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       # taz.de -- Wahlkampf der Hessen-SPD: Kandidat im Countdown-Modus
       
       > SPD-Spitzenkandidat Thorsten Schäfer-Gümbel will in Hessen der Misere der
       > GroKo trotzen. Er kämpft um eine alte rot-grüne Freundschaft.
       
   IMG Bild: Unterwegs nach Rüsselheim: Thorsten Schäfer-Gümbel will Volker Bouffier (CDU) schlagen
       
       Wiesbaden/Rüsselsheim taz | In der schwarzen Umhängetasche des hessischen
       [1][SPD-Kandidaten Thorsten Schäfer-Gümbel] steckt eine Art Zeitzünder. Es
       ist eine Uhr auf seinem iPad, sie zählt die Tage herunter, die Stunden,
       Minuten, Sekunden. Wenn der Zähler auf null steht, könnte der SPD-Vorsitz
       von Andrea Nahles erschüttert werden, die Kanzlerschaft von Angela Merkel
       in Gefahr geraten oder die Große Koalition in Berlin detonieren. Es könnte
       auch ein sagenhaftes grünes Feuerwerk am Himmel aufleuchten. Vor allem
       aber: Der Traum von Thorsten Schäfer-Gümbel, 49 Jahre alt, eines Tages
       Ministerpräsident von Hessen zu werden, könnte zu Ende sein.
       
       Die Tasche lehnt jetzt neben ihm auf der Sitzbank im Okinii, einem
       japanischen Restaurant in der Innenstadt von Wiesbaden. Schäfer-Gümbel isst
       hier zu Abend, er hat schon Sushi bestellt, dazu scharf eingelegten
       Chinakohl und Spinat mit Sesamsoße. Seine Frau, Annette Gümbel, trinkt
       einen Grauburgunder, er einen Ingwertee. Es ist 20.13 Uhr. In zwei Minuten
       beginnt im Hessischen Fernsehen das am Mittag aufgezeichnete Fernsehduell
       der Spitzenkandidaten. Herausforderer Schäfer-Gümbel gegen
       Ministerpräsident Volker Bouffier von der CDU. Aber im Okinii läuft kein
       Fernseher. „Was ich hier vor allem mag, ist, dass man Strafe zahlen muss,
       wenn man nicht aufisst und verschwendet“, sagt der Sozialdemokrat.
       
       Seine gute Laune ist schon erstaunlich: Die SPD liegt deutschlandweit
       zwischen 14 und 15 Prozent, in Bayern hat sie gerade ein 9-Prozent-Ergebnis
       verpasst bekommen. Immerhin, in Hessen sind es gut 20 Prozent. Aber
       trotzdem: Die Misere der Berliner Groko packt Schäfer-Gümbel am Kragen, und
       der Erfolg der Grünen tritt ihm in den Hintern.
       
       Alle reden vom Bundestrend und der bundesweiten Bedeutung der Hessenwahl.
       Merkels Position in ihrer Partei würde sich noch verschlechtern, wenn die
       hessische CDU nach 19 Jahren in die Opposition gehen müsste. Umgekehrt
       würde ein weiteres Desaster für die Sozialdemokratie die Bundesvorsitzende
       Nahles erschüttern, und der Druck in der SPD, die Groko in Berlin zu
       kündigen, wüchse. Deshalb blicken so viele nach Hessen, deshalb gucken so
       viele an diesem Abend das hessische Fernsehduell.
       
       Nur Schäfer-Gümbel isst Sushi.
       
       Alle schauen auf ihn, da muss er sich nicht selbst im Fernsehen anschauen.
       Es ist ein bisschen wie im Winter 2008, als die Rot-Rot-Grün-Pläne von
       Andrea Ypsilanti scheiterten und er gegen Roland Koch von der CDU antreten
       musste. Wobei er damals völlig unvorbereitet war; das Stück hieß „Nobody
       gegen den Oberbösen“. Aber nachdem die Witze über seinen Doppelnamen und
       seine flaschenbodendicke Brille abgefeiert waren, wunderte sich die
       Republik: Ups, der kann ja was.
       
       ## Schäfer-Gümbel droht nur der dritte Platz
       
       Am Sonntag wird sich an Schäfer-Gümbel zeigen, inwieweit sich ein
       Landespolitiker überhaupt noch wehren kann gegen die Wellenbewegungen aus
       Berlin. In Hessen, wo früher niemand gedacht hätte, dass eine schwarz-grüne
       Regierung überhaupt zustande käme, kann man zudem etwas über das Verhältnis
       von SPD und Grünen lernen. In dem Bundesland, in dem einst Joschka Fischer
       als Minister in Turnschuhen Rot-Grün verkörperte, könnte er sich ereignen:
       der Platztausch, nach dem Grün vor Rot steht. Nicht in Baden-Württemberg
       oder Bayern, da krebst die SPD schon ewig herum, sondern in Hessen, wo die
       Partei stolz und verankert ist. Dort droht ihr nun ebenfalls der
       Grün-Rot-Moment. Es sei denn, Schäfer-Gümbel verhindert ihn.
       
