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       # taz.de -- Rechte Gewalt in Ostdeutschland: Ein Kämpferherz
       
       > Linken-Politikerin Karen Larisch erhält Morddrohungen und wird von
       > Rechten gestalkt. Sie hätte allen Grund, Güstrow zu verlassen. Doch sie
       > bleibt.
       
   IMG Bild: Karen Larisch bei einer Tagung in Güstrow
       
       Güstrow/Schwerin taz | Es ist Silvester 2016. Vor dem Borwinbrunnen in der
       Güstrower Innenstadt hat sich eine Meute versammelt. Es knallt und blitzt.
       Karen Larisch weiß, dass die Nazis das Chaos wieder nutzen werden, um sich
       darin zu verstecken. Trotzdem geht sie mit den Kindern aus der
       Begegnungsstätte Villa Kunterbündnis nach unten, als sie Raketen zünden
       wollen. Sie hat sich das so angewöhnt: der Bedrohung nicht ausweichen.
       
       Auf der Straße tritt jemand an sie heran, legt den Arm um sie; eine
       männliche Stimme sagt in ihr Ohr: „Geh mal lieber in deine Villa und pass
       auf, dass da nichts passiert.“ Sie erschrickt, sagt zu ihrer Begleitung:
       Pass auf die Kinder auf. Sie läuft zur Villa, dort wird sie eingenebelt. In
       dem Moment, in dem sie die Klinke drückt, gibt es eine Explosion. Die Tür
       fliegt aus den Angeln, Glas zerbricht über Karen Larischs Kopf. Ihre Haare
       sind versengt, die Jacke ist am Rücken aufgeschlitzt.
       
       Die Polizisten, die schließlich kommen, wollen gar nicht so recht aus dem
       Auto steigen. Sie nehmen eine Sachbeschädigung auf und eine fahrlässige
       Körperverletzung. Die Körperverletzung verschwindet später aus den Akten,
       der Vorfall wird unter „Silvesterknallerei“ abgelegt. Das Verfahren läuft
       offiziell noch; aber so wie Karen Larisch die Sicherheitsbehörden kennt,
       wird es wieder eingestellt werden.
       
       Karen Larisch hat es sich zur Gewohnheit gemacht, die Reste der Pyrotechnik
       aufzuheben, mit der bei ihr öfter Tür und Briefkasten gesprengt werden. Die
       Polizei hat sich dafür nie interessiert, sagt sie. Auch die Rauchbombe, die
       sie vor der Villa findet, will die Polizei nicht mitnehmen. Also packt
       Larisch sie ein und fotografiert sie später selbst. Es ist eine „Granat
       dymny RGD“ aus Polen.
       
       ## „Versuchter Mord“
       
       Das war versuchter Mord, sagt Karen Larisch. Sie ist Landtagsabgeordnete
       der Linkspartei in Mecklenburg-Vorpommern und engagiert sich seit Jahren
       gegen die rechte Szene, die in ihrer Heimatstadt Güstrow besonders stark
       ist. In der Region haben sich viele völkische Siedler niedergelassen, und
       auch die NPD ist präsent, im Kreistag hat sie zwei Vertreter. Etwa zwanzig
       bis fünfundzwanzig Neonazis sind in der Region nach Schätzungen
       gewaltbereit; die Unterstützerszene ist allerdings viel größer. Und es
       ziehen immer mehr Rechtsextreme nach Güstrow.
       
       Vor etwa zehn Jahren haben die Rechten damit begonnen, Karen Larisch das
       Leben schwer zu machen. 2008 flog ein Pflasterstein durch ihr Fenster und
       verfehlte ihren Mann nur knapp. Seitdem gibt es Zeiten, in denen es
       besonders schlimm ist, und solche, in denen es ein bisschen ruhiger ist.
       Ein Grundrauschen von Beschimpfungen und Drohungen ist aber immer da.
       
