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       # taz.de -- Bouffier im CDU-Wahlkampf in Hessen: Vom harten Hund zum Landesvater
       
       > Volker Bouffier will als Chef einer schwarz-grünen Koalition
       > wiedergewählt werden. Dafür setzt er auf Bilder mit süßen Schafen und auf
       > Polemik.
       
   IMG Bild: Volker Bouffier muss in Hessen mehr retten als nur seine schwarz-grüne Koalition
       
       Aus den Lautsprechern im Saal des Historischen Museums in Frankfurt wummern
       die Beats. Zu den Akkorden von „Eye of the Tiger“ der US-Band Survivor
       zieht der Hauptredner des Abends ein: Hessens Ministerpräsident Volker
       Bouffier, CDU, in seinem Gefolge Ehefrau Ursula.
       
       Hundert Sympathisanten sind an diesem Tag ins Museum gekommen. Für 50 mehr
       wäre Platz gewesen. Der 66-jährige Routinier Bouffier gibt sich
       siegessicher: Bei seinem Einmarsch in den Saal reißt er die Hände hoch. Das
       Publikum hat sich klatschend erhoben. Bouffier ballt die rechte Hand zur
       Boris-Becker-Faust. Ein bisschen gewollt wirkt die Szene; der Mann, der
       bereits das Rentenalter erreicht hat, demonstriert frische Tatkraft und
       Stärke.
       
       Dabei läuft es zur Zeit nicht ganz rund für den Kandidaten. Am 28. Oktober
       wird in Hessen ein neuer Landtag gewählt. In Umfragen steht die CDU, die
       2013 noch 38 Prozent der Stimmen holte, derzeit bei rund 30 Prozent. Die
       schlechte Figur der Schwesterpartei CSU rund um die Bayernwahl könnte die
       Werte weiter runterziehen.
       
       Es wird eng für Bouffiers schwarz-grüne Regierungskoalition, die erste in
       einem Bundesland, die eine ganze Legislaturperiode gehalten hat. Selbst
       eine Mehrheit von Rot-Rot-Grün scheint nach letzten Umfragen nicht mehr
       ganz ausgeschlossen.
       
       ## „Und seine liebe Frau“
       
       Bouffier muss in Hessen mehr retten als nur seine schwarz-grüne Koalition.
       Der Bundesvize der CDU unterstützt die liberale Linie von Kanzlerin Angela
       Merkel. In der Partei ist er einer ihrer wichtigsten Mitstreiter. Ob die
       CDU Merkel nach einem Scheitern Bouffiers auf dem Bundesparteitag im
       Dezember noch einmal zur Vorsitzenden wählen würde, ist ungewiss.
       
       Auf der Wahlkampfveranstaltung in Frankfurt lässt er sich davon nichts
       anmerken. Seine Frau und er thronen auf Barhockern, zwischen ihnen gibt
       Caroline Bosbach die Gastgeberin. Die Tochter des CDU-Politikers und
       ungekrönten Königs aller Talkshows stellt „unserem Ministerpräsidenten und
       seiner lieben Frau“ artige Fragen.
       
       Bouffier präsentiert sich als Familienmensch, berichtet von drei Kindern,
       zwei Enkeln und zahlreichen Nichten und Neffen. Er bekennt sich auch zu
       seinen Schwächen: „Ich kann vieles, kochen gehört nicht dazu.“ Ehefrau
       Ursula berichtet vom Urlaub an der Algarve.
       
       Ihr Mann werde von Menschen erkannt und in ein Gespräch verwickelt. Er höre
       dann geduldig zu. Sie sei es, die oft nach spätestens dreißig Minuten
       interveniere. „Das ist aber ein netter Mann“, höre sie dann im Weggehen,
       „aber leicht hat er’s nicht bei der Frau.“
       
       ## Zu nah an der Queen
       
       Seit 36 Jahren ist Bouffier in der hessischen Landespolitik aktiv. Vier
       Jahre war der Volljurist Justizstaatssekretär, elf Jahre lang
       Innenminister, seit acht Jahren ist er Ministerpräsident. Das Image des
       harten Hunds, das er sich als Innenminister erworben hatte, hat er
       inzwischen abgelegt. Nun gibt er den Landesvater und stellt bunte Bilder:
       Im hessischen Hungen lässt er sich mit Schäfern und dem Lamm Marie, dessen
       Pate er ist, ablichten, im Freizeitpark reitet er auf dem
       überdimensionierten Huhn des „Gickelkarussells“.
       
       Er schüttelt Hände und klopft Schultern, wo immer sich die Gelegenheit
       bietet. Beim Bankett zu Ehren der Queen habe ihr Mann sogar den Arm auf die
       Lehne der Königin gelegt, ein schwerer Verstoß gegen das Protokoll,
       berichtet in Frankfurt kichernd seine Ehefrau. Der hessische Protokollchef
       sei fast vom Schlag getroffen worden.
       
       Im politischen Teil des Abends platziert Bouffier seine einfach Botschaft:
       Den Hessen geht es so gut wie nie. Zu ihm und seiner Partei gibt es keine
       wirkliche Alternative. „Damit Hessen stark bleibt, CDU“ steht auf den
       Wahlplakaten.
       
