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       # taz.de -- Ende des Berliner Musikmagazins: Krach, bum! Spex kaputt
       
       > Am Jahresende nach 38 Jahren wird die letzte Nummer des Berliner
       > Musikmagazins „Spex“ erscheinen. Stimmen zum Ende einer Ära.
       
   IMG Bild: Oh Schreck! Ende es Jahres ist „Spex“ passé
       
       ## Alleine alt werden
       
       Am 7. Oktober postet Spex [1][auf Instagram] zum 50. Geburtstag von Thom
       Yorke: „Jetzt gemeinsam alt werden“ – und kassiert dafür einen einzigen
       Kommentar. Nun wissen wir: Thom Yorke und wir alle müssen nun ohne sie alt
       werden – obwohl Musik in der gigantischen Jukebox Internet so was von
       around ist und wir die kuratierende Diskurshand der alten Tante Spex
       dringender bräuchten denn je. Als ich in den frühen 80ern als Teenager zum
       ersten Mal eine Spex in der Hand hielt, damals in einem riesigen Format und
       schwarz-weiß, mir weitergereicht vom heutigen taz-Musikredakteur, hat das
       Differenz markiert: Gerade die Widerborstigkeit, der journalistische
       Free-Jazz und die, heute würde man sagen: Longreads, die Diskurstiefe und
       die unbedingte Neugier haben Spex zur Lieblingslektüre unserer Redaktion
       werden lassen. Diskurs und Popkultur gemeinsam zu denken und schreiben, das
       war ihre Lebensleistung. Clara Drechsler, Jutta Koether, die
       Diederichsen-Brüder und viele andere waren Influencer für uns. Wahrlich die
       Musik zur Zeit. Jetzt und unbedingt. Vielleicht könnte es Sinn ergeben,
       wenn Teile der Redaktion das Heft wieder selbst in die Hand nehmen und ein
       neues Magazin auf den Markt werfen – unbeugsam, scharf und im Eigenverlag,
       so wie in den Anfangszeiten, eben nur anders.
       
       Michael Bartle, „Zündfunk“, Bayern 2 
       
       ## Jungsverein
       
       Indie war nie mein Ding, deshalb habe ich Spex erst spät in den
       Zehnerjahren kennengelernt. Ich war schon Journalistin, durfte für sie
       schreiben und zwei Blattkritiken in der Redaktion machen. Ich verriss sie:
       Jungsverein, zu weiß, zu privilegiert. Die Redaktion nahm die Kritik
       superernst, gab ihr Bestes, das Blatt diverser zu gestalten. Schade, dass
       Spex mitten auf dem Weg in eine Zukunft nun eingestellt wird. Andererseits:
       Komisch, dass es so lang gedauert hat. Musikjournalismus in dieser Form hat
       leider nicht mehr viel mit unserer Zeit zu tun. Die CDs, die jeder Ausgabe
       beiliegen, wollte ich kürzlich verschenken – niemand, den ich kenne,
       besitzt mehr ein Laufwerk, das sie abspielt.“
       
       Fatma Aydemir, taz-Redakteurin 
       
       ## Lautes Seufzen
       
       Mich macht die Nachricht vom Ende der Spex traurig, man hätte mich laut
       seufzend am Schreibtisch sehen können … Nach dem Ende von de:bug, Intro,
       Groove haben viele über das Ende der Spex spekuliert. Mich betrübt vor
       allem der Verlust der Meinungsvielfalt. Wer oder was ersetzt sie in
       Zukunft? Marken vielleicht? Ich hoffe die taz bleibt …
       
       Katja Lucker, Musicboard Berlin
       
       ## Kostenloses Download
       
       Mich regt auf, dass von den Menschen, die um mich herum Musik hören, also:
       jede*r, niemand mehr Geld für Musik ausgibt – weder für Downloads noch für
       Tonträger geschweige denn für Musikmagazine. Insofern: selber schuld.
       Gleichzeitig wird es weiterhin Interesse an Inhalten geben, insofern freue
       ich mich auf den Musikjournalismus von morgen, für den ich sehr gerne
       zahlen werde.“
       
       Martin Hossbach, Labelbetreiber und Kurator
       
       ## Sprechen und Denken
       
       Mit Spex habe ich sprechen und denken gelernt. Als ich sie zum ersten Mal
       kaufte, verstand ich kein Wort. Die Verwirrung führte dazu, dass ich nicht
       genug von diesen kryptischen und idiosynkratischen Schreibweisen bekommen
       konnte. Vielen Provinz-Jugendlichen ging es so. Anhand von Musik wurde
       hier, konkret am Material arbeitend und davon auch höher strebend, Theorie
       entwickelt. [2][Diedrich Diederichsen] und Jutta Koether stellte ich mir
       vor wie Philippe Sollers oder Julia Kristeva von Tel Quel. All das, was an
       der Universität und in Politzirkeln nie vorkam, kam hier vor: Cultural
       Studies, Theweleit, Sonic Fiction. Als ich selber für sie geschrieben habe
       und Redakteur*innen persönlich kennengelernt hatte, war der Mythos
       entzaubert, aber es bildeten sich neue Kommunikations-, und
       Liebesbeziehungen. Gerade in den letzten Jahren unter den letzten drei
       Redaktionen wurde wieder, vorwiegend von geförderten AutorINNEN versucht,
       neue angemessene Sprachen zu testen. Fuck austerity!
       
