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       # taz.de -- Der Hausbesuch: Wildkräuter und Schnaps
       
       > Sibylle und Hans Breisacher haben in den siebziger Jahren in Ihringen
       > einen Hausgarten angelegt. Heute ist er eine Oase.
       
   IMG Bild: Die Eheleute Breisacher im Gartenglück​
       
       Für Hans und Sibylle Breisacher ist der Garten die Seele des Hauses. Fast
       immer halten sie sich dort auf, was in Ihringen, der Winzergemeinde am
       südlichen Kaiserstuhl, nicht so schwer ist. Soll es doch der wärmste Ort in
       Deutschland sein.
       
       Draußen: Das große Tor sieht aus wie ein Fass. Wer die Breisachers besuchen
       will, muss da durch. Ist es offen, ist das wie eine Einladung, sich den
       Bauerngarten, der oasenartig an das Haus und die ehemaligen Scheunen und
       Stallungen grenzt, anzusehen, dabei vorbeigehend an altem Winzerwerkzeug,
       Fuhrwerken, Pferdegeschirren, Fässern und allerhand andere Dekoration. Wo
       ein Hohlraum entsteht, wird er begrünt, Schuhe oder kaputte Tonschalen
       auch.
       
       Drinnen: Das Haus ist wie eine Wabe, die immer weiter ausgebaut wurde und
       wird, mit neuen Räumen, die in den alten Gebäuden entstehen. Direkt hinter
       dem Eingang und geschützt vor einer alter Bruchsteinwand steht der
       Esstisch, eine Ahnung vom Draußen schwappt bis hierher. Dahinter fing
       früher das alte Haus an. Und was dann Scheune und Stall war, war eine Zeit
       lang Ferienwohnung und wird jetzt die Wohnung des Sohnes. Noch ist es eine
       Baustelle, riecht nach frischem Putz. Wer „hallo“ in die Räume hineinruft,
       bekommt keine Antwort. Die Leute sind im Garten. Hans Breisacher mäht, mit
       dem Enkel auf dem Schoß, gerade mit dem kleinen Traktor den Rasen.
       
       Der Garten: „3.000 Quadratmeter“, sagt Sibylle Breisacher, die hinter einem
       Strauch hervorkommt „da kann man was machen.“ Die 64 Jahre alte Frau wirkt
       scheu. Dass ihr Bauerngarten seit ein paar Jahren sogar in den Medien
       Aufmerksamkeit bekommt, war nicht beabsichtigt. Sie und ihr Mann haben
       Anfang der 70er Jahren damit begonnen, ihn anzulegen. „Ohne großen Plan.“
       
       Wie Zugvögel: Als sie mit dem Garten begannen, wollten sie vor allem
       eigenes Gemüse und Platz für die Kinder. Anfangs sei das gar nicht so
       ambitioniert gewesen. Sie waren jung. 19 und 21. Die Tochter war schon da.
       Geld dagegen kaum. Deshalb sind sie ins Elternhaus von Sibylle Breisacher
       gezogen. Wie Schwalben in alte Nester. „Das kam. Das war nicht geplant“,
       sagt sie. Und jetzt kommt auch der Sohn zurückgeflogen.
       
       Der Mann: Dass der Garten immer größer wurde, immer lebendiger, das läge an
       ihm, an Hans Breisacher. Der kommt, nachdem er den Mäher weggefahren hat,
       angeschlendert mit seinem Lederhut auf dem Kopf, sagt: „Ich bin gern in der
       Natur.“ Er zupft ein Blatt Wegerich aus dem Rasen, isst es. Wenn es geht,
       ist er rund um die Uhr draußen. Als er jung war mehr als heute. Das
       Verständnis für die Wunder, die in der Natur wirken, die kämen von seinem
       Großvater und seinem Vater.
       
