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       # taz.de -- Wohnungslose EU-BürgerInnen: Sie haben ein Recht auf Hilfe
       
       > Mit neuen Angeboten reagiert der Senat auf die wachsende Zahl von
       > EU-BürgerInnen unter Berlins Wohnungslosen.
       
   IMG Bild: Berlins Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Linke) bei einer Bustour mit JournalistInnen zu Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe am 10.10.18
       
       Das Gesicht der Armut verändert sich – und das nicht erst seit gestern. In
       den Notübernachtungen und Beratungsstellen der Wohnungslosenhilfe tauchen
       seit Jahren immer mehr Menschen aus anderen EU-Ländern auf, oft sind es
       ganze Familien. Doch bislang sind die Hilfsangebote der Stadt darauf kaum
       eingestellt. „Armut wird international“, sagte Sozialsenatorin Elke
       Breitenbach (Linke) bei einer Busrundfahrt zu Projekten der
       Wohnungslosenhilfe, die am Mittwoch anlässlich der Zweiten
       Strategiekonferenz gegen Wohnungslosigkeit (siehe Kasten)stattfand. „Darum
       brauchen wir eine interkulturelle Öffnung der Wohnungslosenhilfe.“
       
       Erste Folge dieser Erkenntnis ist ein neues Projekt namens TRIA von
       Caritas, Stadtmission und Gebewo, das auf wohnungslose EU-BürgerInnen
       zugeschnitten ist. Sie werden von mehrsprachigen SozialarbeiterInnen
       (Englisch, Polnisch, Bulgarisch, Rumänisch, Russisch) angesprochen – sowohl
       an den Orten, wo sie sich aufhalten, etwa in Notübernachtungen der
       Kältehilfe, in Suppenküchen, bei der Bahnhofsmission oder der
       Hygienestation, als auch in der neuen Beratungsstelle in der Neuköllner
       Hobrechtsstraße.
       
       Neben der Versorgung mit dem akut Nötigsten wird in Einzelgesprächen
       geklärt, welche Perspektiven die jeweilige Person hat und ob eine
       Vermittlung in die staatliche Regelversorgung möglich ist. Denn viele
       weiterführende Hilfen wie Arbeitslosengeld II oder eine Krankenversicherung
       sind Nichtdeutschen zunächst oft nicht zugänglich. „Aber eine individuelle
       Beratung ist immer hilfreich, da sind viel mehr Sachen möglich, als man
       zunächst denkt“, erklärte TRIA-Leiter Kai-Gerrit Venske. Das im August
       gestartete Projekt wird vom Senat mit jährlich 300.000 Euro aus dem
       Integrierten Sozialprogramm (ISP) finanziert.
       
       Bislang werden wohnungslose EU-BürgerInnen in Berlin nur von dem Projekt
       „Frostschutzengel Plus“ betreut, das seit 2013 ähnlich wie TRIA arbeitet.
       Allerdings sind die Frostschutzengel kein Senatsprojekt. Sie wurden anfangs
       über Stiftungsgelder und Eigenmittel des Trägers bezahlt; seit Anfang 2017
       kommt das Geld vom Europäischen Hilfsfonds für die am stärksten
       benachteiligten Personen in Deutschland (EHAP) – dies aber nur noch für
       zwei Jahre. Diese Finanzierung lege den Frostschutzengeln zudem
       Begrenzungen auf, erklärte Venske. So dürften die BeraterInnen nicht in
       Richtung Integration in Arbeit vermitteln.
       
       ## Intensiv-Clearing verspricht Erfolge
       
       Hier setzt TRIA an. So können in einem Teilprojekt nun acht Wohnungslose
       für acht Wochen in einer Art WG der Stadtmission in der Lehrter Straße
       untergebracht werden. Dort versuchen BeraterInnen, sie mittels eines
       Intensiv-Clearings wieder auf die Beine zu stellen – offenbar mit großem
       Erfolg.
       
       Im „ersten Durchgang“ habe man bei fast allen substanzielle Verbesserungen
       erreichen können, so Venske. Für einen habe man einen Wohnheimplatz
       organisiert, einem anderen eine Arbeitsstelle verschafft, ein dritter habe
       Anrecht auf Arbeitslosengeld I gehabt.
       
       Dass der Senat nun Geld für eine Beratungsstelle speziell für
       EU-BürgerInnen gibt, wissen die Träger zu schätzen. Früher, so
       Gebewo-Sprecher Robert Veltmann, habe man nicht einmal darüber reden
       dürfen, dass immer mehr Polen in die Notschlafstellen kämen. Die Träger
       hätten Angst gehabt, dass ihnen die Mittel gestrichen würden, wenn sie
       dieser Clientel helfen. „Heute suchen wir gemeinsam nach Lösungen.“
       
       Manchmal ist es aber doch (noch) eher ein Gegeneinander. So würden sich
       Bezirke immer wieder weigern, obdachlose EU-BürgerInnen in ihren Wohnheimen
       unterzubringen, berichtet Veltmann. Eigentlich sind sie dazu nach dem
       Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetz verpflichtet. „Aber da müssen
       wir immer wieder mit dem Anwalt kommen.“
       
       10 Oct 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Susanne Memarnia
       
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