       Viele engagierte Menschen erleben das. Bei den meisten hat es irgendwann
       zur Folge, dass sie leiser werden oder verstummen. Es ist das, was die
       Rechten erreichen wollen – die Engagierten sollen den öffentlichen Raum
       zurückgeben. Bei Karen Larisch ist diese Rechnung nicht aufgegangen. Sie
       ist laut geblieben; manchmal ist sie fast schrill. Sie führt
       Demonstrationen an und führt ihre kleinen Kriege in den sozialen
       Netzwerken.
       
       Um zu verstehen, wie sie das schafft, muss man verstehen, was sie erleidet.
       Die taz hat seit Oktober 2014 23 Vorfälle gezählt: Bedrohungen,
       Beleidigungen, Körperverletzungen, gesprengte Briefkästen, Schmierereien,
       ein Einbruch, ein Hausfriedensbruch, zwei Buttersäureanschläge. Die
       Morddrohungen, die Karen Larisch rund um einen Termin erhält, zum Beispiel
       zur Reichspogromnacht, wurden dabei zu einem Ereignis zusammengefasst.
       Die meisten der 23 Vorfälle wurden zur Anzeige gebracht. Bei den meisten
       Anzeigen wurde das Verfahren inzwischen eingestellt.
       
       Ein Beispiel? Am 21. April 2018 wird ein Buttersäureanschlag auf das
       Wohnhaus von Karen Larisch verübt. Meistens finden diese Angriffe im Umfeld
       von symbolischen Tagen statt, diesmal ist es Hitlers Geburtstag am 20.
       April. Karen Larisch erhielt zuvor Morddrohungen. Sie nannte der Polizei
       die Namen.
       
       Zwei Monate später bekommt Larisch Post von der Staatsanwaltschaft. Von
       weiterer Strafverfolgung werde abgesehen, schreibt die Behörde, „weil
       konkrete Anhaltspunkte für eine verfolgbare Straftat nicht vorliegen“.
       Weiter: „Durch das Verschütten einer eher geringen Menge übelriechender
       Flüssigkeit ist es nicht zu einer Substanzschädigung einer fremden Sache
       gekommen. Wer dafür verantwortlich war, ist überdies mangels konkreter
       Ermittlungsansätze und Spuren nicht festzustellen.“
       
       ## Ein unwilliger Ton
       
       Die taz konnte die Einstellungsbescheide der Staatsanwaltschaft Rostock
       einsehen. Durch die Begründungen zieht sich ein unwilliger Ton; etwa wenn
       die Staatsanwaltschaft davon absieht, öffentlich Klage zu erheben, als
       Karen Larisch als Kommunalpolitikerin zum Suizid aufgefordert wird. „Im
       vorliegenden Fall hat die Rechtsverletzung noch kein solches Ausmaß
       erreicht, dass die Strafverfolgung ein gegenwärtiges Anliegen der
       Allgemeinheit wäre“, heißt es dann im Einstellungsbescheid. „Das
       Privatklageverfahren ist geeignet, Ihnen Genugtuung zu verschaffen.“ Über
       zwei Jahre wartete Karen Larisch auf diese Antwort. Oft hört sie nie wieder
       etwas über die Delikte, die sie angezeigt hat.
       
       Harald Nowack, Pressesprecher der Staatsanwalt Rostock, sagt, es sei
       natürlich tragisch, wenn jemand immer wieder angegriffen werde. „Aber die
       Strafverfolgung dient dazu, einen Täter zu ermitteln.“ Und oft könne man
       diesen eben nicht feststellen. Dann werde das Verfahren eingestellt. Dazu
       kommt: Vieles, was für Betroffene ärgerlich sei, stellt keine Straftat da –
       so zum Beispiel der Buttersäureanschlag, bei dem das Haus von Karen Larisch
       nicht beschädigt wurde. Nowack kann bei den Einstellungen keine
       Auffälligkeiten erkennen. „Das ist ein ganz normales Vorgehen.“
       
       Karen Larisch fühlt sich von den Sicherheitsbehörden im Stich gelassen. Die
       Frage, wie es möglich ist, dass eine Politikerin seit zehn Jahren
       drangsaliert wird, ohne dass ein Täter ermittelt wird, bleibt ungeklärt.
       Die Bitte um ein Gespräch wird von der Polizeidirektion Rostock, von der
       Polizei Güstrow und vom Justizministerium in Schwerin abgelehnt.
       
