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       # taz.de -- Kommentar Wahl in Afghanistan: Demokratie unter Druck
       
       > Die Wahl für das Parlament in Kabul ist eine Chance für die Jugend.
       > Zugleich ist klar: Scheitert die Wahl, scheitert das neue Afghanistan.
       
   IMG Bild: Wahlkampf in Afghanistan
       
       Mit drei Jahren Verspätung wird nun in Afghanistan ein neues Parlament
       gewählt. Die Wahl war hauptsächlich aus drei Gründen verschoben worden:
       nötige Änderungen am Wahlgesetz, fehlende finanzielle Mittel und die
       Gefahrenlage im gesamten Land. Das finanzielle Problem wurde mithilfe der
       internationalen Gemeinschaft gelöst, das Wahlgesetz wurde ebenfalls
       verbessert, um Wahlbetrug vorzubeugen. Aber an der Bedrohungslage hat sich
       nichts geändert, im Gegenteil. Sie ist die größte Hürde für die
       Durchführung einer halbwegs repräsentativen Wahl.
       
       Dreh- und Angelpunkt der Gefährdungslage ist die Terrorgruppe Taliban, die
       jetzt größere Teile des Landes kontrolliert als je zuvor, seit sie 2001 von
       der Macht vertrieben wurde. Die Taliban haben in einem Statement die
       bevorstehenden Wahlen bereits zur „Besatzer-Show“ erklärt, die sie mit
       allen Mitteln verhindern wollen. „Das islamische Emirat weist alle seine
       Mudschaheddin an, diesen amerikanisch geführten Prozess im ganzen Land
       aufzuhalten“, heißt es in der Erklärung. Es sollten möglichst viele
       Hindernisse geschaffen werden. All jene, die versuchten, diesen Prozess
       erfolgreich zu unterstützen, indem sie für Sicherheit sorgten, sollten „ins
       Visier genommen werden“. Um der „bösartigen amerikanischen Verschwörung“
       entgegenzutreten, solle kein Stein auf dem anderen bleiben.
       
       Kurz: Die Bedrohung durch die Taliban ist sehr ernst – und sehr real. Sie
       können die Wahl wesentlich stören oder gar verhindern. Gleichzeitig haben
       die afghanischen Sicherheitskräfte kein Konzept, die Pläne der Taliban und
       anderer militanter Gruppen zu vereiteln.
       
       Man sollte eigentlich annehmen, dass die afghanische Regierung in den
       vergangenen drei Jahren genug Zeit hatte, um einen Plan für die Absicherung
       der Wahl zu machen und diesen auch durchzusetzen. Aber es wurde nicht
       einmal ein ernsthafter Versuch unternommen. Die politische Führung war in
       dieser Zeit nur mit sich selbst beschäftigt.
       
       Präsident Aschraf Ghani und sein Regierungspartner Abdullah Abdullah haben
       in den letzten drei Jahren eine Menge Energie verschwendet, um miteinander
       um die Macht zu raufen. Wahlen? Für diese zentrale Frage blieb da leider
       keine Zeit mehr. Jetzt droht der für das Land so wichtige Urnengang an
       dieser Unfähigkeit zu scheitern. Weil die Wahl überhaupt nur in etwas mehr
       als 50 Prozent des Staatsgebietes stattfinden kann, ist schon jetzt klar:
       Sie wird weder fair noch transparent sein und schon gar nicht integrativ.
       
       2.500 KandidatInnen haben sich für 249 Sitze der Wolesi Dschirga (Haus der
       Repräsentanten) beworben. Im Gegensatz zu früheren Wahlen ist es diesmal
       bemerkenswert, wie viele junge und gut ausgebildete AfghanInnen zur Wahl
       stehen. Das ist eine ermutigende Entwicklung, denn in den letzten beiden
       Legislaturperioden haben vor allem Leute mit viel Einfluss und wenig
       Bildung sowie Warlords im Parlament gesessen. Die wenigsten waren sich der
       Bedeutung des Parlaments bewusst oder glaubten gar an die Demokratie. Das
       Resultat: ein schwaches, mit Korruption durchzogenes Parlament, das kaum in
       der Lage war, die Regierung zu kontrollieren. Die jungen Kandidaten, die
       jetzt ins Parlament wollen, sind deshalb ein Zeichen der Hoffnung für eine
       gute Zukunft in Afghanistan. Und noch mehr: sie motivieren die Menschen,
       zur Abstimmung zu gehen.
       
       Afghanistan ist eine sehr junge Gesellschaft. Der Anteil der unter
       25-Jährigen beträgt 63,7 Prozent. Doch deren Potenzial und Energie wurden
       bisher nicht in nennenswertem Umfang genutzt. Die junge Generation, die in
       allen Bereichen die Initiative hätte ergreifen und die Hauptrolle hätte
       spielen sollen, wurde von der Regierung stattdessen ausgenutzt oder von
       einigen politischen oder ethnischen Führern als Mittel zum Zweck verwendet,
       um ihre persönlichen Ziele oder andere Interessen zu erreichen. Die Jugend
       hatte nie eine Chance; mit ihr hat sich die Gesellschaft nie ernsthaft
       auseinandergesetzt.
       
       Jetzt sieht es aber so aus, als wollte die junge afghanische Generation
       selbst die Initiative ergreifen, um das Land aus der Misere zu führen. Das
       sind gute Aussichten für die Zukunft Afghanistans.
       
       ## Demokratie als Sämling
       
       Wahlen sind der Antrieb der Demokratie. Für die Demokratisierung des
       politischen Systems müssen die einzelnen Komponenten funktionieren, sonst
       kommt sie nicht von der Stelle. Zugleich ist die afghanische Demokratie
       jung und unerprobt. Wir müssen als Demokraten erst noch lernen, mit
       demokratischen Mitteln Krisen zu überstehen und dabei die Bevölkerung zu
       begeistern. Diese neue Demokratie ist wie ein Sämling, der bewässert werden
       muss, um ein starker Baum zu werden.
       
       Deshalb ist die bevorstehende Wahl für das Überleben der Demokratie am
       Hindukusch so wichtig. Wenn sie scheitert, scheitert auch der demokratische
       Prozess in Afghanistan. Die Bemühungen der vergangenen 17 Jahre, all die
       finanziellen und menschlichen Ressourcen der internationalen Gemeinschaft
       wären dann umsonst gewesen.
       
       Außerdem sind die Parlamentswahlen ein Testfall für die
       Präsidentschaftswahl in Afghanistan im April 2019. Möglicherweise werden
       die kürzlich stattgefundenen Friedensgespräche zwischen den Taliban und den
       USA die Sicherheitslage bei der Wahl positiv beeinflussen.
       
       Aber in jedem Fall gilt: Auch wenn die Taliban drohen, auch wenn es Gewalt
       geben wird und auch wenn der Urnengang gar nicht repräsentativ sein kann
       angesichts der Sicherheitslage, muss die Wahl dennoch stattfinden. Das
       Überleben des neuen Afghanistans hängt davon ab. Jede abgegebene Stimme
       wird eine gegen die Taliban und den Terror und für die Demokratie und die
       Zukunft sein.
       
       20 Oct 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Mortaza Rahimi
       
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