       Pascal Jurt, Ex-Kurator, HAU-Berlin
       
       ## Jenseits des Algorithmus
       
       Für Buback ist das ein Schock, weil wir seit September 1980 die Spex immer
       gelesen haben. Es war für uns der einzige Halt, neue Musik zu entdecken.
       Neue Musik zu entdecken geht weit über den Algorithmus hinaus. Für uns
       stellt sich jetzt die Frage, wie kriegen wir es als kleines Label hin,
       HörerInnen auf unsere Künstler zu stoßen. Spex war immer Türöffner, für uns
       als Label, aber auch für Musikjournalisten, für Radiosender. Ihre Inhalte
       hatten gewisse Relevanz. Wir müssen uns nun neue Wege überlegen, wie wir an
       unsere Kundschaft kommen. Social Media ist zwar sinnvoll, reicht aber nicht
       aus, auch Spotify spielt unsere Musik nicht aus. Unsere Musik findet nicht
       in Playlisten statt. Tocotronic ist eine der Bands, die die meisten
       Spex-Titelgeschichten hatte. Ein Mist das.
       
       Stephan Rath, PR Buback, Tocotronic-Management, Drummer der Goldenen
       Zitronen
       
       ## Unfehlbare Coolness
       
       Ende der 1990er hatte ich in Hamburg Kerstin und Sandra Grether kennen
       gelernt. Als eine der beiden erwähnte, sie könne vermitteln, dass ich für
       die Spex schriebe, wäre ich beinahe in Ohnmacht gefallen. Schreiben für die
       Spex! Das wäre damals mein persönlicher Nobelpreis gewesen – in einer
       Disziplin, die nach wie vor nicht offiziell ausgezeichnet wird:
       Popkultur-Expertise und -Distinktion. Bis ich endlich in diesem von mir und
       meinen Peers so begehrten und ob seiner unfehlbaren Coolness so bewunderten
       Magazin schreiben durfte, sollte es noch dauern. Natürlich war Coolness qua
       Popkultur-Distinktion mit über 40 nicht mehr so euphorisierend wie als
       Teenager und dadurch, dass man viele Spexianer*innen persönlich kannte, war
       der Glamour des Unerreichbaren nicht mehr so blendend. Wenn ich mir
       vorstelle, dass es das Magazin, über das ich schon so oft gesagt habe, dass
       es meine eigentliche Universität war, weil dort blitzschnell reflektiert
       wurde, fühlt sich das so an, als wäre eine mir nahestehende Person
       gestorben. Mit dem Ende der Spex ist eine Ära des pointierten Nachdenkens
       über Pop zu Ende gegangen. In der Redaktion von Missy hatten wir Witze
       gerissen, dass am Ende nur wir als unabhängiges Popmagazin übrig bleiben
       werden, auch wenn wir manchmal verzweifelt sind über die sexistische Logik
       von Plattenfirmen, die große Interviewreisen und Coverstorys reflexhaft an
       eher jungslastige Magazine vergeben, fühlt es sich entsetzlich an, dass wir
       dieser Situation jetzt erschreckend nahe gekommen sind. Was so viele
       interessante Positionen, Stimmen und Inhalte hervorgebracht hat, kann nicht
       einfach auf einmal zu Ende sein, weil ein Unternehmer den Geldhahn zudreht.
       Denke ich mir und wünsche ich mir.
       
       Sonja Eismann, Mitgründerin des „Missy Magazins“ und „Spex“-Autorin
       
       ## Sozialer Ort
       
       Ich habe mich im Frühjahr 2018 als Chefredakteur von Spex verabschiedet, da
       ich vom Verlag mit einer weiteren personellen Kürzung der Redaktion
       konfrontiert wurde, die ich nicht mittragen wollte. Die Nachricht von der
       Einstellung des Magazins trifft mich nun sehr, überrascht mich allerdings
       nur bedingt. Bekanntlich ist die Marktlage seit Jahren äußerst schwierig
       und hat sich in bestimmten Aspekten zuletzt weiter verschärft, grundlegende
       Reaktionen darauf wurden versäumt. Ich konnte im Kurs, den der Verlag
       zuletzt eingeschlagen hat, keine erfolgversprechende Orientierung für die
       Zukunft und eine langfristige Sicherung des Titels mehr erkennen. Für die
       Popkultur und die Medienlandschaft im deutschsprachigen Raum ist die
       Einstellung der Spex eine erschütternde Nachricht. Selbst wenn die
       Verkaufszahlen am Kiosk zuletzt nicht überragend waren – das waren sie in
       der Geschichte des Hefts nie wirklich –, ist der Einfluss von Spex als
       Schauplatz für popkulturelle Diskurse und auch als sozialer Ort nicht zu
       überschätzen. Das gilt auch für die jüngsten Jahre, erst recht für die
       beispiellose Geschichte des Magazins. Ich hätte mir gewünscht, ich würde
       nie in die Verlegenheit kommen, zum Ende der Spex eine Stellungnahme
       abgeben zu müssen.
       
       Arno Raffeiner, Ex-„Spex“-Chefredakteur
       
       15 Oct 2018
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.instagram.com/spexmagazin/?hl=de
   DIR [2] /Diedrich-Diederichsen-ueber-die-Spex/!5063210
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Julian Weber
   DIR Tim Caspar Boehme
       
       ## TAGS
       
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