       Den Countdown auf dem iPad hat Schäfer-Gümbel eingerichtet, als ihm ein
       Freund abhandenkam. Das war an einem Samstag im Januar 2014. An diesem Tag
       wurde die neue schwarz-grüne Landesregierung in Wiesbaden vereidigt. Er
       schaute aus der ersten Reihe des Landtagsplenums dabei zu, wie erst
       Bouffier wiedergewählt und später der Grüne Tarek Al-Wazir Verkehrsminister
       wurde. Gemeinsam hatten Schäfer-Gümbel und Al-Wazir gegen Koch gekämpft,
       gemeinsam hatten sie Bouffier herausgefordert.
       
       „Tarek und Thorsten, das war eine gute politische Freundschaft“, sagt
       Annette Gümbel am Tisch im Okinii. „Zwei junge Politiker, die damals
       gemeinsam was wollten fürs Land.“ Doch dann regierte nur Tarek. Und
       Thorsten hockte in der Opposition.
       
       Auf dem iPad in seiner Tasche laufen die Tage, Stunden, Minuten und
       Sekunden, aber die eigentliche Zeitrechnung des Thorsten Schäfer-Gümbel
       reicht viel weiter. Sie umfasst seine Mutter, eine strenge Katholikin.
       Seinen Vater, der Zeitsoldat war und dann Lkw-Fahrer; als er lange ins
       Krankenhaus musste, kümmerte sich Thorsten in der Wohnung in Gießen um die
       drei jüngeren Geschwister. Seine Frau Annette, die er im Studium
       kennenlernte und die ihn auffing, als er als Student den Halt verlor. All
       das hat ihn geprägt.
       
       Die Augen wirken kleiner, als sie sind, hinter der dicken Brille, aber sie
       können einen festnageln, der Blick ist verbindlich, manchmal auch zornig.
       Er hat das alles nicht gemacht, um wegen ein paar Rückschlägen aufzugeben.
       
       ## Vom linken Urgroßvater geprägt
       
       Jetzt, im Restaurant, spricht er von seinem Urgroßvater, den die Nazis als
       Kommunisten zur Umerziehung ins Lager von Dachau sperrten. „Ich habe ihn
       noch erlebt.“ Das Gespräch dreht sich um Madeleine Albrights Buch
       „Faschismus“, der sich, so schreibt es die frühere US-Außenministerin, wie
       eine Schlingpflanze in den Diskurs schleiche. Um das Gift der
       Antidemokraten, das man in der Fernsehserie „Babylon Berlin“ sehen kann. Um
       Georg-August Zinn, den langjährigen sozialdemokratischen
       Ministerpräsidenten von Hessen; Schäfer-Gümbel verehrt ihn auch deshalb,
       weil er dem Generalstaatsanwalt Fritz Bauer freie Hand bei der Verfolgung
       von Nazimördern ließ.
       
       Annette Gümbel leitet die Bildungsstiftung eines Unternehmens, von Haus aus
       ist sie promovierte Historikerin. Schäfer-Gümbel und sie sprechen über
       einen schwerreichen Mann mit ziemlich rechtsradikalen Ansichten, der in
       ihrer Nähe wohnt. Vielleicht fördert er mit dem Geld die AfD. Annette
       Gümbel wüsste das gern genau, sie mag keine Vagheiten und Heimlichtuereien.
       
       Noch ein paar Umdrehungen, dann landet das Gespräch wieder bei den Grünen.
       Als der Landtag 2014 über einen Untersuchungsausschuss zur NSU-Mordserie
       abstimmte, nahmen sie Rücksicht auf den langjährigen Innenminister
       Bouffier. Sie enthielten sich. Schäfer-Gümbel rollt das R etwas härter, er
       geht mit der Stimme noch etwas herunter, wenn er darüber spricht.
       Entrüstung und Enttäuschung mischen sich.
       
