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       # taz.de -- SPD bei der Bayernwahl: Die historische Verliererin
       
       > Noch nie hat die SPD bei einer Landtagswahl in der Bundesrepublik so
       > schlecht abgeschnitten wie jetzt in Bayern. Es herrscht Frust.
       
   IMG Bild: Ein deprimierender Wahlabend für die SPD und ihre Spitzenkandidatin Natascha Kohnen (Mitte)
       
       Ein Mädchen mit blondem Haar, gelbem Pulli und großer Brille hält eine
       regenbogenfarbene Schultüte im Arm und schaut vorsichtig lächelnd an der
       Kamera vorbei. Auf den Rücken hat sie ihren Schulranzen geschnallt. Am
       Donnerstag, dem Weltmädchentag, [1][postet Natascha Kohnen ein
       Kindheitsfoto von sich auf Twitter]. Ihre Mutter, schreibt sie dazu, habe
       sie „immer ermutigt, meinen Weg zu gehen.“
       
       Stärke und Gelassenheit wird Natascha Kohnen, 50, Landeschefin und
       Spitzenkandidatin der Bayern-SPD, nun brauchen. Ihr Name ist jetzt für
       immer mit einem politischen Drama verbunden. Es ist keine Neuigkeit, dass
       die Sozialdemokratie im Freistaat seit jeher darbt wie ein vertrocknetes
       Alpenveilchen in der Felsspalte. [2][Aber die 9,7 Prozent], auf die Kohnens
       Truppe nun abgerutscht ist, sind eine historische Niederlage. Das Ergebnis
       täte „unglaublich weh“, sagte Kohnen am Wahlabend in München.
       
       Kaum weniger deprimiert zeigte sich die SPD-Partei- und
       Bundestagsfraktionsvorsitzende Andrea Nahles in Berlin. „Dies ist ein sehr
       schlechtes Ergebnis für die SPD“, sagte sie im Willy-Brandt-Haus. Es sei
       „bitter“, dass ihre Partei die Wählerinnen und Wähler nicht habe überzeugen
       können. „Sicherlich ist einer der Gründe für das schlechte Abschneiden auch
       die schlechte Performance der Großen Koalition hier in Berlin“, zeigte sich
       Nahles selbstkritisch. „Fest steht, das muss sich ändern.“ Kohnen dankte
       sie für ihren großen Einsatz.
       
       Wie umstandslos die WählerInnen Kohnen durchfallen ließen, ist dabei nicht
       leicht nachzuvollziehen. Eigentlich machte sie ihren Job nicht schlecht.
       Kohnen rackerte wie eine Verrückte, reihte 15-Stunden-Tage aneinander,
       tingelte durch die Städte. Sie schob konsequent soziale Themen wie den
       Wohnungsbau nach vorne. Sie weigerte sich beharrlich, auf das Gepolter der
       CSU in der Flüchtlingspolitik einzusteigen.
       
       Bei einem Forum der Nürnberger Nachrichten las sie dem Ministerpräsidenten
       vor der Wahl ruhig die Leviten. Seehofers Satz, dass sich die CSU „bis zur
       letzten Patrone“ gegen Zuwanderung in die Sozialsysteme sträuben werde, sei
       „unglaublich gefährlich“. Der massige Söder schaute neben der zierlichen
       Frau nach unten, fast konnte man denken – beschämt. Der Treffer saß. Doch
       Kohnen konnte ihre SPD nicht aus dem Abwärtssog befreien. Nicht sie wurde
       im Wahlkampf die weibliche Anti-Söder, sondern die Grüne Katharina Schulze.
       
       Die Gründe für den Absturz sind vielfältig. Klar ist: Kohnen, die erst im
       Mai 2017 den Landesvorsitz übernahm, erbte einen desolat aufgestellten
       Laden. Aber auch persönliche Schwächen werden ein Thema sein. War ihr
       leiser, kaum zuspitzender Stil zeitgemäß? War die Bayern-SPD zu vorsichtig,
       um in sozialen Netzwerken durchzudringen, die nach steilen Thesen gieren?
       
