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       # taz.de -- Tempelhofer Feld in Berlin: Ein Symbol für Freiraum
       
       > Die Schließung des Flughafen Tempelhof machte vor 10 Jahren den Weg frei
       > für eine große innerstädtische Freifläche. Wird sie unbebaut bleiben?
       
   IMG Bild: Auf dem Tempelhofer Feld ist Platz für vieles und alle: beim Festival der Riesendrachen im September 2018
       
       Der 25. Mai 2014 ist ein besonderer Tag in der jüngeren Geschichte Berlins:
       Gegen den erklärten Willen der damaligen SPD-CDU-Koalition, gegen den
       Wunsch von Linkspartei und Grünen und ohne finanzstarken Unterstützer im
       Rücken gewinnt die [1][Initiative 100 Prozent Tempelhofer Feld] ihren
       Volksentscheid, der jegliche dauerhafte Veränderung des einstigen Flugfelds
       gesetzlich verbietet.
       
       Genau 64,3 Prozent der teilnehmenden Berliner sprechen sich gegen die Pläne
       des Senats aus, die Ränder des Feldes mit bis zu 5.000 Wohnungen und einem
       neuen Gebäude für die Zentral- und Landesbibliothek zu bebauen. Gemessen an
       der Gesamtbevölkerung sind das 29,6 Prozent – damit ist das nötige Quorum
       von 25 Prozent locker überschritten. Gerechnet hatte mit diesem klaren
       Erfolg kaum jemand. Und für den damaligen Stadtenwicklungssenator und
       heutigen Regierenden Bürgermeister Michael Müller (SPD) war die Schlappe
       auch eine persönliche Niederlage, die ihm bis heute sauer aufstößt.
       
       Das Feld ist seitdem ein weites Feld geblieben, schmucklos, ohne neue
       Bäume, Hecken, Wege, Cafés, ohne Schwimmbad oder Rummelplatz. Dafür aber
       mit einer großartigen Perspektive auf die Stadt, die erst an seinen Rändern
       als solche erkennbar wird; äußerst beliebt bei Joggern, Skatern und
       Grillfans. Und es wirkt wie ein Relikt aus der Nachwendezeit, als in Berlin
       vieles leer stand und noch mehr möglich schien. Cool Berlin eben, wie es
       seitdem in jedem Reiseführer steht und Millionen Besucher anlockt.
       
       Schon während des Abstimmungskampfes 2014 argumentierten Müller und der
       Senat, man brauche den Platz am Feldrand dringendst für die Bekämpfung der
       Wohnungsnot. Und auch wenn Rot-Rot-Grün Ende 2016 in seinem
       Koalitionsvertrag festgehalten hat: „Die Bebauung des Tempelhofer Feldes
       wird ausgeschlossen“, war es nur eine Frage der Zeit, bis angesichts von
       stetig steigenden Mieten die ersten Versuche kommen würden, die Debatte
       wieder zu befeuern.
       
       ## Politisches Neuland
       
       Es ist nicht überraschend, dass Müller selbst den Anstoß dazu gab. Mitte
       September erklärte er vor den Mitgliedern der Industrie- und Handelskammer
       (IHK), dass „Mitte oder Ende der nächsten Wahlperiode“ das Tempelhofer Feld
       in der Debatte „wieder eine Rolle spielen“ werde. Auch wenn der grüne
       Koalitionspartner schäumte: CDU und FDP beeilten sich, den Vorstoß Müllers
       nach einer Neuauflage der Debatte zu unterstützen.
       
       Es handelt sich eine klassische Nadelstichtaktik: Wird die These nach den
       genau dort dringend benötigten Wohnungen nur oft genug wiederholt, werden
       sie schon genügend Menschen glauben.
       
       Darüber wieder zu diskutieren ist an sich auch gar nicht falsch. Denn ein
       vom Volk, also dem Souverän, verabschiedetes Gesetz ist formal rechtlich
       nicht mehr wert als ein vom Parlament, also den Repräsentanten des
       Souveräns, beschlossenes und es kann natürlich verändert werden. Zudem gibt
       es in Berlin keine offizielle Frist, wie lange ein erfolgreicher
       Volksentscheid Bestand haben muss. Genau das ist letztlich der eine Kern
       des Problems: Der weitere Umgang mit erfolgreichen Entscheiden ist
       politisches Neuland.
       
