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       # taz.de -- Alexander Gerst als ISS-Kommandant: Der deutsche Chef im All
       
       > Der Astronaut Alexander Gerst macht im Universum eine ausgezeichnete
       > Figur. Seine Rolle wird auf der Erde aber mit viel nationalem Pathos
       > aufgeladen.
       
   IMG Bild: Alle hören auf sein Kommando und die Kanzlerin freut's
       
       Es ist schon ein Weilchen her, dass der Abgeordnete und Staatssekretär
       Bernhard von Bülow bei einer Debatte im Reichstag mit Blick auf die
       Kolonialpolitik verkündete: „Wir wollen niemand in den Schatten stellen,
       aber wir verlangen auch [1][unseren Platz an der Sonne.“]
       
       121 Jahre später [2][meldete nun die Bild endlich Vollzug:] „Alexander
       Gerst ist ISS-Chef: Deutscher hat jetzt das Kommando im Weltraum.“
       Deutscher! Weltraum! Kommando! Damit sind „wir“ immerhin mehr als 400
       Kilometer näher an das Zentralgestirn gerückt, und das auch noch in
       verantwortungsvoller Position. Wenn das kein Platz an der Sonne ist!
       
       Zwar hat Alexander Gerst, der 42-jährige Geophysiker aus dem fränkischen
       Künzelsau, im All nicht allzu viel zu sagen. Hoheit und Aufsicht über die
       Mission liegen bei den Bodenstationen in Houston und Moskau.
       Herumkommandieren darf er gerade mal zwei Kollegen, einen russischen
       Kosmonauten und eine amerikanische Astronautin, und das auch nur bis zu
       seiner Ablösung im Dezember.
       
       [3][Darüber hinaus indes leistet Alexander Gerst durchaus Beachtliches.]
       Für Deutschland, gewiss, übernahm er die Kommandantur am symbolträchtigen
       Tag der deutschen Einheit. Neben seinen wissenschaftlichen Funktionen aber
       ist „Astro Alex“, wie er sich auf Twitter nennt, auch eine begnadete
       PR-Maschine für die bemannte Raumfahrt und damit die ganze Menschheit – ein
       Sigmund Jähn 2.0 sozusagen. Der erste gesamtdeutsche Astronaut, Ulf
       Merbold, musste seinerzeit noch ganz ohne soziale Netzwerke auskommen.
       Entsprechend gering war sein Einfluss auf die relevante Zielgruppe der 7-
       bis 14-Jährigen.
       
       ## Er passt auf die Erde auf
       
       Dabei braucht Gerst nicht viel mehr zu tun als aus dem Fenster zu schauen.
       Er zeigt uns gestochen scharfe Tsunamis, Vulkane und Taifune von ganz oben.
       Und macht sich dabei weihevolle bis poetische Gedanken. Die Arktis ist
       ebenso zu schützen wie ein bolivianischer Salzsee. Straßen in der Sahara
       erinnern ihn an Antoine de Saint-Exupéry, die nächtlichen Lichter
       japanischer Tintenfischereiflotten an die japanische Tintenfischerei.
       
       Hin und wieder erklärt er den Jüngsten etwas Festkörperphysikalisches in
       der „Sendung mit der Maus“ oder gibt in einer Live-Schalte mit der
       Kanzlerin schwerelose Bonmots zum Besten: „Der Mensch hat für das Universum
       keine Bedeutung. Wir haben nur eine Möglichkeit, uns zu schützen, und zwar
       indem wir auf unsere Erde aufpassen.“
       
       Gerst macht, kurzum, [4][auf denkbar exponiertem Posten eine ausgezeichnete
       Figur.] Er passt auf die Erde auf, so wie künftig mit Manfred Weber gerne
       ein Deutscher als EU-Kommissionspräsident auf Europa und deutsche
       Delegation auf einem doch bitte irgendwann einmal ständigen Sitz im
       UN-Sicherheitsrat auf die Welt aufpassen will. Papst waren „wir“ ja schon.
       
       So befördert [5][die Anwesenheit des coolen Kommandanten im All] nicht nur
       das nationale Prestige, sondern treibt im zaghaften (und von ganz anderen
       Sorgen geplagten) Deutschland auch den Diskurs um die ewige Anwärterschaft
       auf „mehr Verantwortung in der Welt“ voran. Nebenbei verdeckt der Hype um
       Gerst auf magische Weise gleich zwei entgegengesetzte Probleme. Erstens den
       Umstand, dass Deutschland nur einen verhältnismäßig geringen finanziellen
       Beitrag zur Weltraumforschung leistet. Und zweitens die berechtigte Frage
       nach dem irdischen Sinn und Zweck, nach Kosten und Nutzen der
       Veranstaltung.
       
       Das Protokoll der Reichstagsdebatte zur kaiserlichen Flottenpolitik
       verzeichnet 1899 zur Rede des freisinnigen Abgeordneten Eugen Richter: „Der
       berühmte Platz an der Sonne (Heiterkeit links) kommt uns recht teuer zu
       stehen, die Millionen zerfließen dort wie die Butter (Sehr gut! und
       Heiterkeit links).“
       
       4 Oct 2018
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://www.bpb.de/geschichte/zeitgeschichte/postkolonialismus-und-globalgeschichte/228096/ein-platz-an-der-afrikanischen-sonne?p=all
   DIR [2] https://www.bild.de/ratgeber/wissenschaft/ratgeber/alex-gerst-ist-jetzt-iss-chef-deutscher-hat-jetzt-das-kommando-im-weltraum-57617900.bild.html
   DIR [3] /Alexander-Gerst-startet-ins-Weltall/!5508762
   DIR [4] /Kinder-befragen-ISS-Kommandanten/!5533591
   DIR [5] /Erster-deutscher-ISS-Chef-Alexander-Gerst/!5507925
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Arno Frank
       
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