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       # taz.de -- Die Wahrheit: In Bayern gehn die Ampeln anders
       
       > Nach der bayerischen Landtagswahl tritt in dem eigensinnigen Freistaat
       > eine brandneue Verkehrsordnung in Kraft.
       
   IMG Bild: Klerikales Ampelmännchen mit Weihrauchfass: Die letzte rot leuchtende Signalanlage wurde an einer Kreuzung in München abgebaut
       
       Wer wird wo ein- und ausgewechselt? Und was macht eigentlich Jogi Löw? Auf
       diese zentralen Fragen lässt sich das Debakel der Bayernwahl, das in eine
       satte, rund sechzigprozentige Mehrheit für Parteien rechts der Mitte
       führte, fesch zusammenschnurren. Klar ist nur eins: Auch wenn Kevin
       Kühnert, der fast vollmondgesichtige Chef der Jusos, „keine Lust mehr auf
       Floskeln hat“, ist „die SPD am Scheideweg“ (Kühnert). Sie wird an dieser
       zugigen Rufbushaltestelle lange noch im meist einstelligen Bereich
       verweilen und niemandem und nichts dienen, schon gar nicht sich selbst.
       Oder wie Markus Söder, nicht so recht platzend vor demütiger CSU-Reue nach
       Schließung der bayerischen Wahlzelte sonntags spät einräumte: „Ich sag
       ihnen das sehr offen: Der eine oder andere ist verärgert.“
       
       Kommen wir aber zum Wesentlichen, abgesehen von der Frage, was
       Mannschaftstrainer Jogi Löw jetzt eigentlich macht. Und ganz abgesehen von
       der Frage, wie die munter dirndlnden bayerischen Grünen nun in
       bundesdeutscher wie freistaatlicher Zukunft mit der „Verantwortung für die
       Schöpfung, ich sag es mal im christlichen Jargon“ (Katrin Göring-Eckardt)
       umspringen werden. Bock, eine linksliberale Ersatz-„Volkspartei“ zu werden,
       haben sie gerade nicht, so Grünenchef Robert Habeck live aus München am
       Wahlabend. Söder bräsig hätte insgeheim sicher Bock auf die Grünen, er muss
       aber nun ziemlich sehr sicher mit der unsexy und undefinierbaren Partei
       Freie Wähler und ihrem niederbayerischen Obergschaftlhuber Hubert Aiwanger
       in die Koalitionsschachtel, schlechte Lüftlmalerei unter der Decke
       inklusive.
       
       ## Rot hat ausgedient
       
       Kommen wir jetzt aber wirklich und wahrhaftig zum Wesentlichen: Im gesamten
       größten „westlichen Flächenland“, wie es der Nachfolger-Uli Deppendorf der
       ARD, Wahlpatenonkel Jörg Schönenborn gern bezeichnet, gehen seit heute früh
       gesamtbayerischer Ortszeit sechs Uhr sämtlich alle Verkehrsampeln in Stadt
       und zubetoniertem Land anders. „Rot hat als Farbe der Warnung und des
       Innehaltens, besser gesagt Anhaltens, ausgedient. Wer nur noch 9 Komma 7
       Prozent der Wählerstimmen einsammelt, der kann nicht erwarten, dass er
       weiterhin als warnende Leitfarbe im Verkehr zum Einsatz kommt“, so die noch
       waltende bayerische Verkehrsministerin und stellvertretende
       Ministerpräsidentin Ilse Aigner. Letzeren Job hat die stets aufgeräumte
       Aignerin anscheinend bis jetzt nicht dazu genutzt, in der CSU links von
       Söder Truppen zu sammeln, weshalb arg viel so bleiben wird wie es ist im
       schönen Bayern, außer eben der farblich seit heute anders blinkenden
       Ampeln.
       
