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       # taz.de -- Indiens neue Erinnerungskultur: 182 Meter Größenwahn
       
       > Indiens Premierminister Narendra Modi weiht die größte Statue der der
       > Welt in Gujarat ein – und schreibt so die Geschichte seines Landes um.
       
   IMG Bild: Indiens gigantische „Statue der Einheit“ während der Bauzeit
       
       BERLIN taz | So gut wie jedes indische Dorf hat eine Statue – entweder von
       Mahatma Gandhi, der gewaltfrei der britischen Kolonialmacht die
       Unabhängigkeit abtrotzte, oder von Bimrao Ramji Ambedkar. Der gilt als
       Vater der indischen Verfassung. Als Dalit verhalf er dieser an unterster
       Stufe des Kastensystems stehenden Bevölkerungsgruppe zu gleichen Rechten.
       Gemeinsam ist den Statuen der beiden Politiker, denen jeder Protz fremd
       war, das sie meist bescheiden daherkommen.
       
       Ganz anders Indiens derzeitiger hindunationalistischer [1][Premierminister
       Narendra Modi]: Er weihte am Mittwoch eine Statue der Superlative ein: Mit
       182 Metern Höhe ist das Standbild von Sardar Vallabhbhai Patel, Indiens
       erstem Innenminister nach der Unabhängigkeit 1947, das höchste der Welt:
       Doppelt so groß wie die Freiheitsstatue in New York und natürlich auch
       höher als die bisher weltgrößte Statue, die einen Buddha in China
       darstellt, das Inder so gern übertrumpfen wollen.
       
       5.000 Polizisten wurden am Mittwoch zur Einweihung an das Ufer des
       Narmada-Flusses mobilisiert, wo die Statue in einer abgelegenen Region des
       westlichen Unionsstaates Gujarat in der Rekordzeit von nur 33 Monaten
       errichtet worden war. Der an diesem Tag vor 143 Jahren geborene Patel
       stammte aus Gujarat. Der Hindunationalist Modi war dort zuvor
       Ministerpräsident, die Statue ist seiner Heimat ist sein Lieblingsprojekt.
       
       Patels historischer Verdienst war, nach Indiens Unabhängigkeit von den
       Briten zaudernde Fürstentümer mit harter Hand in die Union geholt und ihnen
       Gedanken an eine eigene Unabhängikkeit ausgetrieben zu haben. Er gilt
       deshalb als „Indiens eiserner Mann“ und sein gigantisches Abbild wird jetzt
       „Statue der Einheit“ genannt.
       
       ## „Titan des Freiheitskampfes“
       
       „Patel, ein Titan des indischen Freiheitskampfes, hat das Land geeinigt und
       seine Desintegration verhindert“, sagte Modi in seiner Rede am Mittwoch. Er
       lobte auch Patels „strategische Weitsicht“.
       
       Dabei gehörte Patel der Kongress-Partei an, der Rivalin von Modis
       hindunationalistischer BJP. Aber Patel war eben kein Sozialist wie der
       damalige Premier Jawarhalal Nehru, dessen Urenkel Rajiv Gandhi heute als
       Führer der Kongress-Partei Modi direkt herausfordert.
       
       Mit der Ehrung Patels statt Nehrus schrumpft Modi die Verdienste des
       letzteren zurecht und pickt sich aus dem histoschen Erbe der
       Kongress-Partei das heraus, was ihm am meisten zusagt und für ihn
       ungefährlich ist.
       
       ## Hohe Kosten und Umsiedlungen
       
       Die gigantische Statue unweit des umstrittenen Narmada-Staudamms hat einen
       hohen Preis auch jenseits der Baukosten von umgerechnet 358 Millionen Euro.
       Medienberichten zufolge mussten für den Bau einschließlich des
       Patel-Museums und breiter Zufahrtsstraßen mehrere tausend Menschen
       umgesiedelt werden, die meisten von ihnen sind Indigene, die in Indien
       Adivasi genannt werden.
       
       Am Donnerstag gab es deshalb auch Proteste. 22 Führer von angrenzenden
       Dörfern hatten Modi vergeblich aufgefordert, wegzubleiben. Der Premier
       hofft, dass sich die Einheitsstatue künftig zu einem Touristenmagnet
       entwickelt und im Jahr 2,5 Millionen Besucher anzieht.
       
       Doch dürfte die Statue Patels schon bald übertrumpft werden. In der Nähe
       von Mumbai (Bombay) wird derzeit ein Denkmal für den hinduistischen
       Kriegshelden Chhatrapati Shivaji aus dem 17. Jahrhundert gebaut. Es soll
       212 Meter hoch werden und ist ein Symbol des Hindunationalismus.
       Chhatrapati Shivaji führte erfolgreich Krieg gegen das damals
       vorherrschende muslimischen Mogulreich.
       
       1 Nov 2018
       
       ## LINKS
       
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