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       # taz.de -- Neues Album von Phosphorescent: Country für Psychoanalytiker
       
       > Unter die Wölfe gegangen: US-Singer-Songwriter Phosphorescent hat in
       > seiner neuen Heimat Nashville das Album „C’est La Vie“ aufgenommen.
       
   IMG Bild: Exquisiter Komponist: Matthew Houk alias Phosphorescent
       
       Wenn Matthew Houck singt, klingt es, als würde er seine Stimmbänder zum
       ersten Mal seit langer Zeit benutzen, als müsste sich die Muskulatur erst
       wieder aufwärmen. Da kommt nur heiseres Knarzen, die Noten sind brüchig;
       eine Stimme wie der morgendliche Gruß nach durchgemachter Nacht. Im
       Gespräch klingt seine Stimme überraschend robust, ein warmer Bariton, der
       das karg eingerichtete Hinterzimmerbüro mit einem sonoren Grundbrummen
       ausfüllt.
       
       [1][„C’est La Vie“] heißt sein neues Album, es ist das siebte, das Houck
       unter dem Namen Phosphorescent veröffentlicht, und wenn es klangästhetisch
       insgesamt aufgeräumter daherkommt als frühere Veröffentlichungen, ist es
       doch wieder von dieser fragilen Stimme geprägt, die sich an jedem Punkt zu
       überschlagen droht.
       
       Diese idiosynkratische Klangfarbe ist nicht allein auf die Konstitution von
       Houcks angeborenem Organ zurückzuführen, sondern auch auf seine
       Herangehensweise an die Arbeit im Studio. Die Takes, die er nimmt, erzählt
       er, sind jene, die erst nach zehn, zwölf Stunden Studioarbeit entstehen,
       wenn er in die richtige Stimmung gekommen und seine Stimme eben besonders
       aufgekratzt ist.
       
       In diesen solitären Sessions gerät der Biorhythmus durcheinander, er
       schläft kaum, isst unregelmäßig, wenn überhaupt, Hunger gehört dazu und
       Schwindelgefühl, das allerdings vom Trinken kommen könnte. Besaufen könne
       er sich nicht, sagt er, es gibt ja keinen Assistenten, der die
       Gerätschaften bedienen würde.
       
       ## Langzeit-Projekt
       
       Arbeitet er an Musik, zieht er sich für einen Zeitraum von mehreren Monaten
       völlig zurück, trifft kaum Leute, arbeitet die meiste Zeit allein. „Um dies
       machen zu können, muss ich sensibel und aufgewühlt sein, muss in einen
       Zustand gelangen, den man nicht so einfach erreichen oder wieder verlassen
       kann“, sagt er. „Es ist allerdings auch ziemlich anstrengend, auf diese Art
       Musik zu machen, und jedes Mal nehme ich mir vor, es bei dem nächsten Album
       entspannter anzugehen.“
       
       Vor drei Jahren hat Houck sich ein altes Mischpult gekauft, eine massive
       Maschine, für die er den Platz gar nicht hatte. Er fand eine alte
       Lagerhalle, nicht zu weit von seinem Haus in Nashville entfernt, stellte
       das Mischpult dorthin und richtete schließlich ein ganzes Tonstudio ein. Im
       Alleingang, ohne jede Erfahrung als Tischler und Elektriker. Löten lernte
       er mit YouTube-Anleitung. „Die Berufsbezeichnung Toningenieur leuchtete
       mir auf einmal ein“, sagt er. „Electricity, man. Fascinating stuff. Jetzt
       weiß ich, wenn es mit der Musik nicht mehr klappen sollte, kann ich
       wenigstens als Techniker irgendwo anheuern.“ Das meint er gar nicht im
       Scherz. Dabei läuft es gerade ganz gut.
       
       Sein letztes Album „Muchacho“ (2013), insbesondere die Single „Song for
       Zula“ hatten Houck einem größeren Publikum bekannt gemacht. Vier Akkorde,
       die sich über sechs Minuten wiederholen, einfachste Funktionsharmonie,
       darüber polyphone wie schwebende Streicherarrangements, und Houcks Stimme,
       brüchig, vom Leben ganz heiser, von Liebe singend, von Liebe als Käfig. Das
       Lied wurde in Filmtrailern und Fernsehserien gespielt, an den
       Lizenzgebühren muss er mehr verdient haben als mit Plattenverkäufen.
       
