# taz.de -- Islamische Gemeinden in Berlin: Vermintes Gelände
> Die Öffnung der islamischen Gemeinden zur Mehrheitsgesellschaft bleibt in
> diesen antiislamischen Zeiten schwierig – Fortschritte werden nicht
> gesehen.
IMG Bild: Fühlt sich von Medien „oft stigmatisiert“: Imam Taha Sabri in der Neuköllner Dar-es-Salaam-Moschee
Das Verhältnis zwischen Berliner Moscheegemeinden und nichtmuslimischen –
gesellschaftlichen oder staatlichen – Akteuren ist, vorsichtig ausgedrückt,
schwierig. Zwar gibt es immer mehr Kontakte, Kooperationen, gemeinsame
Projekte, die beide Seiten einander näherbringen (müssten) – dennoch
bleiben Misstrauen und Vorurteile bestehen. Diesen Eindruck konnten
JournalistInnen am Dienstag auf einer vom Mediendienst Integration
organisierten Pressetour zum Thema „Moscheegemeinden in Berlin – zwischen
Öffnung, Beobachtung und Glaubenspraxis“ gewinnen.
Der Ethnologe und Migrationsforscher Werner Schiffauer erklärte, die
Beziehung sei derzeit geprägt von „ziemlicher Gegenläufigkeit“. Einerseits
gebe es deutliche Fortschritte bei der praktischen Anerkennung muslimischer
Belange – als Stichworte nannte er unter anderem die 2017 begonnene
muslimische Gefangenen-Seelsorge oder das kürzlich beschlossene
Islam-Institut an der Humboldt-Uni. „Aber bei der gesellschaftlichen
Anerkennung und Wertschätzung beobachten wir deutliche Rückschritte“, so
Schiffauer.
Ähnlich äußerten sich die meisten Gesprächspartner der Medientour.
Inzwischen hätten mehr als 50 Prozent der Deutschen eine islamfeindliche
Einstellung, erklärte Nina Mühe, Ethnologin und Leiterin von CLAIM, der
Allianz gegen Islamfeindlichkeit. „Und der Anteil wächst schnell.“ Viele
Muslime hätten schon Angst, „öffentlich als Muslime in Erscheinung zu
treten“, sagte Meho Travljanin vom Islamischen Kulturzentrum der Bosniaken,
„weil das für sie nachteilig wäre“.
Den Grund für die fehlende Wertschätzung sieht Ethnologe Schiffauer nur zum
Teil bei den islamischen Gemeinden. Zwar seien sie, was Imame und
„theologische Expertise“ angeht, weiterhin großenteils auf die jeweiligen
Herkunftsländer angewiesen – wodurch Konflikte dort schnell nach hier
„herüberschwappen“. Als Beispiel nannte Schiffauer den zunehmenden Einfluss
des türkischen Konsulats auf Berliner Ditib-Moscheen seit dem Putschversuch
in der Türkei 2016.
## „Kultur des Misstrauens“
Eine zweite Ursache sei jedoch hausgemacht, so Schiffauer: der fehlende
Staatsvertrag. In Hamburg wurde 2012 ein solcher unterzeichnet, der den
islamischen Gemeinschaften im Gegenzug für ein Bekenntnis zu den
„gemeinsamen Wertegrundlagen der grundgesetzlichen Ordnung der
Bundesrepublik Deutschland“ verschiedene Rechte zuspricht, darunter die
Anerkennung dreier islamischer Feiertage. Durch den Vertrag, so Schiffauer,
sei eine regelrechte „Anerkennungskultur“ geschaffen worden. „Die Gemeinden
dort haben etwas zu verlieren.“ Darum hätten sich die Hamburger
Ditib-Gemeinden auch „gegen die türkischen Durchgriffsversuche gewehrt“.
