# taz.de -- Erwerbstätigkeit im Alter: Die Lust an der Arbeit
> Die Zahl der arbeitenden RentnerInnen in Deutschland hat sich in den
> vergangenen zehn Jahren verdoppelt. Warum hören sie nicht einfach auf?
IMG Bild: Was sagt es über unsere Gesellschaft aus, wenn Ältere in ihrer Rentnerzeit noch arbeiten?
Aus dem Ruhestand taz | „Du bist doch schon in Rente“, sagt der freundliche
taz-Kollege. „Warum arbeitest du dann immer noch?“ Was er, ein Mann in den
Dreißigern, nicht sagt: „… in deinem Alter …“ Tatsächlich bin ich im Januar
über die offizielle Rentenschwelle gealtert, die für meinen Jahrgang 1952
bei 65,5 Jahren lag. Die KollegInnen haben mich damals sehr nett in den
Ruhestand verabschiedet.
Einige waren ein bisschen neidisch auf mein künftig gewiss entspannteres
Leben: „Hast du es gut!“ Andere machten sich Sorgen, ob ich mit der überaus
mageren Rente nach vielen Jahren untertariflicher taz-Einkünfte
zurechtkäme.
Einige Wochen nach der Abschiedsfeier war ich wieder da. Die Redaktion
hatte angerufen, ob ich nicht einen Kollegen für eine Zeitlang vertreten
könnte. Dann wurde jemand anderes krank und ich sprang noch mal ein.
Während ich also wieder an meinem Schreibtisch saß und durch die Flure der
taz lief, begegneten mir ständig bekannte Gesichter, AltersgenossInnen, die
ebenfalls längst in der zweiten Sechzigerhälfte angekommen sind.
Warum sie nicht aufhören? „Ich werde wohl bis an mein Lebensende arbeiten
müssen“, hat mir eine 70-jährige Kollegin beim Abschied gesagt, andernfalls
[1][werde ihr Geld hinten und vorne nicht reichen], selbst bei
bescheidenstem Lebensstil. Manche tazlerInnen können sich freier
entscheiden, weil sie geerbt haben, gut verheiratet sind oder rechtzeitig
im Lotto gewonnen haben. Sie machen weiter, weil sie Lust dazu haben.
Und wir taz-Älteren sind nicht allein: Am Donnerstag hat das Statistische
Bundesamt Zahlen vorgelegt, die zeigen, dass der Anteil arbeitender
Senioren in den vergangenen zehn Jahren deutlich gestiegen ist. Demnach
waren 16,1 Prozent der 65- bis 69-Jährigen erwerbstätig. Zehn Jahre zuvor
waren es lediglich 7,1 Prozent. Manche tun es, um ihre Rente aufzubessern,
andere weil sie ihre Arbeit als identitätsstiftend empfinden.
## Viele kommen mit der Rente nicht aus
„Was sagt es über unsere Gesellschaft aus, wenn Ältere in ihrer Rentnerzeit
noch arbeiten?“, will jetzt der junge taz-Kollege wissen. Meine spontane
Antwort: „Nichts! Die nackte Zahl sagt nichts über die Gesellschaft aus.“
Hätte er gefragt: „Was sagt es über unsere Gesellschaft aus, wenn so viele
Alte noch arbeiten müssen?“, wäre meine Reaktion anders ausgefallen.
Selbstverständlich ist es eine Schande, wenn in einem so reichen Land wie
Deutschland Löhne und Gehälter in vielen Berufsgruppen so niedrig sind,
dass viele Alte mit ihrer Rente nicht auskommen. Dass so viele in ständiger
Angst vor einer Mieterhöhung leben müssen und davor, [2][in ein
schreckliches Pflegeheim zu kommen], wenn man zu schwach oder vergesslich
wird, sich selbst noch vernünftig zu helfen. Jeder hört die Geschichten von
fürchterlichen Heimen, wo ausgebildetes und bezahltes Personal fehlt.
Dort aber, wo RentnerInnen freiwillig arbeiten, weil sie Lust dazu haben
und weil ihre Tätigkeit nützlich und geschätzt ist, da kann man eine
Gesellschaft nur beglückwünschen. Das bedeutet keineswegs, dass die
jüngeren KollegInnen jene älteren auf ewig aushalten müssen, die sich aus
Angst vor Bedeutungsverlust oder Einsamkeit auch nach offiziellem
Rentenbeginn an ihren Job klammern. Oder dass die Alten den Jungen die
knappen festen Stellen vorenthalten und die Jüngeren zwingen, sich von
einem Kurzzeitvertrag zum nächsten zu hangeln.
Aber dort, wo es flache Hierarchien gibt, wo sich die KollegInnen im
Arbeitsalltag nicht primär nach dem Alter und Dienstalter, sondern nach
ihren Fähigkeiten schätzen und respektieren (und wo die Bezahlung relativ
transparent ist), will ich gern weiter arbeiten.
Wie lange ich selbst noch zur taz zurückkomme? Ich habe mir vorgenommen:
Wenn ich zu hilflos vor den technischen Redaktionssystemen oder neuesten
Entwicklungen in den sozialen Medien stehe, höre ich endgültig auf. Oder
wenn ich wegen meines Ruhestandes zu beschäftigt bin, Zeit für die taz zu
finden.
19 Oct 2018
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## AUTOREN
DIR Jutta Lietsch
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