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       # taz.de -- Anschläge in Sachsen: Schon wieder Chemnitz
       
       > In den vergangenen Wochen wurden in Chemnitz vier Restaurants überfallen
       > – ein jüdisches, zwei persische und zuletzt ein türkisches. Eine Serie?
       
   IMG Bild: Ort der Zerstörung: das Restaurant Mangal in Chemnitz
       
       Chemnitz taz | Ali T. läuft durch den Brandschutt, knirschend über
       Scherben. Vorbei an zerborstenen Scheiben, am verkohlten Tresen, den
       Stühlen mit den aufgeplatzten Polstern. Die Tische sind rußüberzogen, auch
       die Gläser und Flaschen in den Regalen, die Wände. Die Küche, die
       Toiletten: alles schwarz.
       
       T. führt am Dienstag dieser Woche durch das Mangal, sein Restaurant. Oder
       das, was davon noch übrig ist. „Es ist alles weg“, sagt T. „Alles.“ Der
       46-Jährige vergräbt die Hände in den Jackentaschen. Er läuft auf und ab in
       den Brandresten wie in einer düsteren Höhle, weiß nicht, wo er stehen
       bleiben soll. Dann will T. wieder raus. Er kriege hier sonst Kopfschmerzen,
       sagt er. In seinen Augen, unter denen Schatten liegen, stehen Tränen.
       
       Was er jetzt mit dem Mangal machen soll? T. starrt einen Moment vor sich
       hin. Alles wieder aufbauen? Alles hinschmeißen? „Ich weiß es nicht. Keine
       Ahnung.“
       
       Sechs Tage ist es da her, dass die drei Männer in T.s Restaurant
       einbrachen. Nachts gegen zwei Uhr kamen sie. Einen riesigen Knall habe es
       gegeben, berichtete eine Nachbarin der Polizei. Sie habe das Trio noch
       weglaufen sehen, und dann den Qualm. Als sie T. mit dem Handy aus dem
       Schlaf klingelte, glaubte er das Gehörte erst nicht. Dann stieg er ins
       Auto, fuhr in die Innenstadt. Und sah, [1][dass sein Mangal tatsächlich
       niederbrannte].
       
       Es ist bereits der vierte Angriff auf ein Restaurant in Chemnitz seit Ende
       August, als in der sächsischen Stadt der 35-jährige Daniel H. erstochen
       wurde, mutmaßlich von einem Iraker und einem Syrer. Seitdem protestiert die
       rechte Gruppierung „Pro Chemnitz“ allwöchentlich gegen Flüchtlinge und
       Hunderte kommen, Bürger wie Rechtsextreme. Schon am 27. August griff ein
       Dutzend dunkel Gekleideter [2][das jüdische Restaurant Schalom an]. Gut
       drei Wochen später wurde beim persischen Lokal Schmetterling die
       Frontscheibe eingeschlagen. [3][Dann stürmten drei Vermummte in das
       ebenfalls persische Safran]. Und nun das Mangal.
       
       Noch ermittelt die Polizei die Motive der Angriffe, „in alle Richtungen“.
       Aber der Staatsschutz hat die Fälle übernommen, zuständig für politische
       Straftaten. Der Anfangsverdacht eines „fremdenfeindlichen“ Motivs sei
       naheliegend, sagt eine Sprecherin.
       
       „Es gibt eine Spannung in der Stadt“, sagt Ali T.. Seit 28 Jahren lebt er
       in Deutschland, seit 1994 in einem Vorort von Chemnitz. Vor gut einem Jahr
       eröffnete er sein Mangal. Gegrillter Lammrücken und Doradenfilet, gehobene
       anatolische Küche. Das Restaurant sei gut gelaufen, sagt T. „Ich hatte
       niemals Probleme mit jemandem.“ Bis jetzt.
       
       Auch Masoud Hashemi hatte lange keine Probleme. Er floh vor fünf Jahren aus
       dem Iran nach Deutschland, landete in Chemnitz. Vor acht Monaten machte der
       52-Jährige das Safran auf, ein kleines Lokal mit persischen Gerichten.
       Hashemi, ein schmaler, leiser Mann, sitzt an einem der Tische, vor sich
       goldbestickte Deckchen. Die Stadt habe fast nur gute Menschen, sagt er.
       Aber es gebe auch die anderen.
       
       Als Daniel H. erstochen wurde, sei auch er erschüttert gewesen, erzählt
       Hashemi. Am Tatort habe er, wie so viele, Blumen abgelegt. Dann aber
       kritzelte jemand ein Hakenkreuz an seine Ladentür, später noch einmal, eine
       Scheibe ging zu Bruch. Hashemi meldete alles der Polizei, ihr Revier ist
       nur wenige Schritte entfernt.
       
