# taz.de -- Kolumne Buchmessern: Ein Klecks als kleine Kathedrale
> Auf dem Frankfurter Messegelände gibt es ein neues Wahrzeichen. Man hört
> Auftritte von Autoren, lauscht der Krisenstimmung der Buchbranche.
IMG Bild: Für Begeisterung sorgt der neue Frankfurter Pavillon auf der Buchmesse spätesten von innen
Das neue Wahrzeichen der Buchmesse sieht von oben betrachtet aus wie ein
Klecks Sahne oder ein Baiserhäubchen. Einen ikonischen Bau nennen es die
Veranstalter. Mickrig sei es, ein Kuhfladen geradezu, lästern die
Fachbesucher, die am Vormittag, auf Laufbändern fahrend, von oben auf den
„Frankfurt Pavilion“ herunterschauen.
Warum das konservative Gemoser, wo doch triste Messearchitektur die
Szenerie beherrscht – Sperrholz-Verrichtungsboxen für Kundengespräche
plus angeschlossenen Kaffeebars? Da ist die weiße Schnecke doch mal eine
Variation? Doch im 70. Jahr der Buchmesse haben die angereisten
Fachbesucher wohl andere Sorgen: Die Kleinen stöhnen unter gestiegenen
Eintrittspreisen und zusammengesparten Serviceleistungen, einige sind gar
nicht mehr gekommen.
Der Rest der Branche pflegt Krisenstimmung. Im Vergleich zu der
Wirtshausschlägereiatmosphäre von 2017, die sich an der Präsenz rechter
Verlage entzündete, ist die Stimmung dieses Jahr leiser, besorgter: Was
bedeuten die personellen Umbrüche bei Rowohlt wirklich? Geht es Fischer
echt so schlecht, dass sie keinen Empfang mehr ausrichten können?
## Das Wetter ist traumhaft
Am taz-Stand in Halle 4.1 ist man auch nicht gut zu sprechen auf den
„Frankfurt Pavilion“. Um ihn nicht zu überstrahlen, sei der taz verboten
worden, den eigens für Regen angefertigten roten Minipavillon aufzubauen.
Zum Glück ist das Wetter traumhaft. Alle sitzen mittags draußen, essen
Burger – und einige spült es dann doch aus Neugierde in den „Pavilion“.
Eine Schülergruppe bewundert die wie eine Doppelhelix sich zur Decke
hinaufschraubenden Holzbalken, einer legt sich in die bücherregalartigen
Querstreben hinein, ohne dass ihn jemand verscheucht. „Ein schöner Messebau
– geht doch!“, ruft ein Robert-Seethaler-Fan aus, der schon eine
Viertelstunde vor der Lesung des österreichischen Bestsellerautors Platz
genommen hat. Als Seethaler aus seinem Roman „Das Feld“ über das Sterben
und die Liebe liest und sich bockig, aber charmant den Fragen des
Moderators entzieht, wird seine Stimme weit durch den Raum getragen.
Als kleine Kathedrale der Begeistung funktioniert der Klecks also bestens.
Schade, dass das Programm – Eröffnungs- und Buchpreisrede, dazwischen eine
Diskussion über Südostasien, ein CEO-Talk und eben Seethaler – so
beliebig ist. Da sind aber noch die anderen Bühnen – etwa das jurtige
Lesezelt, in dem man einer Feminismusdiskussion mit Bascha Mika beiwohnen
kann. Und dann bemerkt, wie immer mehr Männer in dunklen Anzügen mit Knopf
im Ohr hereinströmen.
## Unterwerfung des Abendlands
Auftritt Thilo Sarrazin. Der SPD-Politiker behauptet: „Hätte meine Partei
auf mich gehört, gäbe es heute keine AfD im Deutschen Bundestag.“ Dann
liest er aus seiner neuen islamophoben Kampfschrift „Feindliche Übernahme“.
Besser gesagt: Er stottert sich, den Blick aufs Manuskript geheftet, im
Stehen durch seine selbst gebastelte Koranauslegung. Demografische
„Sprengkraft“, Unterwerfung des Abendlands, die ganze Packung. Die Reihen
lichten sich schnell.
Die echten Rechten sitzen derweil in Halle 4.1., verbannt in eine Sackgasse
– oder haben sich mittels eines Tarnkäppchens wieder mitten reingesetzt in
die Szene, so wie Götz Kubitschek, der seinen Anthaios-Verlag verkauft und
in „Loci“ umbenannt hat, worüber viel getuschelt wird in den Gängen.
Ab Nachmittag nimmt das Tuscheln überhand. Wer darf mit zum Kritikerempfang
bei Suhrkamp? Müsste man nicht eher zu Rowohlt dieses Jahr, da soll es
gerüchteweise eine Enthüllung geben?
In der Unseld-Villa im Westend gelandet, bereut man die
Traditionsentscheidung nicht. Der Weißwein ist gut, der Garten herrlich.
Und unversehens findet man sich in Unselds privatem Arbeitszimmer wieder.
Der Schreibtisch ist unberührt, drei wuchtige Diktiergeräte stehen darauf
und eine kleine Elefantensammlung – das waren seine Krafttiere, wie
Cheflektor Raimund Fellinger, selbst Suhrkamp-Legende, erzählt. Erstaunlich
banal. Unten im Keller, direkt neben dem Klo, lagern in einem Regal
sämtliche Werke von Ursula Unseld-Berkéwicz … direkt daneben ein Foto von
Marilyn Monroe, Joyce lesend, vollkommenes Unverständnis im Blick.
11 Oct 2018
## AUTOREN
DIR Nina Apin
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