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       # taz.de -- Sportnation Saudi-Arabien und Khashoggi: Verordnete Unterhaltung
       
       > Saudi-Arabien schickt sich an, ein großer Player im Weltsport zu werden.
       > Die Menschenrechtslage ist dabei meist nur ein Randthema.
       
   IMG Bild: So gefällt es seiner Hoheit: jubelnde brasilianische Spieler in Riad
       
       Es ist noch keine zwei Wochen her, da hat Brasilien mit 1:0 gegen
       Argentinien gewonnen. Es war der 100. Superclásico. Das Spiel fand nicht in
       Rio statt, auch nicht in Buenos Aires. Gekickt wurde in Riad, der
       Hauptstadt von Saudi-Arabien. Einen weiteren Superclásico soll es im
       Dezember geben: Es treten mit Rafael Nadal und Novak Djokovic die Nummern
       eins und zwei der Tennis-Weltrangliste in einem Showmatch gegeneinander an
       – in Jeddah, Saudi-Arabien. Wenige Wochen zuvor, am 2. November, ist in
       Riad die Wrestling-Show Crown Jewel angesetzt.
       
       Mit den Veranstaltern der WWE (World Wrestling Entertainment) hat das
       saudische Königreich 2018 eine zehnjährige Partnerschaft vereinbart, die
       die Stars der Szene ins Land holen soll. 2018 gab es schon den ersten
       internationalen Boxkampf in Saudi-Arabien zwischen Callum Smith und George
       Groves, die erste Motorsport-Veranstaltung der Reihe Race of Champions, und
       im Dezember ist der Auftakt der Formel E angesetzt.
       
       Ein Land nimmt Anlauf, die Machtverhältnisse im Sport anzugreifen. Seit
       2016 rüstet Saudi-Arabien, was sportliche Großveranstaltungen betrifft,
       auf. Zu Anfang waren es Turniere in Randsportarten wie etwa 2017 die
       Schach-WM, für die der Weltverband Fide vom Gastgeber eine kolportierte
       Rekordsumme von 1,5 Millionen Dollar erhielt. Bei den ganz großen
       Veranstaltungen zauderten die Saudis noch. Im vergangenen Jahr aber sind
       Summen und Anzahl der Events in die Höhe geschossen.
       
       [1][Im Januar 2019 kommt der italienische Fußball-Supercup nach Riad], für
       dessen Austragung der Gastgeber angeblich 20 Millionen Euro zahlte. Und das
       Herzstück der Kampagne ist der viel diskutierte mögliche Deal mit der Fifa
       über eine neue Klub-WM und eine weltweite Nations League, die dem
       Weltfußballverband 25 Milliarden Dollar bringen soll, gezahlt wohl
       maßgeblich von saudischen Investoren. Die Investoren würden auch gern die
       Übertragungsrechte und den Ticketverkauf kontrollieren, ein Novum. Und ein
       Aspekt eines groß angelegten Plans.
       
       ## Globalisierung des Sports weitgehend verschlafen
       
       „Durch Sport soll die gesellschaftliche Öffnung vorangetrieben werden. Das
       ist Teil der Image-Kampagne“, sagt Sebastian Sons, Saudi-Arabien-Experte
       der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. „Außerdem soll Sport als
       Softpower in Wirtschaft und Politik genutzt werden. Man versucht, ein
       Modell wie Katar zu kopieren, das mit Sport sehr erfolgreich war.“
       Saudi-Arabien hat in den vergangenen Jahrzehnten die Globalisierung und
       Hyper-Kapitalisierung des Sports erstaunlicherweise weitgehend verschlafen.
       [2][Ausgerechnet Nachbar und Erzfeind Katar dagegen hat sich als mächtiger
       Player positioniert]: mit seinem Haus- und Hofverein Paris Saint Germain,
       der Fußball-WM 2022, dem Sportsender beIN oder kleineren Turnieren wie der
       Handball-WM, die Katar mit einem zusammengekauften Team als Vizeweltmeister
       beendete.
       