       Die 96 Kreisverwaltungsbehörden des Freistaats haben in einem „enormen
       verkehrstechnischen Verwaltungsakt“ (Aigner) in der Nacht zu Dienstag
       sämtlich alle unter-, ober- und mittelfränkischen Lichtsignalgeber, jede
       und jede nieder- und oberbayerischen sowie auch die schwäbischen und
       oberpfälzischen Signalleuchtanlagen austauschen lassen. Getreu dem
       ostfriesischen Waalkes-Motto „Wir haben jetzt eine Ampel im Ort, die Farben
       haben wir schon ausgesucht“, haben die sieben bayerischen Bezirke laut
       Aigner einvernehmlich eine „schnelle, bunte und praktikable Lösung“
       gefunden. Selbst Barbara Stamm, die noch amtierende bayerische
       Landtagspräsidentin und stets sympathisch grantelnde Grande Dame der CSU,
       zeigte sich auf Anfrage der Wahrheit zufrieden: „Auch Goethe hätte es im
       Rahmen seiner Farbenlehre nicht besser derbrunzen können.“
       
       ## Konservatives Leuchten
       
       Wie aber sieht sie bloß aus, die neue „bayerische Ampel“, die auch schon
       als „Modell mit Signalwirkung“ vom TÜV Süd zertifiziert ist, und die
       bayerische DIN-Norm 32984 trägt?
       
       Nun, sie hat weiterhin drei Farben, da ist sie ganz konservativ geblieben,
       im Sinne von Bewahrung des einmal Erschöpften und so. Auch konservativ,
       weil wie früher: Geleuchtet wird im bewährten dreistufigen Verkehrsvorgang
       des Anhaltens, Losfahrens- oder Gehens und des Anhaltens, wie gehabt von
       oben nach unten und dann wieder nach oben. So wird es ordnungsgemäß und
       weiterhin auf den 70.550 Quadratkilometern und in den 2.056 bayerischen
       Städten und Gemeinden vonstatten gehen, keine Sorge. Nur halt mit zu
       Zweidrittel anderen Farben. „Freie Fahrt bei Grün, dieses Motto bleibt als
       eine leuchtende Säule unserer Ampelpolitik erhalten“, so Verkehrsministerin
       Aigner bereits am Montagabend auf allzeit engagierte Nachfrage des doch
       recht devot jugendlich strammen Chefredakteurs des bayerischen Fernsehens
       (BR), Christian Nitsche.
       
       „Die Grünen sind zweitstärkste Kraft im Land geworden – dem tragen wir
       demokratisch und mit der Ampel aufrecht Rechnung. Auch wenn die Zahlen für
       uns natürlich nicht so schön sind“, verrät Aigner noch, bevor plötzlich
       Jogi Löw fälschlicherweise im BR dazugeschaltet wird. Löw hält irgendwo in
       einem hippen Berliner Café den rechten und den linken Daumen nach oben,
       dann ist das Sendebild kurz schwarz. 30 lange und dunkle Sekunden später
       kriegen die Zuschauer endlich die neue „bayerische Ampel“ zu sehen.
       
       ## Bewährt kreisförmig
       
       Was sie zeigt? Himmelhellblau ist jetzt die Farbe des Innehaltens, des
       Anhaltens, des ruckartigen Stoppens im Freistaat. Mittig (und ebenso
       bewährt kreisförmig) folgt seit heute früh sechs Uhr weiß als Farbe der
       reinen Besinnung, des Runterkommens und natürlich des Obachtgebens, was
       wohl als Nächstes kommt. Orange, mancherorts als gelb bezeichnet, hat im
       Süden Deutschlands definitiv ausgedient als schnittiges
       Signalanlagezeichen. Auch die Partei der Freien Wähler in Bayern, die
       geheimhin mit der Farbe orange dargestellt wird, hat sich schon in das
       weiße Unschuldsampelmantra gefügt. Blau-weiß-grün: So ist sie also nun die
       neue „bayerische Ampel“. Zünftig!
       
       Nur die gerade noch so mit fünf Prozent in den bayerischen Landtag
       reingetrudelte FDP hat bis Redaktionsschluss als sogenannte
       „Serviceopposition“ (Wortschöpfung FDP-Generalsekretärin Nicola Beer)
       vorsorglich „Widerstand“ gegen die neue Farbenlehre angekündigt. Und von
       Jogi Löw fehlt bis jetzt jede Spur.
       
       16 Oct 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Harriet Wolff
       
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