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       # taz.de -- Neues Krankenhausgesetz: Mord wird schwieriger
       
       > Pfleger Niels H. tötete mehr als hundert Menschen. Um solche Taten zu
       > verhindern hat Niedersachsen nun das Krankenhausgesetz reformiert.
       
   IMG Bild: Gedenktafel in Delmenhorst
       
       Hamburg taz | Um Punkt Elf begann die Abstimmung und am Ende waren sich
       alle einig. Der niedersächsische Landtag hat am Mittwoch einstimmig die
       Novellierung des Krankenhausgesetzes beschlossen. Sie tritt Anfang 2019 in
       Kraft. Die Änderungen sollen für mehr Sicherheit für
       KrankenhauspatientInnen sorgen und jahrelang unentdeckte Mordserien, wie
       die des Krankenpflegers Niels H., künftig verhindern. „Damit werden wir
       Vorreiter in Sachen Patientensicherheit werden,“ sagte die Sprecherin für
       Gesundheit der niedersächsischen Grünen-Fraktion, Meta Janssen-Kucz.
       
       Die niedersächsischen Krankenhäuser sind nun verpflichtet, bis 2022
       flächendeckend StationsapothekerInnen einzusetzen. Diese sollen ÄrztInnen
       und Pflegepersonal bei der medikamentösen Therapie beraten und auf den
       ordnungsgemäßen Umgang und Verbrauch von Arzneimitteln achten. Weil es im
       Vorfeld Bedenken über die Finanzierungsmöglichkeiten gab, wurde die
       Landesregierung mit einem ebenfalls am Mittwoch beschlossenen Antrag
       aufgefordert, Refinanzierungsmöglichkeiten durch den Bund zu prüfen.
       
       „Es wurde ein Gesetz beschlossen, das nicht umgesetzt werden kann“,
       kritisiert Helge Engelke, Verbandsdirektor der Niedersächsischen
       Krankenhausgesellschaft mit Blick auf die StationsapothekerInnen. Es gebe
       nicht genügend Fachkräfte, um diese flächendeckend einzusetzen.
       
       Engelke glaubt auch nicht, dass Krankenhausmorde dadurch künftig verhindert
       werden könnten. „Stationsapotheker kontrollieren nicht die
       Arzneimittelgabe, sie beraten nur das Personal.“ Die weiteren
       Gesetzesänderungen bewertet Engelke positiv. Sie würden das Vertrauen in
       die qualitätssichernden Maßnahmen der Krankenhäuser stärken.
       
       Zusätzlich zu den StationsapothekerInnen soll jedes Krankenhaus eine
       Arzneimittelkommission einsetzen, die das medizinische Personal in Fragen
       der Arzneimittelsicherheit berät. Außerdem wird ein Meldesystem für
       MitarbeiterInnen eingeführt. Darüber soll das Personal anonym über
       Verdachtsmomente von fehlerhaftem oder kriminellem Verhalten berichten
       können. Leitende ÄrztInnen und PflegerInnen sollen in einer neu
       eingerichteten, regelmäßigen Konferenz Todesfälle und Krankheitsverläufe
       analysieren, um Auffälligkeiten frühzeitig festzustellen. Darüber hinaus
       müssen Krankenhäuser ein Konzept erstellen, um MitarbeiterInnen beim Umgang
       mit berufsbezogenen Belastungen zu unterstützen.
       
       Idealerweise würden die neuen Regelungen vorbeugend wirken und Fälle wie
       die des Krankenpflegers Niels H. verhindern, sagte Janssen-Kucz. H. hatte
       in Kliniken in Oldenburg und Delmenhorst gearbeitet und spritzte
       PatientInnen dort gefährliche Medikamente, um sie heldenhaft reanimieren zu
       können. Mehr als hundert Menschen starben.
       
       Dass es in den Schichten von H. vermehrt zu Reanimationen kam, war zwar
       aufgefallen, trotzdem passierte nichts. Erst als eine Kollegin ihn auf
       frischer Tat ertappte, wurde H. 2005 festgenommen. Uwe Schwarz,
       gesundheitspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion nannte H. den „größten
       Massenmörder unseres Landes“. H. ist bereits wegen Mordes und versuchten
       Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt. Ab kommender Woche steht er erneut
       vor Gericht – wegen Mordes in 99 weiteren Fällen.
       
       Zur Aufarbeitung des Falls setzte der niedersächsische Landtag einen
       Sonderausschuss zur Stärkung der Patientensicherheit und des
       Patientenschutzes ein. Auf dessen Abschlussbericht gründet unter anderem
       die gerade beschlossene Gesetzesnovelle. Diese stammt noch aus der früheren
       Rot-Grün-Regierung, wurde aber in der damaligen Legislaturperiode nicht
       beschlossen. Aber auch die jetzige große Koalition sah offenbar
       Handlungsbedarf.
       
       Die neuen Regelungen hatten verfassungsrechtliche Bedenken ausgelöst, weil
       Krankenhäuser in die Regelungsbefugnis des Bundes fallen. „Es stand immer
       die Frage im Raum, welche Kompetenzen ein Bundesland bei der Umsetzung
       eines Bundesgesetzes hat“, sagte Janssen-Kucz. Diese Frage sei nicht
       abschließend geklärt. Aber wenn man es mit der Patientensicherheit ernst
       meine, dann müsse man ungewöhnliche Wege gehen. Schwarz räumte zuvor ein,
       dass „gegebenenfalls nachjustiert“ werden müsse. Darüber sei man sich in
       der Koalition einig.
       
       Bereits seit Januar 2016 gibt es in Krankenhäusern ehrenamtliche
       PatientenfürsprecherInnen. Sie sind AnsprechpartnerInnen für PatientInnen
       und deren Angehörige. Seit zwei Jahren hat Niedersachsen außerdem einen
       Landesbeauftragten für Patientenschutz. Auch das Bestattungsgesetz wurde
       insofern geändert, als dass jetzt erweiterte Meldepflichten für die den Tod
       feststellenden ÄrztInnen gelten.
       
       Ein wichtiges Ergebnis des Sonderausschusses bleibe aber weiterhin
       unbehandelt, kritisierte Janssen-Kucz und verwies auf den Pflegenotstand.
       „Die Personalausstattung ist quasi limitierender Faktor für die
       Patientensicherheit“, sagte sie. „Solange wir nicht mehr Pflegepersonal
       haben, werden alle anderen Maßnahmen nur begrenzt Wirkung entfalten
       können.“ Janssen-Kucz appellierte an Bundesgesundheitsminister Jens Spahn
       (CDU), weitere Maßnahmen zu ergreifen.
       
       25 Oct 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Marthe Ruddat
       
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