       Eines der teuersten und größten Sport-Trainingszentren der Welt steht
       mittlerweile in Katar, und Doha träumt längst von der Ausrichtung der
       Olympischen Spiele. Für den kleinen Golfstaat brachte das Sport-Investment
       politischen und wirtschaftlichen Einfluss, der alle Erwartungen übertraf –
       und einen gigantischen Image-Gewinn. Dass heute jedes Kind Katar kennt,
       liegt vor allem an Neymar.
       
       „Was wirtschaftliche Diversifizierung angeht, war Saudi-Arabien lange Zeit
       sehr vorsichtig“, so Sons. „Man war in der Vergangenheit sehr konservativ.
       Vieles dauert länger als in den kleinen Golfstaaten.“ Jetzt soll es umso
       schneller gehen. Kronprinz Mohammed bin Salman hat dem Land einen harten
       Fortschrittskurs verordnet. Weniger aus sozialen Überlegungen heraus, eher
       aus ökonomischer Notwendigkeit: Die saudischen Ressourcen schwinden, die
       Bevölkerung wächst, das Öl allein kann den Wohlstand nicht mehr sichern.
       Und etwa 70 Prozent der Bevölkerung sind jünger als 30 Jahre. Auf der Suche
       nach neuer globaler Positionierung ist Sport ein zentraler Baustein. Und er
       soll helfen beim Werben um die arabische Jugend.
       
       Im April 2016 hat bin Salman seine „Vision 2030“ vorgestellt, einen Umbruch
       wie eine PR-Kampagne, mit hübschem Palmenlogo, mit einem Touch von
       Weltgewandtheit, Innovation und Moderne. Der zentrale Teil des Versprechens
       besteht darin, neue Einnahmequellen für die Wirtschaft jenseits von Öl zu
       erschließen. Die sozialen und gesellschaftlichen Ankündigungen sind sogar
       noch umfassender: Investitionen in den Gesundheits- und Bildungssektor,
       kulturelle Öffnung, Frauenrechte und eben auch Entertainment. Es ist dies
       ein Wandel verordnet von oben, eine Anordnung zur Modernisierung statt
       Liberalisierung.
       
       ## Unterhaltung auf königlichen Befehl
       
       Seit Mai 2016 gibt es auf königlichen Befehl hin eine General Authority for
       Entertainment (GEA), die bislang geschätzte 2 Milliarden Dollar in Sport
       und Kultur investiert haben soll. In puncto Marketing hat sich die Kampagne
       jetzt schon gelohnt: Westliche Medien berichteten anerkennend über
       eröffnete Kinos, Frauen am Steuer, weibliche Fans, die zum ersten Mal ins
       Stadion durften.
       
       Neuen Freiraum gibt es durchaus, das Monopol darauf aber hält die Regierung
       fest in den Händen: [3][Frauen etwa dürfen zwar jetzt ins Stadion gehen],
       aber gleichzeitig wurde eine Reihe von Frauenrechtlerinnen, die eben
       solcherlei gefordert hatte, ins Gefängnis gesteckt. Bei der Schach-WM
       durften Frauen ohne Kopftuch und Abaja spielen, aber die Regelung galt nur
       für die Dauer des Turniers.
       
       Die jüngsten Verhaftungswellen lassen manchen Beobachter schließen, dass
       die Situation für Kritiker eher noch schlechter geworden ist. „Mit den
       Festnahmen stellen der Kronprinz und sein Vater unmissverständlich klar,
       dass es Akteuren der Zivilgesellschaft nicht gestattet ist, Erfolge für
       sich zu reklamieren“, schrieb im Juni Guido Steinberg vom Deutschen
       Institut für Internationale Politik und Sicherheit. Superclásicos im Tennis
       oder Fußball heißen auch: Ihr sollt bitte Spaß haben, aber nicht zu viel.
       Ihr sollt euch öffnen, aber nur so weit wir das wünschen.
       
