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       # taz.de -- Wahl in Brasilien: Wenn Sportler für Hetzer trommeln
       
       > Prominente Sportler rufen in Brasilien zur Wahl des Rechtsextremen Jair
       > Bolsonaro bei der Wahl auf. Sollten Athleten sich in Politik einmischen?
       
   IMG Bild: Balltreter, Klappe halten? Ex-Nationalspieler Ronaldinho bei der WM in Moskau
       
       BERLIN taz | Wenn die deutschen Ex-Fußballstars Lothar Matthäus, Bastian
       Schweinsteiger, Lukas Podolski und vielleicht auch noch Rennfahrer Ralf
       Schumacher zur Wahl der AfD aufrufen würden, wäre in Deutschland ganz schön
       was los. Genau das passiert gerade in Brasilien, wo immer mehr prominente
       Sportler [1][zur Wahl des Rechtsextremen Jair Bolsonaro bei der Stichwahl
       am 28. Oktober] aufrufen. Die Fußballer Ronaldinho, Cafú, Kaká, Rivaldo,
       Felipe Melo und einige mehr erklären ihre Unterstützung des rassistisch,
       homophob und frauenfeindlich herumpolternden ehemaligen Fallschirmjägers,
       genau wie der zweimalige Formel-1-Weltmeister Emerson Fittipaldi.
       
       Das ist für Brasilien so besonders, wie es fast überall auf der Welt wäre:
       Spitzensportler halten sich in aller Regel politisch bedeckt. Das hat nicht
       zuletzt kommerzielle Gründe: Irgendeinem Teil ihrer Anhängerschaft wird
       nicht gefallen, was sie zu sagen haben, und das kann Karriere und Einkommen
       bedrohen.
       
       Also müsste es doch eigentlich besonders begrüßenswert sein, wenn sich
       derart prominente Personen zum Tagesgeschehen vernehmen lassen. Zeigen sie
       doch, dass es Wichtiges gibt, was sich weder im Stadion noch auf dem
       Rennring abspielt. Sie werden quasi vom hochbezahlten Fußballspieler zum
       mündigen Bürger, der sich Gedanken macht, seine Meinung äußert und
       vielleicht auch andere dazu bringt, sich politisch zu informieren und zu
       positionieren.
       
       Andererseits: Dass ihnen jemand zuhört, liegt ja nun nicht an ihrer
       ausgewiesenen Kenntnis der Materie, sondern schlicht an ihrem Bekannt- und
       Beliebtheitsgrad. Jeder Quatsch, der niemanden interessieren würde, wenn
       ihn der Klempner beim Reparieren des Wasserhahns äußert, erfährt einen
       tausendfachen Echoraum, wenn er von Leuten wie Ronaldinho kommt. Also doch:
       Balltreter, Klappe halten?
       
       ## Zu viele Kopfbälle genommen
       
       Andererseits ist es ja mit Politikern genauso. Nur zu oft geben Leute,
       deren Funktion und hoffentlich auch Expertise es ist, etwa ein Ministerium
       oder eine Stadtregierung zu leiten, Medien gegenüber Kommentare zur
       Leistung einer Fußballmannschaft auf dem Platz ab. Politiker kommentieren
       Fußballer – dann ist es nur fair, wenn das auch umgekehrt passiert.
       Fußballer: Redet!
       
       Aber das ist zu einfach gedacht. Denn wenn sich ein Politiker wünscht, sein
       Lieblingsverein möge deutscher Meister werden, dann hat das auf den Ausgang
       der Bundesligarunde in der Regel keine Auswirkung. Umgekehrt womöglich
       schon.
       
       Im Grunde ist die Sache viel einfacher: Wenn ein Prominenter auch mit wenig
       Sachkenntnis etwa die EU-Seenotrettungspolitik anklagt, gegen Rassismus
       protestiert oder #MeToo unterstützt, werden zumindest Linksliberale loben,
       er nehme auch unter Inkaufnahme von Risiken für seine Karriere seine
       gesellschaftliche Verantwortung wahr.
       
       Haltung zeigen und so. Wenn ein Fußballspieler hingegen bei einer
       „Merkel-muss-weg“-Demo mitlaufen und in Interviews verbreiten würde,
       Deutschland stünde vor der Umvolkung und es sei an der Zeit, sich zu
       wehren, wird noch immer eine Mehrheit in Deutschland denken, er habe
       offenbar zu viele Kopfbälle genommen und solle doch einfach den Rand
       halten. Ja, wir messen mit zweierlei Maß, wir können gar nicht anders.
       
       ## Ali vs. Vogts
       
       Nicht zufällig sind die Interviews des inzwischen verstorbenen größten
       Boxers aller Zeiten, Muhammad Ali, zum Thema Rassismus bis heute echte
       Klassiker, Berti Vogts’ Freundschaft zu Helmut Kohl eher eine peinliche
       Fußnote. Gut, die beiden waren nun auch wirklich auf unterschiedlichen
       intellektuellen und rhetorischen Niveaus.
       
       Aber letztlich geht es doch gar nicht darum, ob sich Fußball- oder
       Schauspieler äußern dürfen. Klar dürfen sie, ist ihr gutes Recht, auch wenn
       sie Quatsch reden. Die Frage ist eigentlich nur, warum das irgendjemand
       wichtiger nehmen sollte als das, was jeder andere Mensch egal welchen
       Berufszweiges zum Thema zu sagen hätte.
       
       Hören wir, wenn es uns interessiert, Fußballern zu, wenn sie über Fußball
       reden, Schauspielern, wenn sie über Filme oder Inszenierungen sprechen,
       Rennfahrern, wenn sie über Motorentwicklungen oder Aerodynamik berichten.
       In jedem Fall: Hören wir bitte jenen zu, die etwas von dem verstehen, wovon
       sie reden. Übrigens: Muhammad Ali verstand etwas von Rassismus. Er hat ihn
       Teile seiner Karriere gekostet.
       
       16 Oct 2018
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Bernd Pickert
       
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