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       # taz.de -- Jens Friebes Album „Fuck Penetration“: Poor, but sexy
       
       > Jens Friebe ist wieder da und singt jetzt auch auf Englisch. Er hat ein
       > schniekes neues Album namens „Fuck Penetration“ veröffentlicht.
       
   IMG Bild: Goldenes Zeitalter für englische Texte: Ladies&Gentlemen, Jens Friebe
       
       Nach dem Auftaktsong möchte man Jens Friebes neues Album „Fuck Penetration“
       sofort wieder ausschalten. Nicht, weil „Worthless“ so schrecklich wäre,
       sondern, weil er so wunderbar ist. Was kann nach so einer
       feierlich-fantastischen Ballade wie dieser über das Ende einer Liebe
       überhaupt noch kommen?
       
       Zu Beginn nur von einem Klavier begleitet, singt Friebe darin: „Something
       went wrong / 13 billion years ago / The universe emerged / And the next
       thing I know / Is you and I stand in the snow and fight / I can’t remember
       much / Only that I was right“. Zum Refrain setzen Becken ein, es wird
       dramatisch: „When money is afraid of being worthless / It becomes a house
       or a piece of art / When you are afraid of being worthless / You tear out
       my heart.“ En passant werden hier die kapitalistischen Phänomene von
       Tausch- und Gebrauchswert in Beziehung zum Zusammenleben zweier Menschen
       gesetzt. Und spätestens dann ist klar: Friebes Textkunst hat zuletzt
       gefehlt.
       
       Vier Jahre ließ sich der Wahl-Berliner für sein neues Album Zeit. Und wer
       nach dem ersten Song weiterhört, stellt fest, dass „Fuck Penetration“
       dessen hohes Niveau hält. Auffällig ist, dass Friebe, der immer ein
       gewiefter deutsch textender Künstler war, nun gleich fünf Songs auf
       Englisch vorträgt. Bereits sein letztes Album enthielt ein englisch
       gesungenes Stück, die Ballung aber gab es so noch nicht.
       
       ## Fremdsprachen-Option
       
       „Dahinter steckt keine Strategie, es hat sich einfach ergeben“, erklärt
       Friebe. „Ich hatte ,Worthless' zunächst mit deutschem Text komponiert, aber
       der klang zu eckig. Ich probierte es auf Englisch, fand das sofort runder,
       und ab da war es eine Option.“ Wann sich die Fremdsprache anbiete, hänge
       vom Kontext ab: „Sauereien sind im Englischen abgeschliffener“, sagt der
       42-Jährige etwa über den Titelsong, in dem es um die Freuden von
       penetrationslosem Sex geht. „Auf Englisch kann man eine Zeile wie ,Fuck
       Penetration‘ singen, und es bleibt immer ein Popsong. Auf Deutsch würde die
       Drastik der Worte alle Leichtigkeit sprengen. Englisch hat oft etwas
       Indirektes, Weiches. Wenn ich eine Aussage direkt treffen möchte, passt
       Deutsch besser.“
       
       Thematisch wechselt Friebe zwischen ernsten, unterhaltenden und abgedrehten
       Sujets. Er vermengt Hoch- und Populärkultur, singt über Drogen, Nerds und
       Argonauten. Auch komplexe Themen geht er lässig an. Musikalisch hat sich
       Friebe von seinem Schepper-Synthiepop der Anfangstage verabschiedet, auch
       Gitarren erklingen nur selten. Stattdessen bestimmen Klavier, Bass und das
       experimentierfreudige Schlagzeugspiel seines langjährigen Weggefährten
       Chris Imler nun den Sound.
       
       Viele Songs sind tanzbar, Friebe verarbeitet darin Elemente von Pop, Soul
       und Chanson. Und bringt mit „Call Me Queer“ sogar eine Art Kabarett-Nummer:
       „Ich bin nicht schwul / Ich bin nicht trans / Ich bin nicht bi / Doch ich
       hab ein Ass im Ärmel / Heil dir, hohe Theorie / Ich schau Fußball und trink
       Bier / Ich schlaf nur mit Frauen – call me queer!“ Dem heterosexuellen
       Friebe wird manchmal das Label „Queer“ verpasst. Unter anderem wegen seiner
       androgynen Erscheinung, weil er gern Lippenstift trägt und in seinen Texten
       mit Zweideutigkeiten spielt.
       
       ## Selbstkritik und Alphatiere
       
       Meint er sich mit „Call Me Queer“ selbst? „Ich kann nicht ausschließen,
       dass darin Selbstkritik steckt“, sagt Friebe. „Aber vor allem meine ich
       damit Theorie-Alphatiere, die in Diskussionen das große Wort führen. Die
       100 Prozent hetero sind, sich aber das schillernde Wort ,queer' auf die
       Fahne schreiben. Auch ein heterosexueller Mann kann an der Auflösung der
       binären Geschlechtsidentitäten interessiert sein. Aber sich so ein
       Attribut anzuhängen, finde ich von jemandem, der so gar nicht dafür
       gestritten und gelitten hat, zu billig. Ich denke dann immer: Du bist nicht
       queer, du hast Frau und Kind.“
       
       Aus der Fülle an tollen Songs sei noch „Charity/Therapy“ hervorgehoben.
       Friebe entwirft darin die Utopie einer Gesellschaft, in der die Bedürfnisse
       aller befriedigt werden, die Maschinen den Menschen dienen. „Wir leben in
       reaktionären Zeiten, die kaum noch zu ertragen sind“, sagt Friebe. „Es
       kommt jetzt darauf an, nicht nur negativ darauf zu reagieren und gegen
       Nazis zu sein. Stattdessen wäre es gut, dem dominierenden rechten Pathos
       ein eigenes, progressives Pathos entgegenzusetzen. Das mache ich mit diesem
       Song. Ich propagiere einen Fortschrittsenthusiasmus, der mit einer
       positiven Bewertung von technologischem Fortschritt einhergeht.“
       
       So etwas kann schnell peinlich klingen. Wird es bei Friebe aber nicht, wenn
       er singt: „Es ist schön, den Armen was abzugeben / Es ist schön, den
       Traurigen zuzuhören / Am schönsten wär, was jedes Leben / Traurig und arm
       macht, zu zerstören.“
       
       2 Nov 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Sven Sakowitz
       
       ## TAGS
       
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