       Vor drei Wochen, an einem Sonntagabend, 22.30 Uhr, standen plötzlich drei
       Männer mit Motorradhelmen in seinem Laden. Hashemi grüßte sie. Einer der
       Männer habe „Heil Hitler“ gerufen, erzählt Hashemi. Dann habe jemand einen
       Samowar auf ihn geworfen, sei mit Tritten auf ihn losgegangen. Die anderen
       beiden hätten Dekorationen von den Tischen gerissen. Dann stürmten sie aus
       dem Laden.
       
       ## Es ist nicht mehr wie früher
       
       Acht Tage lag Hashemi im Krankenhaus. Eine Platzwunde am Kopf, Prellungen
       am Rücken und Bauch. Nun steht Hashemi wieder in seinem Laden. Der Rücken
       schmerzt noch immer. Und wenn jetzt die Tür aufgeht, spannt sich Hashemis
       Körper an. Es sei nicht mehr wie früher, sagt er. Er schlafe schlecht,
       schrecke ständig auf. Und ja, er habe Angst. Auch um seine Mitarbeiter.
       Zwei hätten seit dem Angriff bereits sein Restaurant verlassen.
       
       Rund 40 rechtsextreme Straftaten zählt die Mobile Opferberatung seit dem
       Tod von Daniel H. in Chemnitz. Doppelt so viele wie im gesamten Vorjahr.
       Ein Tunesier wird von vier Männern zusammengeschlagen, einem Iraner eine
       Flasche an den Kopf geworfen, ein Mann randaliert mit rassistischen Parolen
       vor einer Flüchtlingswohnung. Anfang Oktober lässt die Bundesanwaltschaft
       acht Männer gar unter Terrorverdacht festnehmen: Als „Revolution Chemnitz“
       sollen sie Anschläge auf Migranten, Politiker und Journalisten geplant
       haben. Sie suchten bereits nach Waffen.
       
       Und nun die Angriffe auf die Restaurants.
       
       „Wir haben hier eine sehr beunruhigende Entwicklung“, sagt André Löscher
       von der Chemnitzer Opferberatung. Seit den Kundgebungen fühlten sich einige
       in Chemnitz offenbar enthemmt. Die Angriffe auf die Restaurants seien dabei
       ein neues Level der Gewalt: „Weil es hier nicht mehr um Spontantaten geht,
       sondern richtig Planung stattfindet. Und Menschen letztlich vertrieben
       werden sollen.“
       
       Auch beim Schmetterling ist die Frontscheibe des Restaurants noch von einem
       Riss durchzogen. In der Küche steht Mina Sattari*. Sie wisse nicht, wer ihr
       Restaurant angegriffen habe, sagt die 31-jährige Iranerin. Und ob nicht
       bald wieder etwas passiert. Auch Sattari ist in Sorge über die Stimmung in
       der Stadt. Und dies, wie sie sagt, vor allem an einem Tag: Freitag.
       
       ## „Hau ab aus Deutschland“
       
       Dann, wenn abends Martin Kohlmann, [4][der Chef von „Pro Chemnitz“], und
       seine Leute in der Stadt aufziehen. Bis heute halten sie ihre Kundgebungen
       aufrecht. „Das ist unser Land“, wird dort skandiert. „Ausländer raus!“ Auch
       einige von „Revolution Chemnitz“, die mutmaßlichen Rechtsterroristen, waren
       dort.
       
       Nach einer der ersten Demonstrationen, am 27. August, strömten Rechte durch
       die Stadt. Als eine Gruppe vor dem jüdischen Restaurant „Schalom“
       auftauchte, ging Betreiber Uwe Dziuballa nach draußen. „Hau ab aus
       Deutschland, du Judensau“, habe einer gerufen, erinnert sich der Gastronom.
       Dann flogen Steine, Flaschen, ein Stahlrohr. Ein Geschoss traf Dziuballa
       an der Schulter, eins zersplitterte eine Scheibe.
       
       Ordentlich Angst habe er damals gehabt, sagt Dziuballa. Heute habe er diese
       Angst nicht mehr. Dziuballa, ein jovialer, selbstbewusster Typ, ist nicht
       so leicht aus der Ruhe zu bringen. „Aber die Gelassenheit ist weg. Das
       nehme ich denen übel.“
       
       Wer waren die Angreifer auf die Restaurants? Aufgehetzte von den rechten
       Kundgebungen? Gar eine feste Gruppe, die zur Tat schreitet? Eine zweite
       „Revolution Chemnitz“? Oder jemand ganz anderes?
       