       Houck wurde vor vierzig Jahren in Alabama geboren, tief im Süden der USA.
       Er begann als Countrysänger, aber nicht als eine der Hochglanzfiguren, die,
       wie der Komiker Bo Burnham einmal ätzte, in ihrem Privatjet Reime übers
       Traktorfahren schreiben, sondern als einer, der in karg instrumentierten
       Stimmungsstücken düstere Gedanken exorzierte. Das Sichzurechtfinden mit
       unerträglichen Situationen ist Teil der Countrytradition; früher gab es in
       den Liedern noch die Hoffnung auf göttliche Erlösung nach dem Tod, aber da
       ist man sich mittlerweile nicht mehr so sicher.
       
       ## Schauriges Tier
       
       Sein Debütalbum veröffentlichte Phosphorescent vor fünfzehn Jahren. In
       einem seiner frühen Lieder, „Wolves“, erschienen auf dem Album „Pride“
       (2007), singt Houck über eine verhallte Mandoline schaurige Zeilen von
       Wölfen, die es in sein Haus geschafft haben und die er nicht mehr
       hinausgejagt bekommt, Wölfe, die Löcher in den Boden graben und sich
       einrichten in seinem Haus. Ein Psychoanalytiker hätte seine Freude mit
       diesem Lied.
       
       Der Song „Black Moon/Silver Waves“, Auftakt seines neuen Albums „C’est La
       Vie“, lässt sich als Weiterführung von „Wolves“ verstehen. Als wäre Houck
       nun selbst unter die Wölfe gegangen, heult er in einem kathartischen
       Klagegesang den Mond an, Laute formend, keine Worte. Er jault und schreit,
       auf wohl einem Dutzend Gesangsspuren, über einem ominös brummenden
       Grundton.
       
       Auf dieses reinigende Gewitter folgen freundlichere Lieder, die, zumindest
       musikalisch, eine von Houck bisher selten gehörte Leichtigkeit
       demonstrierten. Auf einer Orgel als harmonischem Grundgerüst errichtet,
       sind sie mächtig arrangiert und stattlich instrumentiert. Die
       Pedal-Steel-Gitarre schwingt melancholisch aus der Ferne herüber, so viel
       Countrytradition muss sein. Das fünfzig Jahre alte Mischpult hört man
       übrigens nicht heraus. „C’est La Vie“ klingt ziemlich modern und
       aufgeräumt, auf geschmackvolle Weise.
       
       Das Album dokumentiert eine entscheidende Phase in Houcks Leben, seine
       jüngste Entwicklung vom Einzelgänger zum Familienvater. Seine Partnerin Jo
       Schornikow hatte er auf der letzten Tour kennengelernt, wo sie als
       Keyboarderin engagiert war. Sie bekamen eine Tochter, zogen von Brooklyn,
       wo Houck die letzten Jahre gewohnt hatte, nach Nashville und bekamen noch
       einen Sohn. „Es ist nicht leicht, Musik mit dem Familienleben zu
       vereinbaren“, sagt er.
       
       ## Verlangen nach Teufelszeug
       
       Ein wiederkehrendes Motiv seiner Texte ist der Kampf, sich gegen das
       Verlangen nach Alkohol zu wehren. In dem schwermütigen Walzer „These Rocks“
       singt er davon, ein Jahrzehnt lang betrunken gewesen zu sein und dass er
       jetzt darüber nachdenke, die Finger von dem Zeug zu lassen. An einem Punkt
       im Gespräch möchte ich ihn fragen, ob Alkohol bei seinen Aufnahmemarathons
       eine wichtige Rolle spielte, aber ich formuliere die Frage unpräzise und er
       versteht sie als Erkundigung nach seinem gegenwärtigen Zustand in dieser
       Hinsicht. Er antwortet zögerlich, dass er nicht mit dem Trinken aufgehört
       habe und verweist auf die Bierflasche in seiner Hand.
       
       Was soll man machen, sind die Wölfe erst einmal im Haus und haben Löcher in
       den Boden gegraben? Sich ihnen ergeben. C’est la vie. Das Annehmen von
       allem, das einem widerfährt. Solange es nicht der Tod ist, ist es eben das
       Leben. Houcks Stimme klingt wie nach durchgemachter Nacht, und es war nicht
       unbedingt eine fröhliche Nacht, vielleicht war es eine Nacht voller Angst
       oder eine Nacht einsamen Trinkens. Der dunkelste Punkt aber scheint
       überwunden.
       
       13 Oct 2018
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] ttps://www.youtube.com/watch?v=JXmRrUbuhZA&feature=youtu.be
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jan Jekal
       
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