       Der Sozialdemokrat hatte seine Partei bei der Wahl 2013 zwar zu 30,7
       Prozent geführt, das war viel besser als die 25,7 Prozent von
       Kanzlerkandidat Peer Steinbrück bei der Bundestagswahl am selben Tag, aber
       den Grünen hatte es das Ergebnis verhagelt. Für Rot-Grün in Hessen reichte
       es nicht. Am Wahlabend traten Schäfer-Gümbel und Al-Wazir gemeinsam auf, da
       realisierten sie noch nicht, dass es vorbei sein würde. Die rot-grün-roten
       Sondierungen ergaben für SPD und Grüne rasch, dass es mit den Linken nicht
       passte. Dann verhandelten beide getrennt mit Bouffier. Der entschied sich
       für die Grünen als Partner: klein, zuverlässig, extravagant. Für die alte
       Hessen-CDU eine Modernierungschance.
       
       „Es hat einfach wehgetan“, sagt Schäfer-Gümbel über Al-Wazirs Vereidigung.
       Noch am Mittag im Plenum stellte er damals den Timer ein, fünf Jahre, und
       tippte auf „Start“. Er nimmt die Umhängetasche und holt das iPad heraus. Es
       ist inzwischen ein neues Gerät, der Timer zählt jetzt auch nicht mehr zur
       nächsten konstituierenden Sitzung des Parlaments am 18. Januar 2019, er hat
       ihn neu gestellt, auf den Wahlabend um 18 Uhr. „Aber das relevante Datum
       ist immer noch die Vereidigung“, sagt er.
       
       ## Tarek Al-Wazir traut den Umfragen nicht
       
       In Hessen ist viel möglich. Eine [2][Neuauflage von Schwarz-Grün],
       vielleicht verlängert um die FDP. Oder Schwarz-Rot. Oder doch ein
       Dreierbündnis aus SPD, Grünen und Linken. Wobei die Reihenfolge eine andere
       werden könnte: Die Grünen sind in Hessen strukturell stärker als in Bayern,
       Al-Wazir ist schon lange der beliebteste Politiker des Landes. Wenn die
       Grünen die Nummer zwei würden, müssten sie sich entscheiden, ob sie
       Schwarz-Grün fortsetzen oder in einem grün-rot-roten Bündnis den
       Ministerpräsidenten stellen. Aus r2g würde urplötzlich g2r.
       
       Tarek Al-Wazir fährt im Auto gerade aus Frankfurt heraus, als er den Anruf
       entgegennimmt. Am Morgen hat der Minister in Bornheim und Nordend am Stand
       geworben, im alten Wahlkreis von Joschka Fischer. Jetzt rauscht er zum
       nächsten Auftritt nach Gießen. Die Grünen haben Superzahlen, 20 Prozent und
       mehr, Fischer würde platzen. „Ich traue dem Hype nicht. Inzwischen
       ignoriere ich die Umfragen“, sagt Al-Wazir ins Telefon. „Gemach, gemach.“
       
       Der Grüne und der Sozialdemokrat, beide fremdeln mit den neuen Rollen, die
       dieser Herbst gebracht hat: Dem einen winkt ein sagenhafter Aufstieg, der
       anderen bekommt es mit einem bodenlosen Abstieg zu tun.
       
       „Der Thorsten und ich, wir kennen uns, seit er in den Landtag gekommen
       ist“, erzählt Al-Wazir. Sie sind vom Alter her nicht mal anderthalb Jahre
       auseinander. Al-Wazir fand es immer wohltuend, dass der andere nicht zu der
       Sorte Sozialdemokraten gehörte, die die Grünen behandelten wie einen 27.
       Unterbezirk der SPD. Er sagt, er wisse aus dem verhauenen Wahlkampf der
       Bundes-Grünen von 2013, wie Schäfer-Gümbel sich fühlen müsse. „Wenn der
       Trend so läuft, hast du das Gefühl, der Boden unter dir wird weich, du
       strampelst und strampelst, aber du kannst nichts machen.“ Mitleid sei das
       nicht, das brauche der Thorsten jetzt am allerwenigsten.
       
       ## Die Freundschaft hat einen Riss bekommen
       
       Sind sie Freunde? „Ich würde schon sagen, dass das keine Gegnerschaft ist.“
       Das Wort „Freund“ kommt nicht vor in dem Satz.
       
       Schäfer-Gümbel nennt Al-Wazir seinen Freund. „Ich bin ihm nicht gram.“
       Seine Frau schaut, als sehe sie das etwas anders. „Ich kann ihm nicht gram
       sein, dass er die Koalition macht“, sagt Schäfer-Gümbel. „Es ist rein
       emotional.“
       
       Wenn der Minister sprach, vermied es der Oppositionsführer, im Landtag zu
       antworten. Er habe pfleglich mit ihm umgehen wollen, erklärt
       Schäfer-Gümbel. Der Ton, in dem er das sagt, ist eine seltsame Mischung aus
       fürsorglich und drohend. Wie ein großer Bruder, dem der kleine Bruder
       entwachsen ist.
       
