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       # taz.de -- Altmaiers Türkei-Besuch: Unter Freunden
       
       > Wirtschaftsminister Peter Altmaier bemüht sich in Ankara um den Ausbau
       > der Wirtschaftsbeziehungen. Und die Menschenrechte?
       
   IMG Bild: Der deutsche Wirtschaftsminister Peter Altmaier posiert in Ankara vor dem Mausoleum des Staatsgründers Mustafa Kemal Atatürk
       
       Ankara taz | Ein netter Abend, wirklich. Der Empfang des deutschen
       Wirtschaftsministers steigt im Hyatt-Hotel, Saal Angora, mit Türen so groß
       wie Fußballtore (hochkant). Am Buffet geht es einmal quer durch die
       türkische Küche, Auberginenpüree, gefüllte Weinblätter, Milchreis mit
       Karamell. Und Peter Altmaier, der Gast aus Deutschland, gibt sich alle
       Mühe, die Stimmung mit seiner Ansprache nicht zu verderben.
       
       Na gut, in den letzten Jahren habe es schon auch schwierige Momente
       zwischen beiden Ländern gegeben. In Deutschland, sagt Altmaier, habe man
       sich Sorgen gemacht [1][um die Menschenrechte], um [2][die
       Rechtsstaatlichkeit] und um die [3][Pressefreiheit in der Türkei]. Aber:
       „Unsere Beziehungen dürfen nicht auf diese Fragen reduziert werden.“ Dann
       wechselt er auch schon das Thema, spricht über Manager mit Doppelpass und
       Potentiale im Energiemarkt.
       
       Für zwei Tage ist Peter Altmaier am Donnerstag mit einer
       Unternehmerdelegation in die türkische Hauptstadt Ankara geflogen – als
       erster deutscher Wirtschaftsminister seit Philipp Rösler. 32
       Unternehmensvertreter sind zur Geschäftsanbahnung dabei, darunter Vorstände
       von Energieunternehmen und Maschinenbauern, aber auch der Chef der
       Marinesparte von Thyssenkrupp, die derzeit U-Boote für das türkische
       Militär baut.
       
       Auf dem Programm neben dem Empfang am Abend: eine Konferenz des
       deutsch-türkischen Energieforums, das beide Regierungen 2012 gegründet und
       dann schnell wieder vergessen hatten. Eine Tagung der gemeinsamen
       Handelskommission, die in den letzten fünf Jahren ebenfalls brachlag. Und
       ein Besuch bei Berat Albayrak, dem türkischen Finanzminister und
       Schwiegersohn von Staatspräsident Erdoğan.
       
       ## Ein anderer Ton
       
       Auch dort ist die Stimmung gut. „Es gab in den deutsch-türkischen
       Beziehungen schwierige Momente“, sagt Altmaier auf der Pressekonferenz nach
       seinem Gespräch mit Albayrak. „Aber wir sind entschlossen, unsere
       Beziehungen auszubauen. Im Bereich der wirtschaftlichen Zusammenarbeit
       verfügen wir über eine hervorragende Basis.“ Sein türkischer Kollege steht
       neben ihm und nickt eifrig. Was der Deutsche sagt, gefällt ihm.
       
       Der Ton ist ein ganz anderer als noch im Juli 2017. Damals nutzte die
       Bundesregierung die Handelspolitik nicht zur Annäherung, sondern als
       Druckmittel. Nachdem eine Sondereinheit der türkischen Polizei den
       deutschen [4][Menschenrechtsaktivisten Peter Steudtner festgenommen] hatte,
       verkündete der damalige Außenminister Sigmar Gabriel handelspolitische
       Konsequenzen. Deutschen Unternehmen riet er von Investitionen in die Türkei
       ab, die Bundesregierung deckelte ihre Bürgschaften für Exportgeschäfte.
       
       Diese Beschränkung hob die Regierung schon vor Monaten wieder auf,
       Altmaiers Reise ist der nächste Schritt. Den Auftrag, den Besuch
       vorzubereiten, erteilte der Minister seinen Beamten schon kurz nach seinem
       Amtsantritt im Frühjahr. Der Gedanke dahinter: Geostrategisch kommt im
       Nahen Osten niemand an der Türkei vorbei.
       
