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       # taz.de -- „Herbstkind“ von Laksmi Pamuntjak: Denn sie wurde selbst adoptiert
       
       > Die indonesische Schriftstellerin Laksmi Pamuntjak hat einen neuen Roman
       > geschrieben: „Herbstkind“. Darin stecken auch eigene Erfahrungen.
       
   IMG Bild: Wurde niederländisch sozialisiert: die Schriftstellerin Laksmi Pamuntjak
       
       Laksmi Pamuntjaks Ziel ist „Die Mutter“. Unbeirrt steuert sie die Räume mit
       der niederländischen Malerei in der Berliner Gemäldegalerie an. „Ich liebe
       diese Bilder“, flüstert sie, „vor allem ihr meisterhaftes Spiel mit Licht
       und Schatten.“
       
       Ausgerechnet Bilder aus der Zeit, als die Niederländer ihr Heimatland
       Indonesien besetzten? Laksmi Pamuntjak lacht und deutet auf das
       „Mutter“-Gemälde von Pieter de Hooch aus dem Jahr 1661: „Hier sieht man
       eine Frau bei ihrem Baby sitzen. Gerade ist sie mit ihrem Mieder
       beschäftigt, weil sie das Baby in der Wiege gestillt hat oder noch stillen
       wird.“
       
       Die Mutter ist gut genährt und manierlich gekleidet, das Interieur wirkt
       bürgerlich. „Sie ist der Inbegriff häuslicher Stabilität. Klar könnte ich
       jetzt denken: Euch Holländern geht es doch bloß deshalb so gut, weil ihr
       gerade meine Heimat ausplündert. Aber so denke ich nicht. Im Gegenteil:
       Meine Eltern wurden ja selbst niederländisch sozialisiert. Das ist Teil
       unserer Identität.“
       
       [1][Laksmi Pamuntjak, 1971 in Jakarta geboren], stammt aus einer
       wohlhabenden muslimischen Familie. Einer ihrer Großväter war Mitdirektor
       von Balai Pustaka, dem ältesten Verlag in Jakarta, der andere stand der
       nationalen Tabakbörse vor.
       
       ## Ihre Stimme flattert kurz
       
       „Mein Vater wurde 1932 geboren und sprach bis zu seinem zehnten Lebensjahr
       nur Niederländisch“, sagt Laksmi Pamuntjak, schließlich wurde Indonesien
       erst nach Ende des Zweiten Weltkriegs unabhängig. „Später studierte mein
       Vater Architektur, unter anderem in Berlin. Er kannte auch Hans Scharoun,
       der die Philharmonie hier nebenan entworfen hat. Uns beiden bedeutet diese
       Ecke von Berlin viel.“
       
       In der Gemäldegalerie hat es Laksmi Pamuntjak an diesem Tag – neben zwei
       benachbarten Vermeers und Rembrandts „Christuskopf“ – vor allem Pieter de
       Hoochs Gemälde angetan. Und auch in ihrem neuen Roman, „Herbstkind“,
       beschreibt sie vieles, was sie während zweier dreimonatiger
       Arbeitsaufenthalte in Berlin gesehen hat, auch viel Kunst.
       
       Kurioserweise ist es aber nicht die Mutterfigur, die Pamuntjak – selbst
       Mutter einer bereits erwachsenen Tochter – auf diesem Bild am meisten
       fasziniert. „Ich identifiziere mich vor allem mit dem Mädchen“, sagt sie,
       und für einen Moment flattert ihre Stimme ein wenig.
       
       Rechts und ein wenig abseits von der Wiegenszene steht ein vielleicht
       fünfjähriges Mädchen mit Häubchen und Schürzenkleid an einer geöffneten
       Tür. Licht fällt herein, und das Kind scheint zu überlegen, ob es im Haus
       bleiben oder hinaustreten soll. „Für mich liegt in dem Licht da draußen ein
       Versprechen von Zukunft und Freiheit“, sagt Laksmi Pamuntjak.
       
       ## Sie nähert sich einem Trauma an
       
       Wenn sie dem Kind etwas raten könnte, würde sie ihm raten, zu bleiben oder
       zu gehen? „Auf jeden Fall: zu gehen!“ Laksmi Pamuntjak braucht nicht lange
       zu überlegen. Sie ist selbst viel unterwegs, und auch Siri, die Hauptfigur
       in ihrem neuen Roman, lebt als bildende Künstlerin ein Jetset-Leben.
       
       [2][Aus Jakarta stammend], lässt die Autorin Pamuntjak Siri zuletzt in
       London und in Madrid wohnen. Zu Beginn des Romans zieht sie nach Berlin, wo
       sie nach einer schmerzhaften Trennung zur Ruhe kommen möchte. Sie wohnt im
       bürgerlichen Charlottenburg und geht viel spazieren. Deshalb ist
       „Herbstkind“ zunächst ein Berlin- und ein Künstlerroman, bevor sich langsam
       sein eigentlicher Gegenstand herausschält: das Thema Adoption.
       