       Vielleicht nagt an Schäfer-Gümbel auch, dass bei ihm selbst das
       Missverhältnis zwischen natürlicher und verliehener Autorität so
       auseinanderklafft. Unter ihm als Landesvorsitzendem stellt die SPD 9 von 12
       Oberbürgermeistern und 13 von 21 Landräten. Aber Schäfer-Gümbel regiert
       nicht. Seine Kraft liegt im Antrieb, im Auftritt, in der Ansprechbarkeit,
       sie liegt viel weniger in seinen Ämtern, die nur Parteiämter sind.
       
       Er ist zwar einer der stellvertretenden Bundesvorsitzenden der SPD. Aber
       das Amt hat ihn zeitweise hineingesogen in die Loser-Kultur dieser Partei.
       In Radiointerviews nörgelte er schlecht gelaunt über die Fragen der
       Moderatoren. Er zuppelte an den Entscheidungen des Parteivorsitzenden
       herum, ohne wirklich etwas zu ändern. Für seine Aufenthalte in der
       Hauptstadt bekam er ein eigenes Arbeitszimmer im Berliner
       Willy-Brandt-Haus, jener Politraffinerie, wo in hochkomplizierten
       bürokratischen Verfahren ein Destillat hergestellt wird: Bräsigkeit in
       seiner reinsten Form.
       
       Auf seinem Zimmer saß er vor pappigen Keksen, angesichts deren sich die
       Köche des Okinii in ihre Sushimesser gestürzt hätten. Regierungschefs aus
       SPD-Ländern erkundigten sich, ob er nicht Bundesminister werden mochte. Die
       Hessen-SPD ist so groß, dass man ihrem Chef so einen Job nicht verwehren
       kann. Aber auf seinem iPad lief der Timer. Er fuhr lieber nach Hessen
       zurück und absolvierte Praxistage im Pflegeheim, auf der Baustelle, bei
       Opel am Band. Er weiß, wo er herkommt, aber er ahnt wohl auch, dass einen
       ein Alltag in der SPD vom Rest der Welt entfernt.
       
       2016 arbeitete er das Wahlprogramm aus. Bildung, Mobilität, Wohnen. Freunde
       von ihm bekamen mitten in der Nacht Anrufe. TSG testete, ob sie jederzeit
       erklären konnten, was die SPD will. Die Genossen sollen nicht rumlabern,
       wenn sie am Gartenzaun angesprochen werden, sondern sagen, wie sie etwas
       aus der Zukunft des Landes machen wollen.
       
       ## Schäfer-Gümbel ist die leibhaftige SPD
       
       Und jetzt, nach fast fünf Jahren Countdown, während die Stunden, Minuten
       und Sekunden herunterrattern, steht er natürlich unter Spannung. Kurz bevor
       am Mittag im Studio des [3][Hessischen Rundfunks das TV-Duell]
       aufgezeichnet wird, zupft er sich am Sakko, kratzt sich im Nacken, dreht
       den Ehering am Finger. Im Duell strahlt Bouffier Ruhe aus, er hat die
       lebendigere Sprache, aber Schäfer-Gümbel attackiert ihn und schiebt ihn
       herum wie einen kauzigen Onkel. „Jetzt ist gut“, sagt er. Oder: „Sie haben
       60.000 Wohnungen privatisiert!“
       
       Was aus der SPD im Bund wird, ist Schäfer-Gümbel nicht egal. Eigentlich
       müsste der Spitzenkandidat die Groko zum Teufel wünschen. Aber er ist so
       kompliziert wie die SPD, so leidenschaftlich wie die SPD, so zäh wie die
       SPD, so staubig wie die SPD. Er ist die SPD. Deshalb macht er, was sie
       macht. Und wenn er verliert, dann wird auch sie tiefer in die Krise
       rutschen. Groko-Ausstieg? Er sagt: „Jeder einfache Weg ist für uns ein
       Fehler.“
       
       Er würde vermutlich jederzeit selber eine Groko machen. Eine Partei braucht
       Leute, und diese Leute brauchen eine Kraft, auf die sie setzen können. Die
       SPD in Hessen hat es nach so vielen regierungslosen Jahren schwer genug,
       für Beamte, Vereinschefs oder Gewerkschafter attraktiv zu bleiben. Und dann
       soll sie im Bund das Regieren aufgeben?
       