       Im Sommerinterview des hessischen Fernsehens nennt Bouffier „beispielhaft“
       zwei Gründe, warum er sich mit 66 Jahren noch einmal auf das Amt des
       Regierungschefs bewirbt: Er wolle die Digitalisierung voranbringen,
       schließlich gebe es in Hessen noch immer Funklöcher. Und er wirbt für das
       bürgerschaftliche Engagement. Die Ehrenamtler seien der Kitt für den
       Zusammenhalt der Gesellschaft, sagt er, und verspricht, für die Inhaber der
       Ehrenamtscard eine Preisreduzierung im öffentlichen Nahverkehr einzuführen.
       
       ## AfD und „Brandstifter“
       
       Zweimal geht bei der Veranstaltung in Frankfurt ein Raunen durch den Saal;
       als der CDU-Bundesvize verspricht, es werde [1][in Frankfurt keine
       Dieselfahrverbote geben], und als er feststellt, der Unterrichtsausfall an
       hessischen Schulen sei überwunden, die Landesregierung habe genügend
       Lehrerinnen und Lehrer eingestellt. Bei diesen Sätzen beschleichen selbst
       eingefleischte CDU-Anhänger Zweifel. Sie bejubeln indes jeden Satz, mit dem
       sich Bouffier von der AfD abgrenzt.
       
       Alexander Gauland, mit dem er vor der Jahrtausendwende sogar in einem
       Kabinett zusammengearbeitet hat, bezeichnet Bouffier als einen
       „Brandstifter im karierten Jackett“. Die Brandmauer zum Extremismus und
       Nationalsozialismus wolle Gauland einreißen, sagt Bouffier und bekommt
       Beifall.
       
       Und auch die Linken bedrohten die freiheitliche Grundordnung; „Rot und
       braun waren schon immer nah beieinander, Herr Gauland und Frau Wagenknecht
       verstehen sich gut“, polemisiert Bouffier und kommt auch damit gut an.
       Schließlich die Warnung: „Wer AfD wählt, bekommt am Ende Rot-Rot-Grün in
       Hessen“, droht der Ministerpräsident.
       
       Zum Abschied appelliert Bouffier eindringlich an alle im Saal, im Endspurt
       um jede Stimme zu kämpfen: „Es geht um alles!“, ruft er. Dann reklamiert
       Stadtrat Jan Schneider das Schlusswort für sich. Den einzigen beiden
       „Damen“, die an diesem Abend zu Wort kamen – der Gattin des
       Ministerpräsidentin und der „lieben Caroline Bosbach“ – überreicht
       Schneider Blumensträuße. Das ganze erinnert an eine patriarchale
       Familienfeier. Am Ende dann noch mal Hardrock von Survivor.
       
       ## Noch immer mit dabei
       
       Der Name der Band bedeutet Überlebende, Überlebenskünstler oder auch
       Hinterbliebene. Das alles passt zum Kandidaten. Bouffier ist in der
       Bundespolitik der letzte Akteur aus dem legendären Andenpakt, zu dem sich
       1979 bei einer Südamerikareise ein Dutzend damals junge
       CDU-Nachwuchspolitiker verbunden hatten. Sie versprachen sich, niemals
       gegeneinander anzutreten.
       
       Einer von ihnen, Christian Wulff, wurde Bundespräsident. Wie er und
       Bouffier regierten vier weitere zeitweise als Ministerpräsidenten ihres
       Landes oder als Bundesminister. Allein Bouffier mischt auch 40 Jahre danach
       noch ganz vorne mit. „Ich habe so viele kommen und gehen sehen“, sagt er
       gerne, wenn er auf ein mögliches Karriereende angesprochen wird.
       
       Dass es ihm vor fünf Jahren gelang, die einst verfeindeten Lager im ersten
       schwarz-grünen Bündnis in einem Flächenland zusammenzuführen, gilt als
       Bouffiers Meisterstück. Er ist am Ziel und will das noch ein paar Jahre
       genießen. Dass die Hessen mit seiner Regierung zufrieden sind und die CDU
       in Umfragen trotzdem im Keller gelandet ist, versteht der alte Kämpe nicht
       wirklich.
       
       ## Zu hart, zu soft
       
       „Es ist doch unsinnig, etwas zu ändern, wenn es gut läuft“, sagt er. Auch,
       dass er hinter den Popularitätswerten anderer Ministerpräsidenten
       zurückliegt und sogar hinter denen seines grünen Stellvertreters, ist für
       Bouffier unverständlich.
       
       Doch die Metamorphose vom harten Hund zum Landesvater nehmen ihm nicht alle
       ab. Schließlich haben mehrfach Gerichte von ihm durchgedrückte
       Sicherheitsgesetze kassiert, weil sie nicht mit der Verfassung vereinbar
       waren. Und die Sympathisanten des erzkonservativen Flügels der hessischen
       CDU hat die Kuschelkoalition mit den Grünen irritiert. Glaubt man den
       Umfragen, profitiert nicht Bouffiers Partei von der geräuschlosen Arbeit
       der Regierung, sondern der grüne Partner.
       
       Was er lieber macht, Enkel hüten oder Akten lesen, wurde Bouffier im
       Sommerinterview des hessischen Rundfunks gefragt. „Eindeutig Enkel hüten“,
       war seine Antwort. Es könnte sein, dass Bouffier dafür nach dem 28. Oktober
       mehr Zeit hat. Wahrscheinlich ist es aber nicht.
       
       17 Oct 2018
       
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