       Und die Wünsche gehen weit. Vor allem die Fußball-WM 2022 in Katar schmerzt
       das saudische Königshaus so, dass man bereit ist, viel zu unternehmen, um
       sie vielleicht doch noch zu verhindern. Seit Beginn der Handelsblockade
       gegen Katar versucht Saudi-Arabien immer mal wieder, eine vorzeitige
       Aufstockung der WM-Teilnehmer von 32 auf 48 Nationalteams für 2022 zu
       erreichen. Weil Katar dafür keine Kapazitäten hätte, würden ein Teil der
       WM-Spiele, so zumindest das Wunschdenken, nach Saudi-Arabien ausgelagert
       werden. Vielleicht gar das ganze Turnier. Im Mai kaperte ein Piratensender
       namens BeOutQ die Kanäle des katarischen Sportsenders BeIn und übertrug
       unlizenziert nach Saudi-Arabien.
       
       ## Die Fifa setzt auf Saudi-Arabien
       
       Fifa-Präsident Infantino, auf der Suche nach neuen Geldquellen und in einem
       steigenden Konkurrenzkampf gegen die Uefa gefangen, setzt seit Längerem auf
       die Saudis als mächtigen Partner. 2018 hat er sechsmal Saudi-Arabien
       besucht, dabei viermal König Salman und seinen Sohn getroffen, den
       faktischen Strippenzieher.
       
       Die Fifa hechelt dem europäischen Verband Uefa hinterher. Die hat mit der
       Nations League schon wieder ein enorm erfolgreiches Produkt auf den Markt
       gebracht. Jetzt sollten die Saudis helfen, eine weltweite Nations League
       gegen die Nations League der Uefa zu installieren. Zudem träumt Infantino
       von einer neuen Klub-WM mit zwölf europäischen Top-Teams, um dem
       europäischen Erfolgsprodukt Champions League etwas entgegenzusetzen. Die
       Uefa wettert dagegen über „blinde Profitgier“ und „rücksichtslosen
       Merkantilismus“.
       
       Das Thema Menschenrechte spielte beim Aufstieg der Saudis zu einer
       Sportmacht keine Rolle. [4][Erst seit der Ermordung des saudischen
       Journalisten Jamal Khashoggi wird es angesprochen]. Doch im Gegensatz zu
       den Aufforderungen an die Wirtschaft, eine Investorenkonferenz in Riad zu
       boykottieren, hält sich die Diskussion im Sport in Grenzen. Auch nach
       Bekanntwerden des Todes von Khashoggi in Istanbul erwägt einzig das
       US-Unternehmen WWE eine Absage ihrer Show „Crown Jewel“. Einige Stars,
       unter anderem John Cena, hatten schon mit Boykott gedroht.
       
       So umstritten das Sportprogramm ist, für die saudische Bevölkerung ergeben
       sich daraus durchaus Veränderungen. Sebastian Sons, der aktuell in
       Saudi-Arabien weilt, berichtet, gerade unter jungen Leuten würden die
       Veranstaltungen große Euphorie auslösen. Und den Wunsch zu zeigen, dass
       Saudi-Arabien weltoffen sei. Auch das Verhältnis der Bevölkerung zum Sport
       habe sich in den letzten Jahren enorm verändert. „Sport wird in
       Saudi-Arabien immer populärer. In der Vergangenheit war er verpönt. Jetzt
       ist Sport sexy und schick. Es gibt ein großes Bewusstsein für Breitensport,
       auch für Frauensport. Da passiert gerade viel.“ Kürzlich hätten drei neue
       Fitnessketten eröffnet, darunter eine für Frauen. Und amtierender
       Fifa-Weltmeister ist Saudi-Arabien jetzt auch. Allerdings vorerst nur an
       der Playstation.
       
       26 Oct 2018
       
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       ## AUTOREN
       
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