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       # taz.de -- Germanistin über Jim Knopf: „Eine herausragende Figur“
       
       > Warum Jim Knopf nicht immer richtig besetzt werden kann und von welchen
       > Mängeln das zeugt, erklärt Birte Werner von der Bundesakademie
       > Wolfenbüttel.
       
   IMG Bild: Personalproblem umgangen: Jim Knopf (rechts) als Marionette im Puppenkistenmuseum
       
       taz: Frau Werner, Sie haben unlängst geschrieben, es sei „so gut wie
       unmöglich, die Figur Jim Knopf auf einer deutschen Theaterbühne zu
       besetzen, ohne etwas grundsätzlich ‚falsch‘ zu machen“. Warum? 
       
       Birte Werner: Grundsätzlich ist das Theater eine große Wundermaschine. Wer
       auf der Bühne steht, kann alles sein: Eine Schauspielerin kann sagen: „Ich
       bin ein Drache“, „Ich bin Maria Stuart“ oder „Ich bin ein Zwerg“, Frauen
       können Männer spielen und umgekehrt. Theater ist Verwandlungskunst.
       
       Aber? 
       
       Damit alle alles sein können, sollten auch alle vertreten sein in einem
       Ensemble. Und da liegt das Problem: Wir haben vor allem weiße Frauen und
       Männer auf der Bühne. Die anderen, die einem bestimmten Standard, einem
       körperlichen Ideal nicht entsprechen, die anders aussehen, eine Behinderung
       haben: Die sind gar nicht da. Oder vielleicht mal als Gast. Im
       Theaterbetrieb wirkt ein strenger, struktureller Exklusionsmechanismus.
       
       Und dann kommt „Jim Knopf“ auf den Spielplan. 
       
       Ein Stück, in dem es endlich mal eine tolle Rolle gibt für einen schwarzen
       Protagonisten. Doch weil die meisten Theater keine schwarzen
       Schauspieler*innen im Ensemble engagiert haben, und weil sie mit gutem
       Gewissen sagen: „Theater ist Verwandlungskunst, bei uns können alle alles
       spielen“, besetzen sie die Rolle des Jim mit jemandem, der bei ihnen im
       Engagement ist – meist ein weißer erwachsener Mann.
       
       Und nun? 
       
       Es geht nicht darum, einzelne Bühnen an den Pranger zu stellen und zu
       sagen: Ihr habt ja gar kein entsprechend aufgestelltes Ensemble, das unsere
       Gesellschaft repräsentiert! Sehr viele Theater arbeiten daran, sind auf dem
       Weg, aber sie sind unterschiedlich weit dabei. Und einige Bühnen, muss man
       leider sagen, bekommen den Diskurs gar nicht mit. Oder, schlimmer: Sie
       ignorieren ihn, weil sie das nicht als ihr Thema empfinden.
       
       Was sie aber tun müssten? 
       
       Das ist für mich nicht nachvollziehbar: Kommunale Theater, die sich
       wegducken unter so einer wichtigen gesellschaftlichen Aufgabe und neuen
       künstlerischen Möglichkeiten, statt sich ihnen zu stellen und interessante
       Wege zu entwickeln.
       
       Sind solche interessanten Wege am Ende nicht gefragt? 
       
       Ich glaube, das ist ein Lernprozess für beide Seiten: Für die Ensembles
       oben und das Publikum unten. Aber ich glaube auch: Wir können alle nur
       gewinnen, wenn wir uns darin schulen, Vielfältigkeit als selbstverständlich
       wahrzunehmen.
       
       Warum ist „Jim Knopf“ dafür besonders gut geeignet? 
       
       Es gibt, so weit ich das beurteilen kann, in der Kinder- und
       Jugendliteratur in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Europa nur
       ganz wenige Bücher mit einer Figur wie Jim Knopf. Das ist herausragend, ein
       Kinderbuch mit einem schwarzen Helden, um den überhaupt kein Aufhebens
       gemacht wird. Es wird ein paar Mal erwähnt, dass er schwarz ist, aber die
       Lummerländer zeichnen sich dadurch aus, dass es für sie kein Thema ist. Die
       sagen: „Ah, du bist prädestiniert zum Lokomotivführer – Lukas ist ja auch
       immer so schwarz – perfekt.“ Andersartigkeit insgesamt ist in dem Buch eher
       ein Merkmal von Stärke. Das sind Protagonisten, die die Geschichte
       voranbringen. Die Welt retten.
       
       6 Nov 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Alexander Diehl
       
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