       Es liegt deshalb im deutschen Interesse, die bilateralen Beziehungen wieder
       zu verbessern – und die türkische Wirtschaft zu stützen. Der Worst-Case
       wäre demnach eine Wirtschaftskrise, die das Land ins Chaos stürzen könnte.
       
       ## „Riesiges Kooperationspotenzial“
       
       Das ist kein ganz unrealistisches Szenario. Die Lira hat seit Jahresbeginn
       [5][stark an Wert verloren]. Schlecht für türkische Unternehmen, die viele
       Kredite in Euro und Dollar aufgenommen haben und sie jetzt nur schwer
       zurückzahlen können. Nicht nur, dass die Raten durch den Lira-Kurs teurer
       wurden – gleichzeitig bricht wegen der Inflation im Inland das Geschäft
       ein.
       
       Das Wirtschaftswachstum ist nach mehreren Boomjahren am Stück bereits
       zurückgegangen. Investitionen aus Deutschland kämen der Regierung daher
       gelegen. „Wir verfügen über ein riesiges Kooperationspotenzial“, sagt
       Minister Albayrak während seines Termins mit Altmaier.
       
       Dabei sind die Probleme in den deutsch-türkischen Beziehung keineswegs
       gelöst. Noch immer sitzen nach Ansicht der Bundesregierung fünf Deutsche
       aus politischen Gründen in türkischen Knästen. Am Tag vor Altmaiers Abflug
       verschärfte das Auswärtige Amt die [6][Reisehinweise für die Türkei]; es
       warnt jetzt sogar davor, regierungskritische Beiträge auf Facebook zu
       liken. Für Oppositionelle mit türkischem Pass hat sich die Lage erst recht
       nicht verbessert.
       
       Cem Özdemir kritisiert die Reise des Wirtschaftsministers deshalb. „Es kann
       keine Arbeitsteilung in der Bundesregierung geben, wonach der Außenminister
       für politische Gefangene in türkischen Kerkern zuständig ist und der
       Wirtschaftsminister für das Unterzeichnen lukrativer Aufträge“, sagte der
       Grünen-Politiker der taz. Deutschland müsse zwar viel an einer stabilen
       Türkei liegen. „Aber ich erwarte von jedem Vertreter der Bundesregierung,
       dass er gegenüber der türkischen Seite auch die unangenehmen Themen klar
       und deutlich anspricht.“
       
       ## Hinter verschlossenen Türen
       
       Mache ich doch, würde Altmaier darauf antworten. Vor seiner Reise hat der
       Wirtschaftsminister in Berlin Vertreter von Amnesty International und
       Reporter ohne Grenzen getroffen. In Ankara wird er am Freitag zum Ende
       seines Besuchs noch mit Betroffenen aus der Zivilgesellschaft sprechen. Und
       während seinen Terminen mit türkischen Ministern spricht er die Themen
       Menschenrechte und deutsche Gefangenen offenbar an, wenn die Türen
       geschlossen sind.
       
       Aber öffentliche Kritik an der türkischen Regierung? „Die Bundesregierung
       war immer entschieden für Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und
       Pressefreiheit, und zwar weltweit“, sagt Altmaier während seiner
       Pressekonferenz mit Finanzminister Albayrak auf Nachfrage. Im Detail
       bespreche man solche Themen unter Freunden aber lieber direkt. Leise Worte
       hält der Wirtschaftsminister für effektiver als starke Statements vor der
       Kamera.
       
       Ob diese Strategie aufgeht? Zumindest einem deutschen Gefangenen hat sie
       fürs erste nichts gebracht. Am Freitagmorgen, als Altmaier gerade im
       Hyatt-Hotel das deutsch-türkische Energieforum eröffnet, verurteilt ein
       türkisches Gericht einen 29-Jährigen aus Gießen zu mehr als sechs Jahren
       Haft. Laut den Richtern ist Patrick K. Mitglied der Kurdenmiliz YPG. Der
       Verurteilte selbst streitet das ab.
       
       26 Oct 2018
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Demonstration-gegen-Erdoan-in-Berlin/!5539219
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   DIR [3] /Pressefreiheit-in-der-Tuerkei/!5539186
   DIR [4] /Kommentar-Verhaftungen-in-der-Tuerkei/!5428833
   DIR [5] /Wirtschaftsexperte-zur-Lira-Krise/!5532640
   DIR [6] https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/tuerkei-node/tuerkeisicherheit/201962
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Tobias Schulze
       
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