       ## Der Bürgermeister schweigt
       
       Und auch andere Menschen in Güstrow, die Auskunft zu Karen Larisch geben
       könnten, wollen sich nicht öffentlich äußern. Nicht einmal der
       Bürgermeister, der jahrelang mit ihr als Kommunalpolitikerin
       zusammengearbeitet hat. Er lässt ausrichten, dass er Karen Larisch zu wenig
       kenne. Fragt man ihn, wie das sein kann, antwortet er nicht mehr.
       
       Daniel Trepsdorf, der das Regionalzentrum für demokratische Kultur
       Westmecklenburg leitet und auch im Landesvorstand der Linkspartei ist,
       sagt, er beobachte schon länger, dass engagierte Menschen, die in den
       neunziger Jahren als Vorbild galten, inzwischen eher als Nestbeschmutzer
       wahrgenommen werden. Weil Mecklenburg-Vorpommern die Neonazis nicht in den
       Griff bekommt, ist es bequemer, das Problem totzuschweigen.
       
       „Karen Larisch macht sich unbeliebt, weil sie den Finger in die Wunde
       legt“, sagt er. Und auch weil sie für ordentlich Arbeit bei den
       Sicherheitsbehörden sorgt. Die Zahl der Polizisten wurde stark reduziert.
       Und dort will man natürlich auch nicht von einem Einsatz zum nächsten
       jagen. „Das führt allerdings zu einem Unverwundbarkeitsgefühl innerhalb der
       rechten Szene.“ Man kann nur hoffen, dass Menschen wie Larisch ihren Esprit
       nicht verlieren, sagt er dann noch. „Es zieht wahnsinnig viel Energie, das
       Private öffentlich zu machen.“
       
       ## „Würden alle zusammenstehen, würde weniger passieren“
       
       „Dass man als Nestbeschmutzer gesehen wird, ist schlimmer als all die
       Angriffe“, sagt Karen Larisch. „Würden alle zusammenstehen, dann würde
       viel weniger passieren.“ Sie hat zu einem Gespräch über ihre Situation in
       den Landtag im Schweriner Schloss eingeladen. In einem Turmzimmer mit Blick
       über den Schweriner See spricht sie dann zwei Stunden lang fast ohne Pause.
       Zwischendurch lacht sie immer wieder heiser.
       
       Ihre Wahlkreismitarbeiter bekommen Probleme, wenn sie einen Raum für eine
       Veranstaltung mieten wollen, sagt sie. Die Leute sagen: Wenn Frau Larisch
       kommt, kommen auch die Nazis. „Das ist eine berechtigte Angst“, meint
       Karen Larisch. „Aber es hat auch damit zu tun, dass jahrelang hingenommen
       wurde, dass das so ist. Und dann die Hilflosigkeit der Polizei.“
       
       Die Beamten haben ihr schon öfter gesagt, dass sie ab 17 Uhr zu Hause sein
       muss, weil es abends zu gefährlich für sie ist auf der Straße. „Ich weiß
       schon, dass die Polizei mir das raten muss“, sagt sie. „Der einzige
       Schutz, den es momentan für mich gibt, ist: Ich bleib drin. Aber vielen ist
       nicht bewusst, dass die Nazis gewonnen haben, wenn ich das mache.“
       
