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       # taz.de -- Zeitungssterben in den USA: Das Geisterhaus von McKeesport
       
       > Während die großen Zeitungen am Dauerstreit mit Trump gesunden, gehen die
       > Lokalzeitungen in den USA ein. Das hat fatale Folgen.
       
   IMG Bild: Hier ist nichts mehr los: Die Redaktion von McKeesport Daily News
       
       McKeesport/Pittsburgh taz | Von außen sieht man dem Haus nichts mehr an von
       der goldenen Ära der Tageszeitungen. Die Fenster des ramponierten
       Art-Deco-Gebäudes an der Durchgangsstraße sind mit Brettern vernagelt. Man
       muss durch die Drehtür am Eingang treten, um zu verstehen, was es vor 80
       Jahren bedeutete, in einer Kleinstadt im Industriezentrum der USA eine
       Zeitung zu betreiben. Die geflieste Eingangshalle ist vier Meter hoch,
       weitläufig, eine geschwungene Theke teilt den Raum – man könnte in einem
       mondänen Hotel in Chicago sein, oder in einem Edward-Hopper-Gemälde. In den
       30er Jahren, als in den Staaten die Boomzeit der gedruckten Tageszeitung
       begann, wurde hier die örtliche Anzeigenkundschaft empfangen. Die üppigen
       Werbeeinnahmen finanzierten die Redaktion in den oberen Stockwerken – und
       die hauseigene Druckerei.
       
       Die McKeesport Daily News hat vor drei Jahren geschlossen, am 31. Dezember
       2015 verließ die letzte Ausgabe das Haus, 1.000 Exemplare waren es. Anfang
       des Jahrtausends wurden in der Kleinstadt am Monongahela River im Westen
       Pennsylvanias noch 25.000 Exemplare am Tag gedruckt. Aber McKeesport
       schrumpft, von 30.000 auf 20.000 Einwohner in den letzten zehn Jahren.
       Zuletzt war die Daily News mit 1,50 Dollar den meisten Leuten zu teuer.
       Also schloss die Zeitung, die 50 Angestellten wurden arbeitslos.
       
       Das Gebäude ist heute leer, Eingangshalle und Redaktion sind ein
       Geisterhaus. Was vom Inventar der Zeitung noch übrig ist, hat Bürgermeister
       Jim Brewster in einem kleinen Raum im zweiten Stock gesammelt. Alben mit
       alten Titelseiten, Druckplatten, ein Gemälde des Gründers, eines
       Industriellen aus Pittsburgh, stehen in der Ecke. „Die Leute haben als
       Erstes die Todesanzeigen vermisst“, sagt Brewster.
       
       Inzwischen lohnt es sich wirtschaftlich kaum noch, in mittleren und kleinen
       US-Städten Redaktionen zu betreiben. Dieses Problem betrifft McKeesport
       ebenso wie die nahe gelegene Stadt Pittsburgh. Noch vor wenigen Jahren
       erschienen in der Metropolregion täglich drei Zeitungen. Die Post-Gazette,
       die Tribune-Review und die McKeesport Daily News. Tribune-Review und
       Post-Gazette gibt es noch, allerdings konzentrieren sich beide Häuser auf
       schnelle Online-Texte, die vom Newsdesk aus entstehen, und sparen am
       Reporterpersonal.
       
       ## Zeitungskrise geht weiter
       
       Das äußert sich besonders dann, wenn sich Pennsylvanias Wähler*innen ein
       Bild über das politische Personal machen müssen, so wie in diesen Tagen,
       kurz vor den Kongresswahlen. „Die Zeitungen recherchieren immer seltener
       selbst zu den Kandidat*innen“, sagt Andrew Conte, Leiter einer
       journalistischen Non-Profit-Organisation in Pittsburgh. Über den
       republikanischen Herausforderer für die Senatswahl zum Beispiel, Lou
       Baretta, finden sich auf der Webseite des Tribune-Review fast
       ausschließlich Agenturtexte, die von der Associated Press übernommen
       wurden.
       
