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       # taz.de -- Erstes Sorben-Parlament „Serbski Sejm“: Nationale Wiedergeburt der Sorben
       
       > Die Sorben sind das kleinste slawische Volk, ansässig im Südosten
       > Deutschlands – und lange unterdrückt. Nun wählen sie ihre erste
       > Volksvertretung.
       
   IMG Bild: Das Sorbische National-Ensemble Bautzen probt das Abendprogramm zur Vogelhochzeit
       
       Sie kommen aus dem Spreewald, aus der Oberlausitz, aus Bautzen, aber auch
       aus Leipzig, Dresden, sogar aus Berlin. Landwirte sind darunter, ein
       Bürgermeister, ein Arzt, ein Landtagsabgeordneter, die Älteste, [1][Edith
       Penk], ist achtzig Jahre alt, die Jüngste, Laura Grönert, gerade achtzehn.
       19 kommen aus der Oberlausitz, 15 aus der Niederlausitz. Insgesamt 34
       Sorbinnen und Sorben bewerben sich um die 24 Plätze im Serbski Sejm, der
       ersten Volksvertretung in der Geschichte der Sorben.
       
       Die Wahl findet als Briefwahl statt. Teilnehmen kann jeder, der mindestens
       16 Jahre alt ist und sich zum sorbischen Volk bekennt. Man muss also weder
       in der der Lausitz wohnen, noch muss man Sorbisch beherrschen. Im Prinzip
       muss man noch nicht einmal sorbische Eltern haben.
       
       Es genügt allein das freie Bekenntnis zum sorbischen Volk, das
       möglicherweise nach Assimilierung und Abwanderung in der eigenen Familie
       verschüttet wurde. Wer sich beteiligen will, kann sich noch bis zum 27.
       Oktober in das Wählerverzeichnis eintragen lassen. Nach der Registrierung
       werden die Wahlunterlagen verschickt. Die Wahl läuft noch bis zum 3.
       November.
       
       Ein sorbischer Traum ist in greifbare Nähe gerückt. Es geht keineswegs um
       ein weiteres regionales Parlament mit beschränktem Einfluss, es geht um
       einen politischen Prozess, der mit der Wahl angestoßen werden soll. Es geht
       um nationale Selbstbestimmung nach innen und außen, es geht um eine
       Verfassung, um einen Staatsvertrag mit der Bundesrepublik und den Ländern
       Sachsen und Brandenburg, es geht um nicht weniger als die „nationale
       Wiedergeburt“ des kleinsten slawischen Volkes, das im Südosten Deutschlands
       beheimatet ist.
       
       ## Es geht auch um konkrete Anliegen
       
       So sehen es die Initiatoren, so sieht es der Ältestenrat, so sehen es die
       Wählerinnen und Wähler. Nicht wenige sprechen von der „letzten Chance“, die
       das sorbische Volk erhält, bevor es endgültig durch Sprach-, Kultur- und
       Heimatverlust in der deutschen Mehrheitsgesellschaft aufgegangen sein wird.
       
       Daher geht es neben den großen Zielen natürlich auch um sehr konkrete
       Anliegen. Etwa um kleinere Schulen, [2][an denen sorbisch unterrichtet
       wird] und um genügend Lehrerinnen und Lehrern, die den Unterricht
       bestreiten können. Es geht um stärkere Sichtbarkeit in den
       öffentlich-rechtlichen Medien, um ein gutes nachbarschaftliches Verhältnis
       zu den Tschechen und Polen und darum, den Strukturwandel in der Lausitz
       mitzugestalten.
       
       Über Jahrhunderte und unter verschiedenen politischen Systemen [3][blieben
       die Sorben fremdbestimmt]. Nach kultureller Unterdrückung durch Preußen,
       nach der Assimilierungs- und Eindeutschungspolitik der Nazis und nach der
       rabiaten Industrialisierung in der DDR, bei der über hundert sorbische
       Dörfer abgebaggert wurden, um Braunkohle zu fördern, bekennen sich heute
       geschätzt 60.000 Menschen zum sorbischen Volk, wobei nicht mehr alle von
       ihnen die sorbische Sprache beherrschen.
       
       Die Sprache untergliedert sich in Obersorbisch, das in der Region um
       Bautzen gesprochen wird, und Niedersorbisch rings um Cottbus. Die
       Niedersorben nennen sich selbst Wenden.
       
       ## Die Wahl kommt in den Medien kaum vor
       
       Es sind nicht diese Feinheiten, die es der Initiativgruppe schwer machen,
       sich Gehör zu verschaffen. „Wir kämpfen mit den geringsten Mitteln, die man
       sich vorstellen kann“, sagt Hagen Domaschke, der Wahlleiter. Das gesamte
       Projekt ist ehrenamtlich organisiert und mit Spenden finanziert. Wichtig
       sei, dass die Kandidatinnen und Kandidaten überhaupt bekannt werden, sagt
       Domaschke. Das ist alles andere als leicht, denn in den regionalen Medien
       kommt die Wahl zum Serbski Sejm kaum vor.
       
       Außerdem hat die Initiative für den Serbski Sejm einen mächtigen Gegner –
       und der kommt aus den eigenen Reihen. Es ist die Domowina, zu Deutsch
       Heimat. Die Organisation wurde 1912 als Dachverband sorbischer Vereine
       gegründet, ist in der Ober- und Niederlausitz gut organisiert und sie sieht
       sich als legitime Vertreterin aller Sorbinnen und Sorben und ihrer Belange.
       Aus Sicht der Domowina ist eine neue Vertretung vollkommen überflüssig.
       
       David Statnik, Vorsitzender der Domowina, betont immer wieder, dass die
       Initiative für den Serbski Sejm mit ihrem Wahlaufruf nur eine kleine Gruppe
       erreiche. Die Domowina hingegen repräsentiere nicht weniger als 7.300
       Mitglieder. Kritiker, unter ihnen die Initiatoren des Serbski Sejm, geben
       zu bedenken, dass die Domowina über keine demokratische Legitimation
       verfügt und daher politisch wirkungslos ist.
       
       ## Jahrelang wurde nur diskutiert
       
       Was die genaue Wahlbeteiligung betrifft, hüllt sich Wahlleiter Hagen
       Domaschke zwar in Schweigen, betont allerdings, dass es nach Bekanntgabe
       der Kandidatenliste eine äußerst rege Beteiligung gegeben habe und dass
       weiterhin täglich neue Registrierungen eingehen. Bisher sei es vielen
       Leuten zu abstrakt gewesen, sagt Domaschke. Jahrelang wurde über den
       Serbski Sejm nur diskutiert. „Jetzt sehen sie, dass es wahr geworden ist.“
       
       Was für die Sorbinnen und Sorben noch in der Zukunft liegt, ist andernorts
       in Europa längst Normalität. Die Sami in Skandinavien haben ihre eigene
       Vertretung, so wie es sie auf den Aland-Inseln in Finnland gibt oder im
       italienischen Aosta-Tal. Kleine, autochthone Völker bestimmen über ihre
       Geschicke selbst. Noch in diesem Jahr soll der Serbski Sejm erstmals
       zusammentreten.
       
       9 Oct 2018
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Thomas Gerlach
       
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