       Verständnis für die Natur: Er ist auf einem Bauernhof am nördlichen
       Kaiserstuhl aufgewachsen. „Wenn die Schule aus war, war klar, was zu tun
       ist“, sagt er. Aufs Feld gehen. In die Reben gehen. Auf Spargeln setzte der
       Vater schon früh. „Schwetzinger Meisterschuss“ hieß die alte Sorte. Dreimal
       am Tag musste man auf die Spargelfelder. Das erste Mal morgens um fünf.
       „Manchmal wusste man schon vor der Schule, wo man am Nachmittag hin musste.
       Manchmal lag ein Zettel auf dem Tisch: Komm da und da hin“, meint Sibylle
       Breisacher, seine Frau. An dem Punkt gleichen sich ihre Lebensläufe. Später
       wurde er Kellermeister im Versuchsweingut Blankenhornsberg. Etwas mit Wein
       eben.
       
       Sie: Ob sie auch einen Beruf hat? „Nein, ein Dutzend“, sagt ihr Mann und
       zählt auf: Hausfrau, Mutter, Krankenschwester, Köchin, Touristenführerin,
       Feriengästebetreuerin, Chauffeurin, Erzieherin, Winzerin, Gärtnerin,
       Brennmeisterin, Staubsaugerpilotin. „Hör auf“, wehrt sie ab.
       
       Schnapsbrennerei: Der Vater von Sibylle Breisacher war Winzer und
       Schnapsbrenner, wie die meisten in Ihringen es früher waren. Als Rebstöcke
       mit den Römern über die Alpen kamen, war es kein Kunststück für die
       Vorfahren, hier am Kaiserstuhl, dem etwa 500 Meter hohen Vulkankegel in der
       Rheinebene mit seinem satten Boden und seiner Sonnenlage, auf Wein zu
       kommen. „Das hat Tradition“, sagt sie. Zum Wein- und Obstbau kam bei ihren
       Eltern das Schnapsbrennen dazu. Ihre Oma hatte das Brennrecht. Von dieser
       ging es auf den Sohn und vom Sohn auf Sibylle Breisacher. „Mir war das am
       Anfang nicht recht. Ich hatte Angst vor der heißen Maische.“ Bis heute
       brennt sie nun doch ihre eigenen Brände. Nicht nur Kirschen, Äpfel,
       Mirabellen. Auch mit Seltenerem wird experimentiert. Mit Maulbeeren,
       Feigen, Granatäpfeln, Kaki. Obst dafür ist da, ist alles im Garten.
       
       Die wilde Natur: „Wildkräuter sind sein Steckenpferd“, sagt Sibylle
       Breisacher. Er: „Alles was man essen kann.“ Er habe schon Kaffee aus
       Löwenzahnwurzeln kredenzt und die, die er damit bewirtete, hätten keinen
       Unterschied bemerkt. „Jede Pflanze hat für mich eine Daseinsberechtigung.“
       Er komme noch aus einer Zeit, in der man Kraut von der Böschung holte,
       Brennnesseln, Wegerich, „du hast es wie Spinat gekocht.“
       
       Der Boden: „Ich bin aufgewachsen mit Kühen und Pferden, die in der
       Landwirtschaft eingesetzt wurden. Dann kam der Traktor“, sagt er. Als er
       mit dem Traktor das Feld pflügte, ist ihm der Opa mit der Peitsche
       hinterhergerannt und schimpfte: „Du holst mir den toten Boden hoch. „Ich
       dachte nur: ,Hey Opa.' Heute weiß ich es besser.“ Hans Breisacher pflegt
       den Boden in seinem Garten, auf der Streuobstwiese, in den Reben, die er
       noch hat, wie andere den Lack ihres Autos. Er kann stundenlang darüber
       sprechen, dass die Mikroorganismen in der oberen Bodenschicht das A und O
       fürs Wachsen und Gedeihen sind. Der reiche Kompost, der in seinen Tonnen
       reift, ist ihm so wichtig wie die Früchte, das Gemüse, die Blumen, die hier
       wild nebeneinander wachsen. Sein Boden könne 200 Liter Wasser in der Stunde
       aufnehmen. Der auf den herkömmlich bewirtschafteten Äckern, wo durch Dünger
       und Ackergifte die Bodenlebewesen kaputt gemacht werden, nur 20. „Gesunder
       Boden minimiert Überschwemmungen.“ Und bringt Ertrag. „Man kann doch keine
       Kuh in die Wüste schicken.“
       