       Auch die Autorentexte enthalten keine Eigenrecherchen, sie verweisen auf
       Pressemitteilungen, Fernsehberichte oder Onlinevideos. „Früher hätten
       Tribune-Review und Post-Gazette beide mindestens eine tiefgründig
       recherchierte Geschichte über jeden Kandidaten gemacht“, sagt Conte. Conte
       befürchtet, dass aus dem Westen Pennsylvanias bald werden könnte, was man
       in den USA „News Desert“ nennt – eine Nachrichtenwüste. Denn so wie der
       Region Pittsburgh ergeht es den meisten lokalen Zeitungsmärkten in den USA.
       Während die New York Times und die [1][Washington Post] an der Dauerfehde
       mit Donald Trump gesunden, geht im Rest der USA die Zeitungskrise weiter.
       Das Journalismusinstitut der Columbia University in New York hat im
       vergangenen Jahr eine [2][Karte mit den „Nachrichtenwüsten“]
       veröffentlicht. Darin verzeichnet sind die Countys, in denen nur noch eine
       oder gar keine Tageszeitung existiert.
       
       Emily Bell, Professorin an der Columbia, beobachtet den Rückzug des
       Journalismus aus den mittleren und kleineren Städten der USA. „Die Folge
       ist, dass die Menschen dort keine unmittelbare Beziehung mehr zu den Medien
       haben“, sagt Bell. „Sie müssen sich vorstellen, dass diese Menschen keine
       Reporter*innen mehr kennen, die aus ihrer Gegend oder zumindest in ihre
       Gegend kommen.“ Das ist eine Entwicklung, die populistische und
       pauschalisierende Einstellungen gegen „die Medien“ fördern kann.
       
       Das Ende der Daily News in McKeesport wäre womöglich zu verkraften, wenn
       die Lage in der benachbarten Großstadt Pittsburgh noch so wäre wie vor zehn
       Jahren. Damals hatte die „Steel City“ für eine mittelgroße US-Stadt einen
       erstaunlich diversen Nachrichtenmarkt. Industrielle hatten Ende des 19. und
       Anfang des 20. Jahrhunderts in große Zeitungsverlage investiert: zum Teil
       aus Philanthropie, zum Teil, um sich eine politische Stimme zu geben. Die
       „Große Depression“ in den 30ern politisierte die Bevölkerung, die Nachfrage
       nach täglichen Nachrichten wuchs. Verblieben sind die Post-Gazette oder PG,
       mehrfache Pulitzerpreisträgerin sowie der Tribune-Review, oder Trib. Beide
       sind in den letzten zehn Jahren extrem zusammengeschrumpft.
       
       ## Teure Reporter*innen loswerden
       
       Damit ist Pittsburgh, die ehemalige Stahlstadt im Herzen des Rostgürtels,
       in deren Metropolregion rund 2,3 Millionen Menschen leben, seit diesem Jahr
       die größte US-Stadt ohne eine tägliche gedruckte Zeitung. Es ist ein
       entmutigendes Signal in einer Stadt, die mit dem Übergang ins
       postindustrielle Zeitalter kämpft.
       
       Die meisten Stahlfabriken gibt es längst nicht mehr, die Stadt versucht,
       sich mit den Dienstleistungsbereichen Medizin und Bildung ein neues Profil
       zu schaffen. Die Zeitungen sind riesige Verlustgeschäfte geworden und
       verlieren jährlich Millionenbeträge im oberen zweistelligen Bereich. Also
       wird nur noch gespart. Um noch möglichst viel über Onlineanzeigen
       einzunehmen, konzentrieren sich beide Zeitungen im Digitalen auf schnellen,
       meist woanders abgeschriebenen Content – für Klicks. Reporter*innen, die
       Tage oder Wochen für einen Text recherchieren, finden in diesem Modell
       keinen Platz.
       
