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       # taz.de -- Zukunft des Schwulen Museums Berlin: Wie in einer zerrütteten Ehe
       
       > Ein seit Monaten zum Teil erbittert ausgetragener Kampf um die
       > Neuausrichtung wirft ein Schlaglicht auf zum Teil lang schwelende
       > Konflikte der LSBTTIQ*-Community.
       
   IMG Bild: Eine Institution, weltweit: das Schwule Museum Berlin
       
       Der Streit zwischen dem damaligen Vorstand des [1][Vereins der Freunde des
       Schwulen Museums e. V.] und einem Teil der ehrenamtlichen Helfer und
       ehemaliger Vorstandsmitglieder begann im Januar 2018 für die Öffentlichkeit
       sichtbar zu werden. Das Vorstandsmitglied Birgit Bosold kritisierte damals
       in einem Newsletter des Hauses zum geplanten „Jahr der Frau_en“ die
       bisherige Ausstellungspraxis des [2][Schwulen Museums], die „eher die
       visuelle und konzeptionelle Hegemonie schwuler Männlichkeit (weiß und
       [3][cis] versteht sich) in der [4][LSBTTIQ]*-Welt“ widerspiegele, „als dass
       sie marginalisierte und diskriminierte Positionen in den Vordergrund
       stelle“.
       
       Insbesondere kritisierte Bosold die Ausstellungen der Polittunte [5][Patsy
       l’Amour laLove] über den schwulen Sexualwissenschaftler [6][Martin
       Dannecker] und die des französischen Künstlers und Kurators Marc Martin zur
       schwulen Klappenkultur. Beide seien „ebenso liebevoll und begeistert wie
       unkritisch“ gewesen. Gemeint war – kurz gesagt – das Fehlen eines
       feministischen Blickwinkels in beiden Ausstellungen.
       
       Bosold ist erklärte Vertreterin einer queer-feministischen Sichtweise,
       einer Kulturtheorie also, die auf den Ideen des Poststrukturalismus basiert
       und intersektionale Aspekte von Diskriminierungen in den Mittelpunkt
       stellt. Dazu gehört auch eine kritische Sicht auf die „Privilegien“ weißer
       schwuler Männer gegenüber anderen Gruppen des Regenbogens.
       
       Ihre Kritik aus queer-feministischer Sicht an einem „schwulen Heimatmuseum“
       musste nicht lange auf Antwort warten. In dem [7][queeren Berliner
       Monatsmagazin Siegessäule]warf Till Amelung dem Vorstand des Schwulen
       Museums „Geringschätzung gegenüber der Geschichte(n) von Schwulen“ vor.
       
       Drei schwule Mitarbeiter des Museums legten in der Juni-Ausgabe des
       schwulen Magazins Mannschaft nach und holten aus. Dort bemängelten sie
       unter anderem unzureichende professionelle Strukturen, undurchsichtiges
       Finanzgebaren, die ihrer Meinung nach fehlende Kritikfähigkeit des
       Vorstands, ein männer- und schwulenfeindliches Klima und nicht zuletzt eine
       Vergessenheit gegenüber der Geschichte eines Museum, das immerhin noch das
       Wort „schwul“ im Namen führt und das 1985 von vier schwulen Männern
       gegründet wurde.
       
       ## Inhaltliche Neuausrichtung seit 2008
       
       „Was ist aus dem Schutzraum für ältere Schwule geworden, die sich als
       Ehrenamtler eine Beschäftigung suchen wollten?“, fragte der Ehrenamtler
       Axel Wippermann. Exvorstand Mischa Gawronski fand im gleichen Artikel harte
       Worte für die empfundene Hatz auf alles Schwule: „Wenn eine Gruppe im Fokus
       steht und diese vorrangig aufgrund von Hautfarbe, Geschlecht und Sexualität
       kategorisiert und kritisiert wird, dann erfüllt das die Definition von
       Rassismus!“
       
       Tatsächlich verfolgt das Schwule Museum bereits seit 2008 eine inhaltliche
       Neuausrichtung, die neben Schwulem auch andere sexuelle Orientierungen und
       geschlechtliche Identitäten ausdrücklich miteinbezieht, doch wie das
       aussehen soll, darüber wird nicht nur zwischen den Buchstaben des L, S, B,
       T, T, I, Q und dem * gestritten – sondern auch innerhalb der einzelnen
       Identitäten.
       