       Der andere: Den Entscheidungen des Volkes werden, demokratietheoretisch und
       moralisch begründet, mehr Respekt gezollt; da ist sich die Politik im
       Prinzip einig. Aber auch das ganze Volk, nicht nur seine Repräsentanten,
       kann mal irren oder die Rahmenbedingungen können sich ändern. Und dann muss
       natürlich das Parlament, ebenfalls demokratietheoretisch begründet, in der
       Lage sein, zu handeln.
       
       ## Eine Art Vetorecht fürs Volk
       
       Einmal ist das in diesem Fall schon passiert. Anfang 2016 änderte
       Rot-Schwarz das Tempelhof-Gesetz, damit auf dem einstigen Flugfeld-Vorplatz
       eine Container-Unterkunft für bis 1.500 Geflüchtete entstehen konnte,
       befristet allerdings bis Ende 2019. Diese Befristung werde auch nicht
       verlängert, verspricht der Linkspartei-Abgeordnete Michael Efler, zugleich
       demokratiepolitischer Sprecher seiner Fraktion, die damals wie die Grünen
       gegen die Änderung stimmte.
       
       Für eventuell weitere derartige Fälle fordert Efler dringend eine
       Neuregelung, die sowohl der Handlungsfähigkeit des Parlaments wie dem
       stärkeren Bestandsschutz für vom Volk beschlossene Gesetze gerecht wird.
       Vorbild ist laut Efler Hamburg: Dort kann das Parlament praktisch jederzeit
       ein solches Gesetz wieder verändern. Allerdings haben Initiativen danach
       drei Monate Zeit, mit dem Sammeln von gut 30.000 Unterschriften ein
       Fakultatives Referendum einzuberufen. Das Volk besitzt also eine Art
       Vetorecht.
       
       Die Hoffnung dahinter: „Die Regierung wird sich sehr genau überlegen, ob
       sie eine mögliche erneute Niederlage riskiert“, sagt Oliver Wiedmann,
       Sprecher des Berliner Landesverbandes von Mehr Demokratie e. V. Die Hürden
       für eine erneute Abstimmung müssten dabei deutlich geringer sein als beim
       ursprünglichen Volksentscheid – sonst sei das „unfair“, betont Wiedmann.
       50.000 Unterschriften müssten in Berlin dafür reichen. Zum Vergleich: für
       einen Volksentscheid braucht es rund 175.000. Und bei der Abstimmung danach
       sollte laut Wiedmann eine einfache Mehrheit ohne Quorum gelten.
       
       Derzeit arbeitet die rot-rot-grüne Regierung an der Neufassung der
       direktdemokratischen Abläufe; die Einführung eines Fakultativen Referendums
       ist bisher allerdings nicht geplant. Die Hürde ist hoch: Für die nötige
       Verfassungsänderung braucht es eine Zwei-Drittel-Mehrheit, sprich die
       Unterstützung der CDU. Und die muss ihre Liebe zum Volksentscheid erst noch
       entwickeln.
       
       ## Wie viel Freiräume braucht eine Stadt
       
       So dürfte das Thema Wohnungen auf dem Tempelhofer Feld – oder zumindest am
       Rande davon – spätestens im Wahlkampf 2021 wieder eine große Rolle spielen.
       Schließlich ist es ein Symbol für viele Auseinandersetzungen in der Stadt.
       Es geht um den Streit Ökonomie vs. Ökologie. Es geht um die Frage, wie viel
       Freiräume eine lebenswerte Stadt in ihrem Herzen braucht, um weiter
       lebenswert zu sein. Und es geht um das Vertrauen der Bürger in die Politik:
       Das hatte der rot-schwarze Senat 2014 weitgehend verloren; die Berliner
       trauten den Versprechungen nicht, dass wirklich nur der Rand bebaut wurde.
       
       Auch der damalige Verlierer und jetzige Regierende hat das eingesehen. „Wir
       wollten 2014 zu viel“, zieht Müller heute Bilanz und meint damit etwa den
       Bibliotheksneubau. Der wird nun definitiv nicht mehr auf dem Feld
       entstehen, sondern am Halleschen Tor in Kreuzberg. Im Umkehrschluss
       bedeutet Müllers Fazit also: Gebaut werden sollte nach seinem Willen
       trotzdem.
       
       Dieser Text ist Teil eines Schwerpunktes zum Flughafen Tempelhof und dem
       Tempelhofer Feld in der taz berlin am wochenende vom 27./28. Oktober.
       
       27 Oct 2018
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://www.thf100.de/start.html
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Bert Schulz
       
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