# taz.de -- Kommentar Kontrollen in Berliner S-Bahn: Grundrechte auf dem Abstellgleis
> Konkrete Verdachtsmomente und Fakten werden für die Polizei unwichtiger.
> Das ist besorgniserregend und stärkt den anti-freiheitlichen Diskurs.
IMG Bild: Rollendes Gefahrengebiet
Ein Grundsatz des Rechtsstaats ist: Wer nichts anstellt, den lässt die
Polizei in Ruhe. Aber in der Berliner S-Bahn gilt das jetzt nicht mehr:
Dort kann die Bundespolizei seit dem ersten November bis Ende Januar völlig
anlasslos jeden kontrollieren, ohne dafür irgendeinen Verdacht äußern zu
müssen.
Mittels einer Allgemeinverfügung hat sie S- und Fernbahnhöfe der Innenstadt
[1][zur Waffenverbotszone erklärt], die sie kontrollieren will. Aber auch
Gegenstände, die normalerweise nicht unter das Waffengesetz fallen, wie
Taschenmesser, Pfefferspray oder Korkenzieher sind verboten – wer sich
widersetzt, muss mit 250 Euro Zwangsgeld rechnen.
Nun ist das Recht, bewaffnet herumzulaufen, nicht gerade ein Kennzeichen
fortschrittsliebender, freiheitlicher Gesellschaften. Aber als
Normalbürger*in darf man in Deutschland ohnehin nicht bewaffnet S-Bahn
fahren oder im Park spazieren, [2][das regelt das Waffengesetz]. Es gilt
als das als eines der strengsten weltweit – gut so. Das Gewaltmonopol liegt
beim Staat.
Allerdings muss der verantwortungsvoll damit umgehen. Das heißt auch, dass
er abwägen muss, wann er in die Privatsphäre der Bürger*innen eingreift,
und wann er sie in Ruhe lässt. Mit der S-Bahn von A nach B zu fahren,
sollte selbstredend kein Anlass für ein polizeiliches Eingreifen sein.
## Konkreter Verdacht? Völlig überbewertet
Aber es ist mitnichten das erste Mal, dass die Polizei auf diese Art
Grundsätze der Strafverfolgung umkehrt, indem sie eine mögliche Gefahr
vorwegnimmt und schon vorher handelt. Es steht für einen bundesweiten
Trend, in dessen Rahmen die Befugnisse der Polizei ausgebaut werden und
mehrere Bundesländer ihre Polizeigesetze novellieren.
Dabei zeigt sich ein Paradigmenwechsel: Es zählt nicht, ob man sich etwas
zu schulden kommen lassen hat, sondern wo man sich aufhält und wie man
aussieht. Denn wessen Personalien und Rucksack die Beamt*innen überprüfen,
entscheiden sie nach „Augenmaß und gesundem Menschenverstand“, wie ein
Sprecher sagte. Die Polizist*innen müssen ihr Vorgehen auch im Nachhinein
nicht begründen, sie haben ja eine Pauschalerlaubnis.
Das ist besorgniserregend, weil sich das Vorgehen der Polizei nicht mehr an
Fakten oder zumindest konkreten und begründbaren Verdachtsmomenten
orientiert, sondern an weitgefassten Formalia. Ein Beamter muss nicht mehr
abwägen und erklären, warum sein Einschreiten gerechtfertigt ist. Das ist
eine enormer Verlust an Souveränität der Bürger*innen gegenüber dem Staat.
Außerdem öffnet es Racial Profiling Tür und Tor. Es dürfte klar sein, dass
die anlasslosen Kontrollen besonders junge männliche Migranten treffen
werden.
Solche Maßnahmen, mit denen Grundrechte außer Kraft gesetzt werden, denkt
sich die Polizei nicht aus, weil mal jemand einen fiesen Tag hat. Sie
reagiert vielmehr auf einen gesellschaftlichen Diskurs – einen
Angst-Diskurs, der von rechtsaußen befeuert wird und für Migrant*innen
zunehmend bedrohlicher wird. Gleichzeitig verstärkt sie diesen Diskurs. Die
Leidtragenden sind weder „nur“ Migrant*innen noch „nur“ S-Bahn-Fahrer*innen
oder Menschen, die zufällig ein Taschenmesser dabei haben, sondern die
freiheitliche Gesellschaft.
1 Nov 2018
## LINKS
DIR [1] /Waffenverbot-in-Berliner-S-Bahn/!5547533
DIR [2] https://www.bmi.bund.de/DE/themen/sicherheit/waffen/waffenrecht/waffenrecht-node.html
## AUTOREN
DIR Katharina Schipkowski
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