       Zeigen: Oft bleibt Hans Breisacher, als er durch den Garten führt, stehen,
       zupft da etwas, dort etwas, steckt es sich in den Mund, gerade sind die
       Mirabellen reif. Jede Pflanze, jeder Baum hat seine Geschichte: Die
       Urwaldrebe aus dem Rheinwald, die Baumstämme hochwächst, der Mangold im
       Blumenbeet, die Schönheit von Kaki, Mispel, Maulbeere, Aprikose, der
       Indianerbaum, die eigene Paprikazucht, Bananen, Palmen, der Malabarspinat,
       Chayote, der wie Kohlrabi schmeckt, und die gesprenkelten Berner
       Landfrauenbohnen, der schöne Perlenschnurknöterich, der ächzende
       Lederhülsenbaum, der wahnsinnig schnell wachsende Blauglockenbaum und so
       geht das immer weiter. Jede Pflanze zieht etwas nach sich, Insekten, Vögel,
       Tiere. Schwalbenschwänze seien im Garten, der Wiedehopf, Hirsch- und
       Nashornkäfer, Bienenfresser, Eisvogel, „der holt sich die Fische aus dem
       Teich“. Schwalben und Libellen sowieso.
       
       Weniger ist mehr: Früher hätte er selbst Insektizide gespritzt in den
       Reben. Dann habe er aufgehört und gemerkt: Es gibt weniger Schädlinge. So
       sei das alles gekommen. Peu à peu. Man müsse nur hingucken. Und auf sich
       schauen, auf das, was man von der Natur zurückbekomme. „Mein Mann war oft
       gestresst von der Arbeit. Dann ist er in den Garten.“ Und dann kam noch die
       Zäsur, als er nicht mehr arbeiten konnte. Innerhalb einer Woche mussten sie
       entscheiden: Frührente ja oder nein. Ja, hätten sie gesagt, „wir ziehen das
       durch. Was nützt eine schöne Rente und dann bist du tot. Weniger ist mehr.“
       
       Der Grundwert: Er allein könne die Welt nicht retten, sagt Hans Breisacher.
       „Das tut in der Seele weh, wenn man das sieht, dass viele Menschen sagen,
       ich lebe heute, was nachher kommt, ist egal.“ Er will, was er Grundwert
       nennt, und es ist Grundwert auch wörtlich: „dass man die Böden wieder
       gesund macht“. Er hofft, dass seine Enkel das Wunder, das er täglich vor
       Augen hat, sehen. Die Kleinen haben ihre eigenen Beete im Garten. Die
       großen Player, die Industrie aber sei hintendran. So was wie der
       Gülletourismus, wo Gülle aus holländischen Schweinemastanlagen auf Böden
       etwa in NRW verklappt wird, ein Unding. „Die falschen kriegen Geld vom
       Staat“, sagt Hans Breisacher. Tiefer Groll steigt in ihm hoch, verfinstert
       seinen Blick. „Hör auf“, sagt seine Frau.
       
       Anerkennung: Was alles in seinem Garten gedeiht? Er weiß es nicht. Sowieso
       bringen er und seine Frau von Reisen, wo sie oft andere Gärten besuchen,
       immer etwas mit. Das hier sei die kleine Mainau, würden Besucher oft
       ausrufen. „Das ist schon ein Kompliment“, sagt Sibylle Breisacher. Jetzt
       sind die beiden mit anderen Bauerngartenbesitzern sogar Protagonisten in
       einer Fernsehdokumentation. Bald läuft die Dokumentation im
       Regionalprogramm, weil es ein Interesse gibt, und vielleicht auch ein
       Umdenken. Bei jungen Leuten sieht Hans Breisacher es. Das sei auch
       Anerkennung.
       
       3 Nov 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Waltraud Schwab
       
       ## TAGS
       
   DIR Der Hausbesuch
   DIR Garten
   DIR Schwerpunkt Bio-Landwirtschaft
   DIR Kolumne Die Zutat
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