       „Das Ziel der Verlage ist es, die teureren Reporter*innen loszuwerden“,
       sagt Andrew Conte. „Also diejenigen mit der meisten Erfahrung, dem höchsten
       Gehalt, mehr Urlaubstagen. Viele von ihnen bekamen eine Abfindung. Wenn
       sich nicht genug darauf einließen, gab es Entlassungen.“
       
       Obwohl also die Redaktionen weiterhin täglich massenweise Content
       produzieren, ist der Westen Pennsylvanias in Sachen Nachrichten
       unterversorgt. Es ist ähnlich wie in Deutschland, wo immer mehr
       [3][Lokalredaktionen zusammengelegt werden], wo Inhalte oft gar nicht mehr
       aus der Region selbst kommen. Die Folge: Anstatt News und Geschichten aus
       allen Ecken ihres Einzugsgebiets zu sammeln und zentral zu verarbeiten,
       senden Medien Informationen von den Zentren in die Peripherie. Ereignisse
       werden nur noch dann abgebildet, wenn diese überregional relevant sind.
       Stimmungen werden falsch eingeschätzt. Im Jahr 2016, nach der
       Präsidentenwahl, mussten die Journalist*innen an der Küste genau das
       eingestehen.
       
       ## Mangel an Eigenrecherchen
       
       Es ist nicht die gedruckte Zeitung, die fehlt. Auch die Menschen von
       McKeesport bekommen auf einer ehrenamtlich geführten Webseite wieder
       Todesanzeigen.
       
       Die Krise äußert sich vielmehr in einem Mangel an Eigenrecherchen über das
       politische und wirtschaftliche Geschehen. Das sogenannte Muckraking, das
       „Wühlen im Dreck“, wie investigativer Journalismus in den USA liebe- und
       ehrfurchtsvoll genannt wird, ist zu zeit- und kostenaufwendig. Eine
       Reporterin, die wochenlang in Archiven verschwindet und womöglich mit
       leeren Händen zurückkehrt, ist wirtschaftlich gesehen eine Belastung.
       
       Die Recherche auf den lokalen Ebenen von Politik und Wirtschaft wurde immer
       hauptsächlich von Zeitungsredaktionen geleistet. Lokale Fernsehsender, von
       denen es nach wie vor sehr viele gibt, beschäftigen sich lieber mit
       bildstarken Ereignissen wie Wetter, Verkehr, Kriminalität. Politische
       Geschichten übernehmen sie von den Zeitungen, sobald sie groß sind. Die
       nationalen Blätter und TV-Networks an der Ostküste verfahren ähnlich – sie
       setzen jemanden in den Flieger, wenn die Story schon da ist, oder wenn eine
       Präsidentschaftswahl anders ausgeht als vermutet.
       
       Und so kehrte der Journalismus auch einmal noch kurz nach McKeesport
       zurück: Im November 2016 gewann Donald Trump die Wahl zum Präsidenten,
       unter anderem hatte er überraschend die Mehrheit im Bundesstaat
       Pennsylvania erhalten. Also schickten die Redaktionen in den
       Küstenmetropolen ihr Personal ins Hinterland auf die Suche nach dem
       frustrierten weißen Industriearbeiter – und landeten unter anderem in
       McKeesport. Die Reporter*innen und Kamerateams aber verschwanden wieder so
       schnell, wie sie gekommen waren. Ein paar Monate später lud Andrew Conte
       die Menschen von McKeesport zu einer Diskussionsveranstaltung ein. Conte
       will aus dem alten Daily-News-Gebäude ein Zentrum für Bürgerjournalismus
       machen. Was wünschen sich die Leute von einem solchen Ort, wollte er
       fragen? Niemand kam. Die Leute, die Conte später fragte, sagten, sie hätten
       einfach die Nase voll von Journalisten.
       
       29 Oct 2018
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Washington-Post-Verlegerin-Graham/!5484559
   DIR [2] https://www.cjr.org/local_news/american-news-deserts-donuts-local.php
   DIR [3] /!5505329/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Peter Weissenburger
       
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