       ## Die Angst um ihre Tochter
       
       Karen Larisch hat sich über die Jahre mit dem Gefühl der Unsicherheit
       arrangiert. Aber jeder Mensch hat eine Schwachstelle, bei Larisch ist es
       ihre Tochter. Die Nazis wissen das. Auf einem Stadtfest vor drei Jahren
       stellen sie sich zu fünft um Karen Larisch und fragen: „Und, ist das da
       hinten deine kleine 15-jährige Jungfrau? Wollen wir mal schauen, wie lange
       sie noch Jungfrau ist?“ Larisch erzählt später, sie habe sich so
       erschreckt, dass sie das Fest verlassen hat. Sie will sich in die Villa
       Kunterbündnis zurückziehen, um sich zu beruhigen. Aber sie stolpert und
       fällt die Treppe hinunter. Schließlich wird sie vom Notarzt abgeholt.
       
       Bei Karen Larisch ist schon lange nichts mehr privat, alles, was sie tut,
       wird von den Nazis genau registriert. Sie wird auf der Straße verfolgt und
       fotografiert, die Fotos werden dann im Internet veröffentlicht. Die rechte
       Internetseite „Der Staatsstreich“, die häufig gegen Larisch hetzt, postet
       kurz nach dem Vorfall Bilder des Rettungswagens und titelt: „Karen Larisch
       – missglückter Selbstmord, alles gegen rechts“. Das rechte Portal „Bützow
       wehrt sich“ schreibt auf Facebook: „Erst die Gangbang-Partys mit
       Fachkräften, dann die frei erfundenen Übergriffe auf ihre Person,
       Sufforgien inklusive leider fehlgeschlagenem Suizidversuch. Wir
       unterstützen die Kampagne ‚Selbstmord gegen Rechts‘ zu 100 Prozent.“
       
       „So etwas machen sie dann daraus“, sagt Karen Larisch. „Es ist nicht
       lustig. Man muss sich immer erklären.“
       
       ## „Manchmal hat Mutti Tiefpunkte“
       
       Und ihre Tochter? Wie geht sie damit um? Johanna Larisch ist 18 Jahre alt
       und macht gerade eine Ausbildung zur Tierpflegerin. Sie trägt ihre braunen
       Haare lang und sieht ihrer Mutter sehr ähnlich. Aber sie ist viel ruhiger.
       Sie kennt die Güstrower Nazis, denn sie wird von ihnen bedrängt, seit sie
       ein Kind ist. „Die Nazis haben mich verfolgt, wenn ich nach der Schule zur
       Arbeit meiner Mutter gelaufen bin.“ Da war sie acht. „Sie haben das getan,
       um meiner Mutter Angst einzujagen. Manchmal hat Mutti Tiefpunkte.“ Sie
       macht eine kurze Pause. „Bewundernswert ist aber, dass sie immer wieder
       hochkommt. Dass sie standhaft bleibt und nicht weggeht.“
       
       Johanna Larisch wollte oft weg, einmal zog sie für sechs Wochen zur Oma
       nach Niedersachsen. Das war nach dem Vorfall beim Stadtfest. Damals hat sie
       sich große Sorgen um ihre Mutter gemacht. Man merkt an der Sprache von
       Johanna Larisch, dass sie keine unbeschwerte Kindheit hatte. Sie spricht
       von „erhöhtem Polizeiverkehr“ in ihrer Straße, von Polizisten, die sie
       „unbefugt“ aus dem Klassenzimmer holten, nachdem die Nazis vor drei Jahren
       in ihren Hausflur eingedrungen waren. Und sie sagt auch: „Wir brauchen gar
       nicht mehr zur Polizei zu gehen. Wir haben festgestellt, das bringt nichts.
       Steht da der Name Larisch, wird eingestellt.“
       