       „Ich wurde selbst adoptiert“, sagt Laksmi Pamuntjak. „Meine Eltern sind
       eigentlich mein Onkel und meine Tante, aber das hat man mir erst gesagt,
       als ich 23 war. Direkt vor meiner Hochzeit. Alle Verwandten und Freunde
       wussten Bescheid, nur ich nicht.“
       
       Ein Trauma, dem sich Laksmi Pamuntjak schon in ihrem vorherigen Roman,
       „Alle Farben Rot“, angenähert hat. Darin erzählte sie die Liebesgeschichte
       von Amba und Bhisma, die einander 1965 verlieren – in den Wirren der von
       Präsident Suharto angezettelten landesweiten Kommunistenhatz.
       
       ## Die literarische Rettung einer realen Liebe
       
       Amba bekommt eine Tochter, sieht ihren Geliebten Bhisma, der auf der
       Gefangeneninsel Buru interniert wird, aber nie wieder. Laksmi Pamuntjak
       erzählte in ihrem ersten Roman eine Geschichte, die sie durch die Vornamen
       der beiden Liebenden an die in Indonesien jedem bekannte hinduistische
       Mahabharata-Mythologie rückgebunden und zudem politisch aufgeladen hat.
       
       „Alle Farben Rot“ schildert nicht die Geschichte ihrer Eltern, ist aber die
       literarische Rettung einer realen Liebe, aus der immerhin eine Tochter
       namens Laksmi hervorgegangen ist. Im Roman heißt Ambas Tochter Siri und ist
       natürlich eine erfundene Figur. Später wird sie von Adalhard adoptiert,
       Ambas zweitem Mann. Siri ist das „Herbstkind“, das erzählt, wie es nach
       „Alle Farben Rot“ weitergeht.
       
       Kurz gefasst, will sie in Berlin zuerst ausruhen, taucht dann aber doch in
       die Berliner Kunstszene ein, findet eine international operierende Agentin
       und will geschlechtsvertauschte Mann-Frau-Plastiken in Jakarta ausstellen.
       Die dortigen Islamisten aber mögen so etwas nicht sehen und haben ein
       wirksames Druckmittel: Siris Adoptivtochter – auch Siri hat einst ein
       Mädchen von ihrem früheren Ehemann adoptiert – hat sich in Jakarta nicht
       sittenkonform verhalten und steckt daher in Schwierigkeiten.
       
       „Das religiöse Leben in Indonesien wird in den letzten Jahren immer
       konservativer“, ärgert sich Laksmi Pamuntjak. „Wir haben jetzt einen
       Vizepräsidenten, der der Chef der indonesischen Fatwa-Fabrik ist. Selbst
       liberale bürgerliche Kreise, aus denen ich ja auch stamme, sind plötzlich
       strenggläubige Muslime und behaupten, dies immer schon gewesen zu sein.“
       
       ## Stolpersteine beeindrucken die Autorin
       
       Selbst der Kommunismus wird als Gegenkraft und Schreckgespenst
       wiederbelebt. „Auf der Website unserer Armee findet man immer die
       aktuellsten Kommunismuswarnungen. Völlig absurd! Es gibt überhaupt keine
       Kommunistische Partei in Indonesien, aber die jahrzehntelange
       Indoktrination hat zu einer kollektiven Paranoia geführt. 1965 ist noch
       lange nicht aufgearbeitet.“
       
       Von der Gemäldegalerie aus ist es nur ein kleiner Spaziergang, am Potsdamer
       Platz vorbei, und schon sieht man das weitläufige Stelenfeld des
       Holocaustmahnmals, das Laksmi Pamuntjak auch in ihrem Roman beschreibt. Sie
       selbst war schon mehrfach hier, auch einmal zusammen mit ihrer Tochter.
       „Das Mahnmal fasziniert mich. Es steht im Zentrum der Stadt, und das ist
       wirklich ein starkes Symbol“, sagt sie.
       
       „Auch die Stolpersteine vor vielen Berliner Häusern beeindrucken mich. Den
       Opfern einen Namen geben – das bräuchten wir auch in Indonesien. Besonders
       wünsche ich mir ein Mahnmal für die Opfer von 1965 auf Buru. Aber ich habe
       wenig Hoffnung, dass es so etwas je geben wird. Das Massaker wird ja
       offiziell immer noch nicht als solches anerkannt.“
       
       Auf Buru hatte Pamuntjak für ihren Debütroman recherchiert. Deutschland
       achtet sie für den ungeschönten Umgang mit der eigenen gewaltsamen
       Vergangenheit.
       
       Dass sie in ihrem neuen Roman eine verheimlichte Adoption mit dem Massaker
       von 1965 und dem islamischen Rechtsruck im gegenwärtigen Indonesien
       verbindet, ist viel Stoff, für sie persönlich aber kein Widerspruch: „In
       all diesen Geschichten geht es ja um offizielle Narrative. Es geht darum,
       dass die Wahrheit verborgen wird und uns fiktive Narrative hinters Licht
       führen sollen.“
       
       13 Nov 2018
       
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       ## AUTOREN
       
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