       So kommen auch radikalfeministische Lesben aus der zweiten Welle der
       Frauenbewegung mit dem Kurs des Schwulen Museums nicht mehr zurecht. Als am
       20. April 2018 ein junges Künstlerkollektiv [8][das Bistro des Museums zu
       einer „Dyke Bar“] umfunktionierte, die Bezug nehme auf „prägende Momente
       der lesbisch-queeren Geschichte vom alten Wissen der Hexen in ferner
       Vergangenheit bis zu den Cyborgs der Zukunft, um in der Gegenwart einen
       Dialog darüber zu eröffnen, warum Dyke Bars sterben und wie sie
       wiederbelebt werden können“, erhob sich ein Sturm der Entrüstung vor allem
       wegen der spirituellen und esoterischen Anklänge.
       
       Lesbische Aktivistinnen wie [9][Stephanie Kuhnen] und die Verlegerin Ilona
       Bubeck kamen auf Einladung von Patsy l’Amour LaLove in den Neuköllner
       Veranstaltungsort Ludwig, um der Frage nachzugehen, was eigentlich LSBTTIQ*
       immer wieder in die Fänge des Esoterischen treibt und warum Spiritualität
       keine „widerständige Praxis“ sein kann – freilich ohne dass auf dem Podium
       jemand eine Gegenposition vertreten hätte.
       
       ## Anhänger*innen mobilisiert
       
       Der Streit um die Zukunft des Schwulen Museums kulminierte im Spätsommer im
       Vorfeld der Vorstandswahlen der Mitglieder des Vereins der Freundinnen und
       Freunde des Schwulen Museums in Berlin e.V.: Bosold und Hofmann hatten ihre
       Anhänger*innen über E-Mails und Facebook mit den Worten mobilisiert, es
       handele sich um eine „Kampfabstimmung“. Aufrufe, Mitglied zu werden und
       sich zur Wahl zu stellen, gab es allerdings auch von der Gegenseite.
       
       In zwei Wahlgängen wurden dann Ende September acht neue Vorstände auf zwei
       Jahre gewählt, darunter auch Bosold und Hofmann. Alle acht stehen für eine
       Forstsetzung und Weiterentwicklung der queer-feministischen Ausrichtung des
       Museums. Bekannte Namen wie der Blogger Johannes Kram und der Filmemacher
       Jochen Hick waren zur Wahl ebenfalls angetreten, fanden aber keine
       Mehrheit.
       
       Der seitdem weiter schwelende Konflikt um die personelle und inhaltliche
       Ausrichtung des Museums ist nicht nur Außenstehenden schwer zu erklären und
       vielleicht mit dem Wort „Gemengelage“ am besten umschrieben. Mindestens
       drei Aspekte spielen mit hinein, die alle ineinander greifen und zum Teil
       weit über das Haus selbst hinausreichen:
       
       Erstens: ein persönlicher Konflikt einiger Mitarbeiter und
       Vereinsmitglieder mit den beiden Vorständen Dr. Birgit Bosold und Vera
       Hofmann, denen eine kompromisslose Linie innerhalb des Hauses, Männerhass,
       ein unprofessioneller Umgang mit Mitarbeitern und eine Vernachlässigung des
       Archivs aus ideologischen Gründen vorgeworfen wird, da die dort
       schlummernden und nicht aufgearbeiteten Nachlässe zum größten Teil von
       schwulen Männern stammen.
       
       ## Immer weiter verhärtet
       
       Zweitens: die Auseinandersetzung zwischen Vertreter*innen
       queer-feministischer Ansätze einerseits und LSBTTIQ*-Aktivistinnen, die
       weitgehend der kritischen Theorie (also der zweiten deutschen
       Schwulenbewegung um Personen wie Michael Bochow oder Martin Dannecker) und
       der radikalfeministischen Lesbenbewegung der 1980er Jahre verhaftet sind
       andererseits. Postkolonialismus und Intersektionalität auf der einen Seite,
       freud-marxistische Sichtweisen auf der anderen, kollektivistische
       Widerstandsformen und Privilegiendiskurse versus Betonung des kritischen
       Individuums als revolutionärem Subjekt – das bleibt vor allem eines:
       unvereinbar. Seit dem Erscheinen des Sammelbands „Beißreflexe“ (Querverlag,
       2017) hat sich dieser Streit um Theorien in der deutschen LSBTTIQ*-Bewegung
       immer weiter verhärtet.
       
       Drittens: ein seit Jahrzehnten schwelender Konflikt zwischen vielen (aber
       bei weitem nicht allen) Berliner Schwulen und Lesben, die, anders als zum
       Beispiel in den USA, in ihren emanzipatorischen Kämpfen selten
       zusammenfanden, in der Regel getrennte Infrastrukturen aufgebaut haben und
       bis heute unterhalten und trotz anders lautender Lippenbekenntnisse sich
       gegenseitig oft nicht über den Weg trauen.
       
