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       # taz.de -- Umzüge und Ikea: „Das ist schon eher ein Grauton“
       
       > Auf den Kundenbeauftragten bei Ikea achtet niemand. Er aber sieht alle.
       > Eine Kurzgeschichte aus dem schwedischen Möbelhaus.
       
   IMG Bild: Wie viele Umzüge wohl scheitern, die bei Ikea geplant werden?
       
       Ein Mann sitzt im Sessel, der Bezug aus blauem Samt. „Strandmon, 199 Euro“
       liest er auf dem Preisschild, das er vom Stuhlbein zieht und durch seine
       Hände gleiten lässt. Den Produktnamen spricht er leise aus – „Strand-mon“
       –, der Mann schüttelt den Kopf.
       
       Klar, er kennt die „Klippans“, „Ludvigs“ und „Billys“ bei Ikea. Er kennt
       die Kalauer und erst recht die Wahrheiten über sie: Couchtische sind nach
       schwedischen Orten benannt, Badezimmerartikel heißen wie Meeresbuchten oder
       Flüsse – und Gardinen so wie Frauen. Und dennoch, der Mann wendet das
       Schild: „Strandmon“ kommt ihm besonders bescheuert vor, mehr nach Reinfall
       als Einfall, soll wohl wieder nach Fernweh klingen. Nach Dünen und
       Sonnenuntergängen und Urlaubsprospekt.
       
       Der Mann schielt auf das Namensschild, das ihm am blau-gelben Schlüsselband
       um den Hals hängt. Ralph Konow, Kundenbeauftragter. Er denkt im Sessel
       jetzt an Ostseepromenaden und daran, wie er sich dort in den Hotels fühlt:
       auf ihren Fluren irgendwie zu klein. An ihren Buffets etwas zu groß.
       Eigentlich kommen sie ihm jedes Mal kalt und leer vor, im Hochsommer auch.
       
       Konow denkt: Ein Hotel in Zinnowitz ist ein Anzug, der nie sitzt. Er weiß
       noch, wie er einmal mit Liese in einem riesigen Frühstücksaal saß, auf
       Ohrensesseln wie diesem hier, Blümchentapete ringsum, und die anderen Gäste
       waren gar nicht viel älter als sie, aber allesamt haben sie geschwiegen.
       Alle, außer Liese und ihm. Bloß das Geklapper der Brötchenmesser war zu
       hören und das Aufklopfen der Eier; die Porzellanteller, die wer gestapelt
       hat. Dazu hing der Lachsgeruch schwer in der Luft. Konow schwört, er hat
       ihn noch in der Nase.
       
       Heute guckt er oft den jungen Paaren bei Ikea hinterher und stellt sich
       dabei vor, wie die mal später im Hotel in Zinnowitz sitzen. Ob sie dann zu
       den Schweigern gehören? Er sieht die Paare durch Musterküchen und
       Musterbäder laufen, an funktionslosen Armaturen spielen, in trockenen
       Keramikbecken tasten. Das sind ausstaffierte Beispielräume für ihre
       Zukunft, findet Konow – ihre Zukunft, die es vielleicht gar nicht gibt.
       
       Konow sieht schließlich ihre Berührungen. Wie sie sich flüchtig über ihre
       Funktionsjacken streichen, während sie vor einem Teflonherd stehen. Wie sie
       im Ikea-Restaurant nicht auf sich, sondern aus den Fenstern schauen. Zum
       Parkplatz, der jetzt wieder oft nass ist, zum McDonald’s nebenan. Konow ist
       die stille Aggression vertraut geworden, mit der hier Dunstabzüge
       verglichen und Tabletts mit Pommesresten von sich geschoben werden.
       
       Manchmal, wenn er überlegt, wie viele Umzüge auf diesen Etagen scheitern,
       die bei Ikea geplant werden sollten, lauscht er ihren Dialogen wie denen
       eines Dramoletts. „Du bist echt ’ne Superhilfe, weißt du das?“ „Hör doch
       auf mit dem Scheiß!“ Irgendwann kommt der Klassiker: „Das ist aber schon
       eher ein Grauton. Bist du sicher, dass der passt?“
       
       Manchmal legt er sich dann in der Matratzenabteilung auf ein Boxspringbett.
       Er lässt die Schuhe vom Rand baumeln und schiebt dabei den Gedanken weg,
       dass er ja arbeiten müsste. Sicher, wäre möglich, den Leuten jetzt sein
       iPad zu übergeben und sie Fragen zu ihrer Kundenzufriedenheit beantworten
       zu lassen, mit den glücklichen Smileys rechts und den traurigen Smileys
       links. Aber Fragen kriegen die Leute hier schon viele auf Plakaten
       gestellt, Du bist ein Nachtmensch? Du liebst dein Zuhause? Du hast deine
       IKEA FAMILY Karte verloren? Und seien wir ehrlich, auf Umfragen haben weder
       die Kunden noch Ralph Konow Lust.
       
       Über ihm also die Werbung für „Mitgliedsangebote“ und die Imperative im
       ewigen Du, „Nimm doch gleich alles mit“. Um ihn Federholzrahmen,
       Schaummatratzen, Matratzenschoner. Ein Kind, das schreit. Konow liegt und
       hört.
       
       „Du kannst das über die Federkernmatratze steuern.“
       
       „Geil, oder? Bequem?“ – „Ja, die ist sauweich.“ – „Geil, ’ne?“ – „Saugut.“
       – „Ist die geil oder nicht geil?“ – „Geil.“ – Oder ist die zu weich?“ –
       „Die ist weich, ja.“ – „Ich mag ja weich.“ – „Die ist richtig weich.“ –
       „Oah ja, die ist gut.“ – „Die ist geil.“
       
       Konow denkt: Wie hätte er das Liese erzählt? „Strandmon und geile
       Federkernmatratze, 199 Euro“, vielleicht so?, murmelt er und grinst. Mit
       der Linken fährt er über den Samt der Armlehne. Konow überlegt, ob er einen
       Stock tiefer soll, ein bisschen durch das Lager schlendern, wo sich Vasen
       an Auflaufformen an Brotkästen reihen und kurz vor den Kassen in die
       Einkaufswägen noch Pflanzen gehoben werden, die sich nicht halten. Aber
       dann findet der Mann, Ralph Konow, Kundenbeauftragter, dass er hier gut
       noch eine Weile so sitzt.
       
       20 Oct 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Annabelle Seubert
       
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