       Sicher spielte auch der Frust über die Große Koalition in Berlin eine
       Rolle. Das Schweigen der SPD-Spitze zu den Provokationen der CSU, die
       absurde Dominanz der Flüchtlingspolitik, die alles überstrahlte,
       schließlich der Fall Maaßen – all das schadete Kohnens Wahlkampf. Als
       Nahles mit Merkel und Seehofer verabredete, den umstrittenen
       Verfassungsschutzchef in den Rang eines Staatssekretärs wegzuloben, war
       Kohnens Geduld am Ende. Sie schrieb einen Brandbrief an Nahles. Es war
       eines der seltenen Male, dass sie auf den Putz haute. Nahles lenkte ein und
       verhandelte neu.
       
       Genutzt hat es Kohnen nichts. Die leise Spitzenkandidatin steht vor einem
       Trümmerhaufen. Die SPD befinde sich „im freien Fall“, sagte der langjährige
       Münchner Oberbürgermeister Christian Ude konsterniert am Wahlabend. Nach
       den „erdrutschartigen, existenzbedrohenden Verlusten“ seien jetzt
       „grundlegende Konsequenzen erforderlich“, forderte er. „Da muss alles auf
       den Prüfstand.“
       
       ## Erste Rücktrittsforderungen noch am Wahlabend
       
       Was etwas verklausuliert, aber doch eindeutig auch auf Kohnen zielte. So
       erinnerte Ude an die frühere nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin
       Hannelore Kraft, die sich nach ihrer schweren Wahlniederlage 2017 umgehend
       aus der Politik zurückzogen hatte. An einem solchen „Beispiel von Haltung,
       Verantwortung und Konsequenz“ käme jetzt auch die Bayern-SPD nicht vorbei.
       
       Mit Ude als Spitzenkandidaten war die SPD bei der Landtagswahl 2013 noch
       bei 20,6 Prozent gelandet. Jetzt hat sich die WählerInnengunst für seine
       Partei mehr als halbiert. Im Freistaat ist die SPD hinter CSU, Grünen,
       Freien Wählern und AfD nur noch fünftstärkste Kraft.
       
       Noch ungeschminkter den Rücktritt von Kohnen forderte der bayrische
       SPD-Bundestagsabgeordnete Florian Post. „Heute kann es keine andere
       Reaktion geben, als alles – Personal, Programm und Kampagne – komplett in
       Frage zu stellen und endlich wirklich Konsequenzen zu ziehen“, sagte er dem
       RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Ich sehe keine Alternative zu einem
       sehr schnellen Vorziehen des ordentlichen Landesparteitages mit Neuwahlen.“
       Das forderte auch der SPD-Landtagsabgeordnete Florian von Brunn. „Man kann
       die Verantwortung jetzt nicht nur nach Berlin abschieben“, sagte er.
       
       „Das wird ein langer, harter Weg, uns da wieder herauszuarbeiten“, sagte
       eine zutiefst frustrierte Natascha Kohnen am Sonntagabend in München. „Wir
       werden in den nächsten Wochen über alles reden“, kündigte sie an. Auch über
       ihre politische Zukunft werde dabei gesprochen: „Wenn ich sage, über alles,
       dann meine ich: über alles.“ Es gehe nun darum, den „Glauben an die
       Sozialdemokratie“ wieder herzustellen. Das gehe nur mit einer ganz klaren
       Haltung. „Die Menschen müssen wieder glauben, was wir sagen“, sagte Kohnen.
       
       In der Geschichte der Bundesrepublik landete die SPD bisher nur ein
       einziges Mal bei einer Landtagswahl unter zehn Prozent, mit 9,8 Prozent
       2004 in Sachsen. Nach dem vorläufigen amtlichen Endergebnis liegen Natascha
       Kohnen und die Bayern-SPD darunter. Noch ein historischer Negativrekord.
       Traurige Zeiten für SozialdemokratInnen.
       
       15 Oct 2018
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://twitter.com/NataschaKohnen/status/1050351682289369088
   DIR [2] /Ergebnis-der-bayerischen-Landtagswahl/!5541350
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ulrich Schulte
   DIR Pascal Beucker
       
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