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       # taz.de -- Die Wahrheit: Bußgang unterm Balkensepp
       
       > Der Besuch bei den „Unbeschuhten Karmelitinnen“ war anstrengend und
       > action-reich. Aber davon ließ ich mir die Laune nicht verderben.
       
       Neulich verbrachte ich ein paar Nächte in einer katholischen Kleinstadt, in
       einem Hotel gegenüber vom Dom. Das Hotel hatte einst zu einem der vielen
       dort ansässigen Klöster gehört, ich merkte es an der Härte und Breite des
       Bettes, auf dem man nur auf der Seite liegen konnte, und der Temperatur im
       Zimmer: Als die in einer Moll-Oktav-Rippe gegossenen Domglocken am Morgen
       läuteten, war mein Nachthemd an der Außenwand festgefroren, und ich musste
       es ritsch-ratsch abreißen.
       
       Aber davon ließ ich mir die Laune nicht verderben, zündete die dünne Kerze
       an, die mir als einzige Lichtquelle diente, und fiel aus dem Bett auf die
       Knie, vielleicht aus Versehen. Einen Spiegel gab es leider in der Ecke mit
       der Wasserschüssel nicht, aber ich vertraute darauf, dass mich im Dunkel
       der Herrgottsfrühe eh niemand sähe.
       
       Ich verließ das Haus und platzte direkt in eine Gruppe schnabulierender
       Nonnen. Laut der Seite www.katholisch.de, die einem das Nonnenbestimmen
       unter der Überschrift „Kennen Sie das Ornat?“ leicht macht, waren es
       „Unbeschuhte Karmelitinnen“. Die Unbeschuhten Karmelitinnen sind ein
       Bettelorden, insofern verstehe ich das Adjektiv im Titel nicht ganz – es
       kann doch nicht so schwer sein, sich ein Paar Schuhe zu erbetteln. Aber
       vielleicht haben sie Angst, auf diese Weise in „Sneaker-“, „High-Heels-“
       oder „Flip-Flop-Karmelitinnen“ entzweit zu werden.
       
       Da ich eh wach und in der Kleinstadt sonst nichts los war, folgte ich den
       Barfußabdrücken bis in den Dom und kam gerade recht zur Frühmesse. Ich
       schnappte mir ein Gotteslob, drückte mich auf eine Holzbank ganz hinten und
       stellte die beschuhten Füße gemütlich auf die kleine Fußleiste, um sie ein
       paar Sekunden später schnell wie der Blitz zurückzuziehen: Das war ja die
       Kniebank!
       
       Um mich herum kniete es auch schon eifrig, aber ich hatte keine Zeit, zu
       überlegen, ob meine Knochen das mitmachen würden. Denn schon zeigten zwei
       Displays an den Mittelschiffsäulen eine Zahl an und die Orgel schmetterte
       los, während ich noch zur richtigen Litanei blätterte. Ich konnte gerade
       noch ein kurzes „Kyrie“ murmeln, da standen bereits der Zirkusdirektor und
       seine Assistenten vorn unterm Balkensepp.
       
       So anstrengend und action-reich hatte ich den ganzen Zinnober gar nicht in
       Erinnerung! Während der Predigt konnte ich mich ein bisschen ausruhen, und
       auf den Leib Christi freuen, die Makronenunterlage, die Energie zurückgeben
       würde. Fast schlief ich ein, doch rumorte es bald um mich herum, und ich
       reihte mich ein, um mir das Esspapier abzuholen.
       
       Die Hostie war klein und trocken, sie blieb mir im Hals stecken und ich
       hustete im Dunkeln des Seitenschiffs ein wenig nach. Zum Glück bin ich
       Atheistin, darum vermute ich, dass das Verschlucken keine göttliche Strafe
       für die Füße-auf-der-Kniebank-Nummer war. Obwohl aus den Tiefen meines
       Gehirns ein alter Spruch nach oben drängte: Kleine Sünden straft der liebe
       Gott sofort.
       
       2 Nov 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jenni Zylka
       
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