In Berlin dagegen herrsche weiter eine „Kultur des Misstrauens“, die
Kooperationen zwischen islamischen Gemeinden und nichtmuslimischen Akteuren
erschwere. Ein Beispiel sei etwa [1][die Erwähnung der Neuköllner
Begegnungsstätte (NBS) in den Berliner Verfassungsschutzberichten 2014 bis
2016]. Der Verein betreibt die Dar-as-Salam-Moschee in der Neuköllner
Flughafenstraße. Im Sommer hatte er mit einer Klage beim
Oberverwaltungsgericht Erfolg – der Verfassungsschutz musste ihn aus den
Berichten streichen, weil der einzige „Beweis“ der Behörde für die
behauptete Nähe zur islamistischen Muslimbruderschaft einzelne Gäste der
Moschee waren.
Für die muslimische Seite war dies ein klarer Erfolg – und die Beseitigung
eines echten Problems. „Für unsere Kooperationspartner war die
Zusammenarbeit mit uns durchaus nachteilig“, sagte Imam Taha Sabri von der
Dar-es-Salam-Moschee. Die Moschee und ihre Partner seien „oft stigmatisiert
worden, auch medial“. Tatsächlich ist die Moschee seit Jahren an
verschiedenen Projekten für interreligiösen Dialog und interkulturelle
Verständigung beteiligt. „Zum Glück haben wir die Klage gewonnen“, so
Sabri. „Jetzt können wir unsere Kontakte ausbauen.“
## Enttäuschung beim Bezirksbürgermeister
Dass das Misstrauen groß ist und daher Verständigung schwierig bleibt,
zeigte auch ein Beispiel, das Neuköllns Bürgermeister Martin Hikel (SPD)
zur Medientour mitbrachte. So habe der Bezirk voriges Jahr eine Broschüre
für Eltern und Schüler mit Empfehlungen herausgebracht, wie beim Fasten im
Ramadan religiöse und schulische Pflichten besser miteinander vereinbart
werden können. „Das Fasten ist eine private Sache“, so Hikel. „Die
schulische Praxis darf davon nicht gefährdet sein.“ Man sei daher mit den
22 Islam-Gemeinden des Bezirks in Kontakt getreten. Doch am Ende hätten nur
3 Gemeinden die Empfehlungen mitgetragen und unterschrieben, berichtete
Hikel enttäuscht: „Beim interkulturellen Dialog ist es nützlich, wenn man
sich über ein paar Basics einig ist.“
Über dieses Beispiel zeigten sich auch einige der anwesenden
JournalistInnen empört. Wie der Staat denn mit Akteuren zusammenarbeiten
solle, die sich derart rückschrittlich verhielten, wurde die
Islamwissenschaftlerin Riem Spielhaus gefragt, die vor Hikels Redebeitrag
ihre neue Studie „Islamisches Gemeindeleben in Berlin“ vorgestellt hatte.
Spielhaus erwiderte, zwar kenne sie die Entstehungsgeschichte und den
Inhalt der Neuköllner Broschüre nicht, aber nach ihrer Erfahrung seien
Konflikte dieser Art oft Ergebnis einer asymmetrischen Kommunikation. Aus
vielen Gemeinden bekäme sie zu hören, Staat und Verwaltung kämen nur auf
sie zu, „wenn sie ein Problem haben“, etwa mit dem Fasten im Ramadan, „aber
man hört uns nicht zu, wenn wir über unsere Probleme reden wollen“ – etwa
Islamfeindlichkeit an Schulen.
Imam Sabri hatte noch eine andere mögliche Erklärung. Seine Moschee habe
den Aufruf zwar unterschrieben und in der Gemeinde auch besprochen und
beworben. Es gebe für Kinder ja keine Pflicht zum Fasten „und das ist auch
besser für sie wegen ihrer Zukunft“. Aber andere Moscheen hätten sich der
Initiative „wohl aus Angst vor ihrer Gemeinde“ verweigert, mutmaßte er. Es
gebe in vielen Gemeinden „Angst vor Konflikten, vor Unruhen“ durch
Veränderungen. „Viele bauen Mauern, um sich zu schützen, auf beiden Seiten.
Die Gesellschaft ist oft ablehnend, Muslime ziehen sich zurück.“
15 Nov 2018
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## AUTOREN
DIR Susanne Memarnia
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