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       # taz.de -- Präsidentschaftswahl in Kamerun: Die Jungen und der Alte
       
       > Kameruns 85-jähriger Präsident Paul Biya steht vor seiner siebten
       > Amtszeit. An Wandel glaubt die Jugend nicht. Schweigen will sie auch
       > nicht.
       
   IMG Bild: Wählerin Stéphanie Nguea mit ihrer selbstgemalten Wahlwerbung „Je Vote Cabral“
       
       YAOUNDÉ taz | Seit einer Stunde haben die Wahllokale geöffnet, doch in den
       vier Urnen im Lycée Elig-Essono im Zentrum der Hauptstadt Yaoundé liegen
       nur ganz wenige Stimmzettel. „Die meisten Menschen hier gehen zuerst in den
       Gottesdienst und danach ins Wahllokal“, versucht ein Büroleiter eine
       Erklärung.
       
       Er hat genügend Zeit für ein ausgedehntes Gespräch. Und er sucht auch nach
       Begründungen, warum bisher vor allem ältere Menschen ihre Stimme abgegeben
       haben. „Die Jugend hat sich gestern wohl verausgabt und schläft heute
       noch.“
       
       Gestern – damit meint der Wahlleiter die Kundgebung am Samstag auf dem
       Vorplatz des Ahmadou-Ahidjo-Stadions. Den Präsidentschaftskandidaten Cabral
       Libii, auf den seine Anhänger schon am Mittag warten, nennen kamerunische
       Medien manchmal nur „Benjamin“ – er ist 38 Jahre alt und der jüngste
       Mitbewerber um die Präsidentschaft, die seit 1982 in Kamerun der
       mittlerweile 85-jährige Paul Biya innehat.
       
       Professionell gestaltete Flyer werben in der ganzen Hauptstadt, vor allem
       aber in sozialen Netzwerken für Cabral Libii, ein kleiner Unterstützerchor
       übt seine Wahlkampfhymne. Was auf Französisch Schwung hat, holpert auf
       Englisch noch ziemlich. Nach und nach füllt sich der Platz. Die
       Organisatoren drehen die Lautsprecher auf, das Vorprogramm erinnert an ein
       Popkonzert. Die Fans warten auf ihren Star.
       
       ## „Es muss etwas für die Frauen passieren“
       
       Stéphanie Nguea ist mit einem Plakat für Libii gekommen. „Mein Sohn hat es
       gemacht“, sagt sie und zeigt auf die drei schlichten weißen
       Kreidebuchstaben JVC – „Je vote Cabral“, ich wähle Cabral. Gegen den Lärm
       der Menge muss die Mutter von vier Kindern fast anschreien. „Es muss etwas
       für die Frauen im Land passieren. Die tragen die ganze Last“, ruft sie.
       
       Um sie herum hat sich eine Menschentraube gebildet, die gespannt zuhört.
       Was Stéphanie Nguea am meisten nervt: „Unsere Herrscher sagen uns immer,
       dass man erst einmal viel leiden muss, um dann etwas zu erreichen. Und wenn
       man das nicht will, dann braucht man ein Adressbuch voller Kontakte.“
       
       In Kamerun lebt knapp jeder Vierte unterhalb der Armutsgrenze und hat
       weniger als 1,90 US-Dollar täglich zur Verfügung. 62 Prozent der
       Bevölkerung sind unter 25 Jahre alt. 25 Prozent der über 15-Jährigen können
       nicht lesen und schreiben. Zwar, so sagt Nguea, seien viele junge Menschen
       zur Schule, ja zur Universität gegangen. Doch ohne Beziehungen finden sie
       danach kaum Arbeit.
       
       In der Wirtschaftsmetropole Douala müssen sich sogar Hochschulabsolventen
       als Mopedtaxi-Fahrer durchschlagen. Für all das hat Nguea einen Namen: „Ich
       will gar nicht sagen, dass es nur der Präsident ist. Das ist das ganze alte
       System.“
       
       Das alte System – das sind Präsident Paul Biya und seine ehemalige
       Staatspartei RDPC (Demokratische Sammlung des kamerunischen Volkes).
       Stéphanie Nguea war ein Jahr alt, als Biya 1982 an die Macht kam. Sie kennt
       kein anderes Kamerun.
       
       Cabral Libii – er hat als Juradozent an der Universität von Yaoundé sowie
       als Journalist gearbeitet – habe sich, ist sich die junge Frau sicher, zur
       Kandidatur entschieden, weil er die Probleme der Jungen kennt: die
       mangelnden Arbeitsplätze, die geringen Aufstiegschancen, das nicht
       existierende Sozialsystem. „Kamerun braucht so dringend den Wandel“, sagt
       Stéphanie Nguea und streckt ihr Plakat in den Himmel.
       
       ## „Die Jungen wollen den Wandel“
       
       Einer ist am Sonntagmorgen zeitig ins Wahllokal gekommen: Nkoto Ndoumbé
       sticht zwischen den anderen Wählern hervor. Er ist 27 Jahre alt, die Tinte
       an seinem rechten kleinen Finger ist noch feucht: das Zeichen dafür, dass
       er schon gewählt hat und nicht noch einmal abstimmen kann. „Mir ist diese
       Wahl sehr wichtig. Deshalb bin ich so früh wie möglich gekommen.“ Die
       wenigen anderen Wähler, die bereits da sind, bleiben stehen und hören ihm
       zu.
       