       Sie erzählt davon, dass sie kein Privatleben hat, weil sie ständig auf den
       Fotos der Nazis auftaucht. Dass sie kaum noch irgendwo allein hingeht. Von
       den Geldsorgen, weil immer wieder die Tür oder der Briefkasten beschädigt
       wird und die Familie die Reparaturen meistens selbst bezahlt. „Das war
       hart, als Papa allein verdient hat.“ Alles, was ihre Mutter tut und sagt,
       fällt auf sie und ihren Vater zurück, sagt Johanna Larisch. Sie sagt es
       ohne Vorwurf, es ist eine Feststellung. Sie fragt sich manchmal, ob es
       nicht besser wäre, wenn sie ruhiger wäre. Trotzdem ist sie froh, eine
       solche Mutter zu haben. Sie würde gerne in ihre Fußstapfen treten. „Sie hat
       ein Kämpferherz.“
       
       ## Die Nationalen Sozialisten kommen in die Stadt
       
       Es ist einer dieser heißen Sommertage, als die Nationalen Sozialisten
       Rostock eine Kundgebung in Güstrow abhalten. Karen Larisch weiß davon schon
       seit ein paar Tagen. Auch sie hat ihre Quellen. Am Vorabend ist sie mit
       ihrem Mann und Freunden lange durch Kneipen gezogen, erst um vier Uhr
       morgens lag sie im Bett. Trotzdem steht sie wenig später gut gelaunt vor
       der Villa Kunterbündnis und baut einen Infotisch auf. Freunde sind
       gekommen, ihr Bruder, ihre Schwägerin, und Männer mit Sonnenbrillen vom
       Verein Lobbi, der Betroffene rechter Gewalt berät. Sie filmen die
       Kundgebung.
       
       „Wir sind hier, um sie aufzuklären“, sagt Adrian Wasner von der NPD ins
       Mikrofon. „Sprechen Sie mit uns, haben Sie Spaß.“ Dann spielen sie ein Lied
       der Rechtsrockband „Hassgesang“. „Es ist Zeit, den dritten Weg zu wählen“,
       singen sie. Dann Reden. „… nicht so wie Karen Larisch, die die
       Massenzuwanderung unterstützt“, sagt ein Mann ins Mikrofon. „Was hat der
       gesagt?“, fragt Larisch. „Das geht doch nicht. Keine Verächtlichmachung
       meiner Person. So steht es in den Auflagen.“ Sie geht zu einem der
       Polizisten. Der nickt. Er will es ans Ordnungsamt weiterleiten.
       
       Unterdessen leert ein Postbote den Briefkasten neben der Villa
       Kunterbündnis. Einer von Lobbi fotografiert ihn dabei. Der Mann ist von
       Veranstaltungen der rechten Kameradschaft Güstrow bekannt. „Das ist ja
       interessant“, sagt Larisch. „Jetzt verstehe ich auch, warum meine Post
       verschwindet.“
       
       ## Briefe verschwinden
       
       Es passiert immer wieder, dass Briefe nicht ankommen. Sie hat schon lange
       den Verdacht, dass die Rechten ihre Post abfangen. „Das würde auch
       erklären, wie die Nazis an meine Betriebsnummer gekommen sind“, sagt
       Larisch. Über diese Nummer wurden etliche Menschen bei der Krankenkasse
       angemeldet, die gar nicht bei der Villa Kunterbündnis arbeiten.
       
       Als die Rechten die Kundgebung später verlassen, wählen sie den Weg am
       Infostand vorbei. „Auf Wiedersehen“, sagt einer der Neonazis. Ein anderer
       trägt seine Utensilien in einer Postkiste. „An so eine Kiste kommt man auch
       nicht so leicht ran“, sagt Larisch.
       
       Später sitzt sie bei einem Nachbarschaftsfest und genießt ein Stück Torte.
       „Es geht darum, mich mürbe zu machen“, sagt Larisch. „In Regimen nennt man
       das Zersetzung.“ Ihr wurden Pizzas geliefert, die sie nie bestellt hatte,
       Schuhe, ein Schwulenmagazin. Einmal eine ganze Küche. Vieles konnte sie
       stornieren, manches nicht, einiges musste sie bezahlen.
       
