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       # taz.de -- pakistan: Der Einfluss der Taliban 
       
       > Die religiöse Radikalisierung in Pakistan ist ein Problem für das Land
       > und die gesamte Region. Zeit für Gespräche mit China und Russland
       
       Der Freispruch für die wegen angeblicher Blasphemie zum Tode verurteilte
       pakistanische Christin Asia Bibi durch das Oberste Gericht in Islamabad ist
       eine gute Nachricht. Ihr Fall wird uns jedoch auf absehbare Zeit weiter
       beschäftigen. Religiöse Fanatiker in Pakistan trachten ihr nach wie vor
       nach dem Leben. Dass die Katholikin ermordet werden könnte, ist daher keine
       entfernte Möglichkeit, sondern recht wahrscheinlich, denn der pakistanische
       Staat tut wenig, um seine Staatsbürger zu schützen.
       
       Bereits 2011 wurden zwei Politiker auf offener Straße erschossen, die sich
       für die Freilassung von Asia Bibi eingesetzt hatten: der Gouverneur der
       Provinz Punjab, Salman Taseer und der Minister für Minderheiten, Shahbaz
       Bhatti, der einzige Christ im Kabinett des damaligen Premierministers Yusaf
       Raza Gilani. Der neue Premierminister Imran Khan ist bereits unter dem
       Druck der Fanatiker eingeknickt und unterzeichnete ein Abkommen mit der
       radikalislamischen Partei Tehreek-e-Labbaik, wonach die 51-Jährige Mutter
       von fünf Kindern das Land nicht verlassen darf.
       
       Die unrühmliche Debatte in Europa darüber, ob und wer dieser armen Frau,
       die zehn Jahre lang unschuldig in der Todeszelle saß, vielleicht Asyl
       gewähren könnte, ist Anlass genug, über den größeren politischen Kontext
       dieses Falls nachzudenken. Die religiöse Radikalisierung in Pakistan ist
       auf vielerlei Weise mit Europa verbunden und stellt auch für die Zukunft
       eine erhebliche Bedrohung dar. Unabhängig von der Frage des Asyls für Asia
       Bibi muss daher erneut eine Diskussion über Pakistan und in diesem
       Zusammenhang auch Afghanistan auf die Tagesordnung.
       
       Historisch stammen die Blasphemiegesetze in Südasien allesamt aus der
       britischen Kolonialzeit. Verschärft wurden diese in Pakistan unter
       Militärdiktator Zia ul-Haq, einem religiösen Eiferer, der eine wichtige
       Rolle in dem vom Westen unterstützen Kampf gegen die Sowjetbesatzung in
       Afghanistan spielte. Spätestens in seiner Regierungszeit von 1978 bis 1988
       begann eine gezielte Radikalisierung der pakistanischen Gesellschaft,
       gekennzeichnet durch eine Ideologisierung der Lehrpläne an Schulen und
       Universitäten sowie die Einführung der sogenannten Hudood Ordinances, die
       darauf zielten, pakistanische Gesetzgebung in Einklang mit der islamischen
       Scharia zu bringen. Diese Maßnahmen haben dazu geführt, dass Islamisten in
       Pakistan heute über erheblichen Rückhalt in der Bevölkerung verfügen und
       selbst populäre Politiker wie Premierminister Imran Khan sich nicht trauen,
       diesen Grenzen zu setzen.
       
       Diese fatale innenpolitische Dynamik ist auch ein Nebeneffekt des Krieges
       in Afghanistan. Die Niederlage, die der Sowjetunion in Afghanistan während
       der Hochzeit des Kalten Kriegs zugefügt wurde, beruhte auf der gezielten
       Unterstützung islamistischer Gruppen in Afghanistan sowie der
       pakistanischen Militärdiktatur.
       
       Während damals für die USA und ihre Verbündeten in Europa kaum absehbar
       war, welches Ausmaß die islamische Radikalisierung annehmen würde, hat das
       pakistanische Militär die Unterstützung des Westens gezielt genutzt, um
       seine Dominanz über Afghanistan auszubauen. Denn aus der Sicht der Armee
       ist es das wichtigste strategische Ziel, groß genug zu sein, um dem
       übermächtigen Nachbarn Indien Paroli bieten zu können. Dies geht nach
       Ansicht der Generäle nur, wenn in Kabul eine Islamabad-freundliche
       Regierung an der Macht ist.
       
       Warum dies unbedingt die Taliban sein müssen, wäre eine Frage, die mit
       Armeechef Qamar Javed Bajwa diskutiert werden sollte, denn es ist
       inzwischen jedem klar, dass die USA den Krieg in Afghanistan nicht gewinnen
       können, solange die Taliban auf unbegrenzten Schutz und Hilfe aus Pakistan
       zählen können. Da die pakistanische Armee keineswegs an einer
       Regierungsübernahme der Islamisten im eigenen Land interessiert ist, müssen
       dem Land Angebote zum Umsteuern gemacht werden.
       
       Die Zeit dafür ist günstig, denn der schleichende Rückzug der USA aus
       Afghanistan hat die regionalen Großmächte Russland und China dazu
       motiviert, in das „große Spiel“ um Afghanistan einzusteigen. Dabei ist
       China einer der engsten Verbündeten Islamabads, doch es hat sich bisher
       wenig um die innenpolitische Dynamik in Pakistan gekümmert. Doch der
       Zeitpunkt mag kommen, zu dem auch Peking erkennt, dass Merkantilismus kein
       Ersatz für Außenpolitik ist.
       
       Dabei gibt es momentan eindeutig zu viele, unkoordinierte Initiativen, die
       alle versuchen, mit den Taliban zu verhandeln. Kürzlich hat sogar Indien,
       das sich lange geweigert hatte, mit den Taliban zu reden, zwei pensionierte
       Diplomaten zu entsprechenden Gesprächen nach Moskau geschickt. Dabei
       misstraut jeder jedem. Die USA und ihre Verbündeten in Europa lecken ihre
       Wunden aus dem verlorenen Krieg, Kabul und Moskau trauen einander nicht
       über den Weg, und China bleibt der große Unbekannte, der sich über seine
       Rolle noch nicht verständigt hat.
       
       Dabei sind sowohl China als auch Russland ernsthaft darüber besorgt, dass
       die Islamisten in ihrer Nachbarschaft ihren Einfluss ausbauen. Und zu
       Recht. Auch Europa muss darüber besorgt sein, nicht nur weil eine
       Machtübernahme der Taliban in Kabul erneut zu einem massiven
       Flüchtlingsstrom führen dürfte. Es ist auch zu erwarten, dass Afghanistan
       in einem solchen Fall erneut zu einer Brutstätte für Islamisten aller Art
       werden dürfte.
       
       Dabei wäre es ein Fehler, zu glauben, dass ausgerechnet eine
       Taliban-Regierung die beste Lösung für das Problem sein könnte. Es muss
       stattdessen alles getan werden, um eine regionale Friedenslösung zu
       erarbeiten, die China, Russland sowie Indien und Pakistan einbindet und die
       Taliban politisch isoliert. Das ist leichter gesagt als getan. Aber das
       Problem der Region ist die religiöse Radikalisierung. Dieser kann nicht
       durch eine weitere Talibanisierung Einhalt geboten werden.
       
       15 Nov 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Britta Petersen
       
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