       Es werde „mit Hochdruck“ ermittelt, versichert eine Sprecherin des
       Landeskriminalamts. Auch, ob und wie die Taten miteinander zusammenhingen.
       Noch aber fehlt den Ermittlern eine heiße Spur zu den Tätern.
       
       ## Streifenwagen fahren migrantische Restaurants ab
       
       Beim Mangal konnte die Nachbarin die drei Brandstifter zumindest etwas
       beschreiben. Dunkel gekleidet, Mitte zwanzig, 1,70 bis 1,80 Meter groß,
       einer muskulös. An drei Stellen im Restaurant sollen sie Benzin
       ausgeschüttet haben, dann flohen sie in einem roten Kleinwagen. Auch ins
       Safran, bei Masoud Hashemi, stürmten drei Täter. Beim Schalom dagegen waren
       es ein Dutzend Angreifer. Betreiber Dziuballa hat sie im Weggehen
       fotografiert. Schwarze Gestalten, die Gesichter nicht zu erkennen. Der
       Polizei hilft das wenig.
       
       Dzibualla bleibt vorsichtig, was eine Serie angeht. Zwar sei die zeitliche
       Nähe der Angriffe „verblüffend“. Das Vorgehen aber sei doch sehr
       unterschiedlich. „Ich sehe da noch keinen Zusammenhang“, sagt Dzibualla.
       „Aber ich kann mich auch irren.“ Die Polizei hat derweil Streifenwagen
       rausgeschickt, die nun verstärkt migrantische Restaurants und
       Asylunterkünfte in der Stadt abfahren.
       
       Auch die Politik reagierte diesmal schnell. Chemnitzs Bürgermeisterin
       Barbara Ludwig, eine SPD-Frau, besuchte Masoud Hashemi noch im Krankenhaus.
       Auch bei Ali T. war sie. Sachsens Innenminister Roland Wöller reiste nach
       dem Brand im Mangal ebenfalls an, besuchte T. und Hashemi.
       „Verabscheuungswürdig und feige“ seien die Taten, sagte der CDU-Mann.
       Kommende Woche will auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier nach
       Chemnitz reisen, zwei Wochen später Kanzlerin Angela Merkel.
       
       Die Reaktionen seien schön, sagt Hashemi. So viele kämen jetzt, die ihn
       bitten, zu bleiben. Auch Ali T. wurden Hilfen und Spenden angeboten. „Mein
       Handy klingelt ständig.“
       
       Auf die Reaktion von Martin Kohlmann hätte T. dagegen gerne verzichet. Nach
       dem Brand im Mangal sagte Kohlmann, er wolle nichts verharmlosen, aber im
       Vergleich zur Gewalt gegen Deutsche sei das doch „nur ein Sachschaden“.
       
       Ali T. wird wütend, wenn er so etwas hört. „Nur Sachschaden? Ja, stimmt.
       Aber hier steckte auch mein ganzer Traum drin.“ Über Monate habe er sein
       Restaurant eingerichtet, jedes Detail geplant, 230.000 Euro investiert. Nun
       kam am Dienstag ein Gutachter der Versicherung und attestierte einen
       Totalschaden. „Und was ist mit den Leuten, die hier oben im Haus wohnen?“,
       fragt T. 17 Bewohner mussten nach dem Brand evakuiert werden. „Die hätten
       sterben können.“
       
       „Es ist gefährlich, was gerade in Chemnitz passiert, für alle“, sagt
       Safran-Betreiber Hashemi. „Deutschland muss vorsichtig sein.“ Aber Hashemi
       will in Chemnitz bleiben. Sein Lokal sei ja gerade erst angelaufen. Und es
       gebe ja auch die anderen Leute hier, „die Netten“. Hashemi verschwindet in
       die Küche, er muss Essen vorbereiten, für den Abend hat sich eine
       Besuchergruppe angekündigt.
       
       Auch Ali T. will bleiben. Was mit dem Restaurant passiert, wisse er noch
       nicht. Aber er lebe schon so lange hier, seine Kinder gingen hier zu
       Schule. „Das ist mein Zuhause.“
       
       Das Leben in Chemnitz geht weiter für Masoud Hashemi, Ali T., Mina Sattari
       und Uwe Dziuballa. Die rechte Hetze aber auch. Was nun bleibt:
       Verunsicherung.
       
       * Name zum Schutz der Person von der Redaktion geändert.
       
       29 Oct 2018
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Konrad Litschko
       
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