
       Gikas hat sich in den Ruhestand verabschiedet – überraschend hat er zuvor
       noch ein Wort für seinen eigenwilligen Untergebenen eingelegt. Da bietet
       sich Charitos tatsächlich nochmal eine Karrierechance. Die muss allerdings
       mit diversen persönlichen Besuchen bei Polizeipräsident und Innenminister,
       die über den brisanten Fall auf dem Laufenden gehalten werden wollen, teuer
       bezahlt werden.
       
       Ob sich die Mühe für den kantigen Kommissar gelohnt hat und Freunde und
       Familie von Charitos sich sogar noch vor der Geburt des ersten Enkelkinds
       anlässlich der Beförderung zum Festschmaus treffen können, erfahren wir
       dann hoffentlich im nächsten Fall. Gegangen übrigens ist Gikas erst, als er
       das neu festgesetzte Rentenalter in Griechenland fast erreicht hat.
       Immerhin, es tut sich was in Griechenland.
       
       7 Oct 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Christiane Müller-Lobeck
       
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