       Beim letzten Mal 2012 hat er auch gewählt, erzählt Nkoto Ndoumbé. „Diese
       Wahl heute ist aber viel wichtiger. Eins ist doch klar: Die Jungen wollen
       den Wandel.“
       
       Er spricht leise. Wahlkampf darf in den Wahllokalen nicht mehr betrieben
       werden. Doch auch ohne einen Namen zu nennen, wird er deutlich: „Wir Jungen
       sind in dieses System hineingeboren worden. Und das ist nicht zu ihren
       Gunsten.“
       
       Am Samstagnachmittag trinkt Philippe Sommapout nur wenige Straßen vom
       Ahmadou-Ahidjo-Stadion entfernt ein großes Kadji, ein kamerunisches Bier.
       Um den Plastiktisch herum sitzen drei seiner Freunde. Die Stimmung ist
       ausgelassen, die Bierflaschen der ersten und zweiten Runde längst leer.
       Auch hier dröhnt Musik aus den Lautsprechern.
       
       Die Kneipe am Straßenrand wirkt so wie Biyas Wahlkampfbüro: Überall hängen
       Plakate des Alten. Auch Sommapout hat sich aus dem festen Baumwollstoff,
       auf dem das Porträt des Präsidenten gedruckt ist, ein Hemd nähen lassen.
       Unterstützergruppen und die Regierungspartei RDPC haben in den vergangenen
       Tagen auch Tausende Biya-T-Shirts verteilt.
       
       Philippe Sommapout lehnt sich entspannt zurück, kippelt mit dem Stuhl und
       lächelt. Natürlich wird er wieder für den Präsidenten stimmen, und
       natürlich wird der wieder gewinnen.
       
       Wie zum Beweis zieht er seine Wählerkarte aus der Brusttasche seines Hemdes
       und sagt: „Ich habe mir die Wirklichkeit in unserem Land angesehen und
       danach meine Entscheidung getroffen. Unser Präsident, das ist die Zukunft.“
       Er sucht nach Beispielen: „Er hat jetzt hat 1.500 junge Leute rekrutiert,
       Soldaten in der Armee eingestellt. Überall im Land eröffnen Schulen.“
       
       ## Unruhe im anglophonen Landesteil
       
       Weniger klar ist Sommapouts Meinung zur [1][Krise im anglophonen
       Landesteil, wo 300.000 Menschen auf der Flucht sind]. Rebellen kämpfen für
       die Abspaltung des Landesteils, den sie „Ambazonien“ nennen. Bewohner
       werfen der Armee Menschenrechtsverletzungen vor.
       
       Das sei alles nicht gut, sagt Sommapout und zuckt mit den Schultern. Am
       Wahltag heißt es aus den beiden anglophonen Provinzen, dass die Stimmung
       extrem angespannt ist. Wahllokale öffnen erst Stunden später. Auf den
       Straßen sind nur Fahrzeuge von Armee und Polizei zu sehen. Schüsse fallen,
       aus der größten Stadt Bamenda werden drei Tote gemeldet.
       
       Doch nicht nur dort bleiben viele Menschen den Wahllokalen fern. In
       Kamerun, wo fast 25 Millionen Menschen leben, stehen lediglich knapp 6,6
       Millionen Menschen auf den Wählerlisten. Zum Vergleich: In Mali (17,8
       Millionen Einwohner) waren für die Wahlen im Juli gut 8 Millionen Wähler
       registriert.
       
       In Yaoundé heißt es, dass im Wählerregister überwiegend Biya-Unterstützer
       stehen. Dessen Partei hat als einzige im ganzen Land ein Netzwerk.
       
       Kurz bevor am späten Samstagnachmittag Cabral Libii wie ein römischer
       Gladiator auf einem Triumphwagen vor dem Stadion von Yaoundé Einzug hält,
       gibt dessen Anhängerin Stéphanie Nguea zu: „Ich kann morgen gar nicht
       wählen gehen. Ich bin gar nicht registriert.“
       
       Dieses Phänomen hat schon vor der Wahl Cosmas Cheka, Juraprofessor an der
       Universität von Yaoundé, beobachtet. „Die Jugendlichen sind
       enthusiastisch“, sagt er, „aber ich habe Bedenken: Die meisten, die in den
       Medien ihre Begeisterung zum Ausdruck bringen, stehen gar nicht im
       Wahlregister.“
       
       ## Viele sind gar nicht als Wähler registriert
       
       Im Laufe des Sonntagmorgens kommen ein paar mehr Wähler. Dennoch schüttelt
       am Lycée Elig-Essono ein Verantwortlicher den Kopf. Er deutet auf die
       lange, fast leere Sitzreihe neben Wahlkabine und Wahlurne.
       
       Dort müssten eigentlich Repräsentanten der neun Parteien sitzen. Das ist
       die offizielle Zahl. Der Rückzug des Oppositionellen Akere Muna zugunsten
       des anderen wichtigen Oppositionellen Maurice Kamto am Samstag kam zu spät:
       man kann ihn immer noch wählen.
       
       Niemand in Kamerun glaubt wirklich an freie und faire Wahlen, Biya hat eine
       mächtige Parteimaschine hinter sich, die Opposition ist nicht geeint. Auch
       Libiis Partei hat niemanden zur Beobachtung ins Lycée Elig-Essono
       geschickt.
       
       „Wenn ich mich an der Wahl beteilige, dann muss ich doch auch im Wahlbüro
       präsent sein“, mahnt der Wahlleiter. Aber niemand ist da, der ihm zuhören
       könnte.
       
       7 Oct 2018
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Wahlen-in-Kamerun/!5537696/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Katrin Gänsler
       
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