       Aber bitter ist es schon: Die Große Koalition in Berlin erzeugt eine
       Stimmung, gegen die sich der Kandidat in Hessen kaum wehren kann. Und
       womöglich entsteht dadurch eine Niederlage, die wiederum Berlin noch mehr
       belastet. Sind Kandidaten in den Bundesländern nur mehr passive Reflektoren
       der Berliner Politik?
       
       „Was ich heute früh bei Spiegel Online gelesen habe: Ich bin Merkels
       wichtigster Mann!“ Sein Lachen platzt heraus, es kommt aus dem Bauch des
       1,93 Meter großen Hessen, es klingt echt und offen, und danach wirkt er
       entspannt.
       
       ## Der Dauerwahlkämpfer
       
       Nach der Aufzeichnung des Duells bricht er wieder in den Wahlkampf auf, im
       Reisebus, auf dem sein überlebensgroßes Foto prangt. Am Abend hält der Bus
       in Rüsselsheim auf dem Markt, er springt heraus, umarmt die
       Landtagsabgeordnete Kerstin Geis, umarmt die Stadtverordnete Sanaa
       Boukayeo, die er in den Landesvorstand geholt hat. Es sind zwei, die auf
       die SPD gesetzt haben, die Erste kommt aus dem Landeselternbeirat, die
       andere arbeitet im Betriebsrat von Opel.
       
       Vor dem Café am Markt diskutiert er mit Leuten. „Wie ist dein Gefühl?“,
       fragt ein Opelaner in blauem Hemd. „Wir haben knochenharte Arbeit vor uns“,
       sagt Schäfer-Gümbel. „Mein Eindruck ist, dass die Partei jetzt anfängt zu
       beißen.“
       
       Er empört sich über ein falsch konstruiertes Schülerticket, streift die
       Razzia bei Opel, schimpft, dass Schwarz-Grün Ryanair den roten Teppich
       ausrolle. Er fliege nicht mit denen. „Menschenverachtend“, „Repression“,
       „Heuschrecken der Lüfte“. Der Name Al-Wazir, immerhin Verkehrsminister,
       fällt kein einziges Mal.
       
       „In zehn Tagen, 23 Stunden und 43 Minuten“, sagt Schäfer-Gümbel zum
       Abschluss. Es ist 18.37 Uhr.
       
       Der Bus gleitet über die A671 in Richtung Wiesbaden. Schäfer-Gümbel sitzt
       in der zweiten Sitzreihe. Eine Mitarbeiterin kommt zu ihm, zeigt ihm ihr
       Handy. Sie klatschen sich ab. Der Rapper Moses Pelham will ihm in der
       Kampagne helfen. Er schaut aus dem Fenster. Der Himmel leuchtet orange.
       Zwei Autos hupen freundlich, als sie an dem TSG-Bus vorbeiziehen, als säße
       darin ihr liebster Bundesligaclub.
       
       Im Okinii, kurz vor 21 Uhr, bringt die Kellnerin gegrillte Garnelenspieße,
       gebackene Champignons und Süßkartoffelsticks in Wasabi-Mayonnaise. Annette
       Gümbels Handy rüttelt. Sie bekommt SMS von Freunden und Bekannten. „Wir
       sind auf Sendung.“ „TSG zerstört Bouffier.“ „Wir schauen es gerade mit
       Pizza ToSGana.“ Nun schaut auch er auf sein Handy. „Meine Parteivorsitzende
       scheint das Duell zu gucken“, sagt er neutral.
       
       Am Abend vor dem Wahltag, 23 Stunden bevor der Timer auf null springt, wird
       er mit seiner Frau in Lich bei Gießen zum Basketball gehen, ihr Sohn spielt
       im Verein, Annette Gümbel ist die Vorsitzende, es geht gegen die Gladiators
       Trier II. Am nächsten Tag hat sie Geburtstag, am Wahlsonntag. Freunde aus
       London kommen zu Besuch. Um 10 Uhr geht das Paar wählen. Der Timer wird
       noch acht Stunden anzeigen. Acht Stunden bis zum Nullpunkt. Bis die
       Versöhnung mit Al-Wazir beginnt – oder der Bruch. Bis er weiß, ob
       viereinhalb Jahre nichts gebracht haben – oder ein Wunder.
       
       25 Oct 2018
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /TV-Duell-Bouffier-vs-Schaefer-Guembel/!5540886
   DIR [2] /Bilanz-von-Schwarz-Gruen-in-Hessen/!5479891
   DIR [3] /TV-Duell-Bouffier-vs-Schaefer-Guembel/!5540886
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Georg Löwisch
       
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