       Karen Larisch hat sich angewöhnt, solche Sachen sportlich zu sehen. Schlimm
       wird es, wenn ihr Leute in den Rücken fallen, die sie auf ihrer Seite
       wähnt. So wie Innenminister Lorenz Caffier von der CDU. Der
       Verfassungsschutzbericht für Mecklenburg-Vorpommern wird am 31. Juli 2018
       vorgestellt. Als ein Journalist fragt, warum darin nur Angriffe auf
       AfD-Politiker oder -Büros genannt werden, sagt Caffier, Angriffe auf linke
       Politiker gab es nur selten oder sie seien nicht so schlimm gewesen. Als
       Karen Larisch in einer Pressemitteilung darauf hinweist, dass sie selbst
       fast täglich betroffen ist, bezeichnet Caffier ihre Beschwerde gegenüber
       der Ostseezeitung als „Begleitmusik“ und „Falschbehauptung“.
       
       „Nach Durchsicht der polizeilichen Statistik der politisch motivierten
       Kriminalität für das Berichtsjahr 2017 sind dort keine entsprechenden
       Straftaten zum Nachteil von Frau Larisch enthalten“, schreibt die
       Pressestelle des Innenministeriums. Die gesprengte Tür, zu der jemand Karen
       Larisch in der Silvesternacht gelotst hatte, zählt bei der Polizei als
       Sachbeschädigung. Der Angriff auf ihr Parteibüro wurde als extremistische
       Straftat eingestuft, aber nicht ihrer Person zugeordnet. Und die
       Beschimpfungen, die ihre Tochter online angezeigt hat, wurden offenbar
       nirgendwo erfasst.
       
       Es sind dunkle Tage für Karen Larisch. Sie fürchtet um ihre
       Glaubwürdigkeit. Ruft man sie an, spricht sie ohne Punkt und Komma,
       vertauscht Zahlen und Daten. Am 8. August postet sie auf Facebook: „Jeder
       Mensch, der schonmal Opfer von Gewalt wurde, weiß, was für ein scheiß
       Gefühl das ist. All die Träume, dieses ständige Umdrehen auf der Straße,
       die irrationale Angst. Man misstraut Menschen, die es vielleicht sogar gut
       meinen. Manchmal glaubt man, verrückt zu werden.“
       
       ## Zum ersten Mal ruft die Kripo an
       
       Aber ihre laute Beschwerde hat zumindest teilweise Erfolg. Die Polizei
       kontaktiert sie. Es folgen Gespräche mit der Polizeipräsidentin und dem
       Landeskriminalamt. Als wenig später antisemitische Aufkleber an ihrem Haus
       auftauchen und ihr Briefkasten voller Kunstblut ist, ruft die Kripo an. Es
       ist das erste Mal, dass das passiert, schreibt Larisch begeistert in einer
       SMS.
       
       Es dauert nur wenige Tage, dann ist sie wieder voller Elan. Vermutlich geht
       es nicht anders: Sie will den Rechten den Triumph nicht gönnen. Am Telefon
       lacht sie wieder ihr heiseres Lachen. Sie arbeitet daran, mit der linken
       Bundestagsabgeordneten Heidrun Bluhm eine Begegnungsstätte in Güstrow zu
       eröffnen. Im Erdgeschoss, mit großen Glasscheiben. Muss das sein, fragen
       viele, im Erdgeschoss? Larisch findet: Ja, das muss sein.
       
       Die Begegnungsstätte heißt „Der rote Salon“. Am 5. Oktober wird sie
       eröffnet. Karen Larisch feiert mit ihren Unterstützern bis in die Nacht. Es
       kommen Gäste aus dem ganzen Land. Nachts, um Viertel vor eins, schreibt sie
       bei Facebook: „Es gibt Tage, die machen glücklich. Die paar Nazis, die uns
       stören wollten im Dunkel des Abends waren ein bisschen feige. Ein
       blauweißer Partybus und weg waren sie. Was für Nulpen.“
       
       18 Oct 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Steffi Unsleber
       
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