# taz.de -- Solidarität statt Privilegien: Der Chor ist immer schlauer
> Der Verein Die Vielen lädt zum ersten Auftritt. Er fordert: Die Kunst
> bleibt frei, auch in diesen Zeiten mit ihrer Hetze und ihrem Hass.
IMG Bild: Postkarten des Vereins „Die Vielen“
Neunter November 2018, früher Vormittag: Tag des Mauerfalls, 80 Jahre
Pogromnacht, die Gerichte grübeln noch, ob die für Freitagabend angemeldete
Demonstration des rechtsextremen Bündnisses „Wir für Deutschland“ verboten
bleiben kann. Vor dem Max-Liebermann-Haus am Brandenburger Tor steht ein
weißer Volvo mit leise raschelnden Fahnen aus goldenen Rettungsdecken. Auf
einem Plakat steht: „Wir sind Viele“.
Neben dem Auto liegen drei weiße Rosen auf den Stolperstein für Martha
Liebermann, denn hier lebte die Familie. Max Liebermann erhielt 1933 von
den Nazis Arbeitsverbot, 1935 starb er. 1936 wurde seine Frau Martha aus
ihrem Haus vertrieben. Nachdem sie die Aufforderung zur Deportation
erhalten hatte, nahm sie sich 1943 das Leben.
Es ist ein guter Ort und ein gutes Datum für die erste Pressekonferenz des
Vereins Die Vielen in Berlin. Im kleinen Versammlungssaal des
Liebermann-Hauses finden nicht alle der zahlreich erschienenen Journalisten
einen Sitzplatz.
## Mehr als Symbolpolitik
Schon mehr als 140 Berliner Kulturinstitutionen haben die Erklärung des
Vereins unterzeichnet, der sich erst an diesem Freitag offiziell gegründet
hat und bundesweit Aktionen, Veranstaltungen und Diskussionen organisieren
will. Es geht darum, einen Zusammenhalt in Kunst und Kultur zu stiften: als
Teil des zivilgesellschaftlichen Engagements gegen rechtspopulistische und
völkisch-nationale Strömungen.
Einer der acht prominenten Teilnehmer des Podiums ist Berndt Schmidt,
Intendant des Friedrichstadt-Palasts. Sein kurzes Statement bringt am
besten auf den Punkt, warum sich aus Den Vielen deutlich mehr entwickeln
könnte als reine Symbolpolitik.
Schmidt hatte im Oktober 2017 an seine Mitarbeiter geschrieben, er könne
gut auf ein Publikum verzichten, das AfD wähle. Darauf hagelte es Hassmails
und Morddrohungen, die Berliner AfD verloste als PR-Aktion Tickets für eine
Aufführung. Bei der Aufführung selbst gab es eine anonyme Bombendrohung,
das Theater wurde evakuiert. „Damals fühlte ich mich allein auf weiter
Flur“, sagt Schmidt. „Heute soll sich jemand mit einem von uns anlegen –
und er hat 140 an der Backe.“
Immer wieder weisen am Freitag UnterzeichnerInnen der Erklärung Der Vielen
wie Shermin Langhoff vom Maxim-Gorki-Theater, Annemie Vanackere vom HAU und
Kathrin Röggla von der Akademie der Künste darauf hin, wie wichtig ein
solches Bündnis in Zeiten wie diesen ist – nicht nur nach außen, sondern
auch nach innen, von moralischer Unterstützung bis hin zu Kontakten zu
Anwälten. Immer wieder versucht die AfD, Kulturpolitik zu machen, klagt
gegen Inszenierungen, beantragt Verbote oder Streichungen von Subventionen.
## Gegen Hilflosigkeit
Theater in kleinen Städten berichten zunehmend, dass ihre Aufführungen von
Rechten gestört werden. Zuletzt demonstrierte das Bauhaus Dessau seine
Hilflosigkeit, als sie die linke Punkband [1][Feine Sahne Fischfilet]
ausluden und damit vor den Drohungen rechter Stimmen einknickten – und das
ausgerechnet zum bevorstehenden 100-jährigen Jubiläum der Kunstschule, die
sich Vielfalt auf die Fahnen schrieb, aber wegen der Repressalien der Nazis
1933 selbst auflöste.
„Der Chor ist seit der Antike schlauer als der Protagonist“, sagt am Ende
Holger Bergmann von Den Vielen. Im Mai 2019, das kann man sich schon mal
notieren, wird es bundesweit „glänzende Demos“ geben. Erkennungszeichen ist
übrigens die goldenene Rettungsdecke. Diese Folie schützt den Körper durch
Reflexion der eigenen Körperwärme vor Auskühlung.
9 Nov 2018
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## AUTOREN
DIR Susanne Messmer
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