       Eine Diskussionsrunde zwischen Schwulen und Lesben im Neuköllner Ludwig
       anlässlich anderer, derzeit köchelnder Konflikte in der Community machte
       deutlich, wie sehr vor allem unter älteren Schwulen bis heute eine teils
       beachtliche Frauen- und Lesbenfeindlichkeit existiert. Schwule Projekte
       sind in der Regel finanziell wesentlich besser ausgestattet, schwule Männer
       sitzen innerhalb der Community fast überall an den entscheidenden
       Positionen.
       
       Das neue und alte Vorstandmitglied Birgit Bosold findet deshalb, „im Grunde
       werden im Schwulen Museum die Auseinandersetzungen geführt, die gerade in
       der ganzen Community laufen“. Es werde „um die Deutungshoheit, um die
       Verteilung von Ressourcen, um Sichtbarkeit und Macht gestritten“.
       
       Johannes Kram, der sich „nie als ein Vertreter eines schwulen Lagers
       betrachtet“ und in seinem Blog schreibt, dass er Bosold mitgewählt hat,
       findet jedoch auch, es falle Bosold schwer, „jenseits von Lagern zu denken“
       und „dass sie selbst da Zuteilungen vornimmt, wo diese absurd sind. Und
       dass sie Schwule offensichtlich ausschließlich als Machtgegner betrachtet.
       Was sie natürlich auch sind. Doch wer alles ausschließlich einem
       Verteilungskampf unterordnet, den erklärt den internen Kampf zum
       eigentlichen Zweck von Community. Der löst Community auf.“
       
       ## Auf dem Schirm der internationalen Museumswelt
       
       Bosold sieht sich vor allem durch den Erfolg des Museums in den letzten
       Jahren in ihrer Arbeit bestätigt: „Es waren nicht nur nie mehr Frauen* im
       Museum wie in diesem Jahr, sagt Bosold, „sondern wir schaffen, wie es
       aussieht, in diesem Jahr auch noch einen Besucher*innenrekord mit einem
       neuen Allzeit-Hoch in Bezug auf die Einnahmen aus dem Ticketverkauf.“
       
       Das Museum sei dank Neuausrichtung mittlerweile auch auf dem Schirm der
       internationalen Museumswelt: „Wir werden mit unserer Parteilichkeit,
       unserer Basiertheit in einer aktiven, diskussionsfreudigen Community als
       interessantes Modell dafür wahrgenommen, wie das Museum der Zukunft
       aussehen könnte, nämlich eine Plattform zu sein für gesellschaftliche
       Selbstverständigung, auf der relevante Konflikte ver- und ausgehandelt
       werden“, erklärt Bosold. „Gleichzeitig ist auch die Berliner queere
       Community sehr international geworden, die unterschiedlichen Stimmen sind
       hörbar und sie stellen Ansprüche. Ich denke, das ist einer der Gründe für
       die aktuellen Tumulte in der Berliner Regenbogengemeinde.“
       
       Einer, der sich mit dem gar nicht mehr so neuen und nun bestätigten
       Museumskurs anfreunden kann, ist der 70-jährige Mitbegründer Wolfgang
       Theis. Er sagt zur Vorstandswahl: „Ich finde das Ergebnis ganz wunderbar
       und freue mich, dass der Feminismus gesiegt hat.“
       
       Kram vermisst hingegen nach dem Sieg der queer-feministischen Fraktion vor
       allem „eine einzige Geste des Verständnisses. Selten habe ich das Verhalten
       von Gewinnern so kalt, so brutal erlebt. Kein: Nach allem Zwist wollen wir
       uns nun darum bemühen, dass auch die Unterlegenen auch noch irgendwie Teil
       davon sein können.“ Er schlägt nun vor, ein zweites Museum im
       Nollendorfkiez zu gründen: „Ein Museum, das lesbische und schwule
       Sichtbarkeit sucht, archiviert, präsentiert und verteidigt. Gegen die, die
       diese attackieren. Von außerhalb der Community. Aber auch von innen.“
       
       Das klingt nach zerrütteter Ehe. Oder nach Zwei-Staaten-Lösung. Auf jeden
       Fall aber danach, dass Berlins LSBTTIQ*-Community in der Frage der
       Aufbereitung ihrer Geschichte, wahrscheinlich aber weit darüber hinaus,
       dringend Mediation nötig hat.
       
       Anm. der Red.: In einer ersten Version des Textes stand, dass auch der
       ehemalige Berlinale-Panorama-Chef Wieland Speck zur Wahl des Vorstands des
       Schwulen Museums angetreten sei. Das ist falsch.
       
       11 Nov 2018
       
       ## LINKS
       
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   DIR [2] https://www.schwulesmuseum.de/
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   DIR [5] https://www.patsy-love.de/
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       ## AUTOREN
       
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