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       # taz.de -- Landesparteitag der Berliner SPD: Die SPD sucht Sicherheit
       
       > Beim SPD-Landesparteitag verlangt Partei- und Regierungschef Michael
       > Müller klare Positionen. Das gelingt bei den Themen Kameras und Kohle.
       
   IMG Bild: Er weiß, wo's langgeht: Michael Müller beim Landesparteitag der Berliner SPD
       
       Der am wenigsten umstrittene Änderungsantrag kam aus
       Friedrichshain-Kreuzberg. Der linke SPD-Kreisverband forderte, im
       Leitantrag für die „urbane Sicherheit“ das Wort „Ortungsämter“ durch
       „Ordnungsämter“ zu ersetzen.
       
       Abstimmen mussten die 249 Delegierten des Landesparteitags im Hotel Maritim
       in der Stauffenbergstraße am Samstag nicht über den Lapsus, der den
       Verfassern da unterlaufen war. Die Antragskommission übernahm die Änderung.
       
       Gesprächsbedarf gab es dennoch reichlich unter den Genossinnen und
       Genossen, deren Partei zuletzt in Umfragen auf 16 Prozent rutschte. Da traf
       es sich gut, dass mit dem Antrag „Sicher leben in Berlin. Wir wollen urbane
       Sicherheit“ ein Thema aufgegriffen wurde, das vom Landesvorstand schon vor
       einem Jahr eingebracht, dann aber zunächst vertagt wurde.
       
       Es geht um die Verknüpfung sozialer mit innerer Sicherheit, die laut
       Innensenator Andreas Geisel ein „zutiefst linkes Thema“ sei. „Sicherheit,
       Ordnung und Freiheit sind die Grundfesten einer offenen Gesellschaft“,
       betonte er in seiner Rede am Samstagvormittag, für die Geisel Standing
       Ovations bekam.
       
       ## Gelungener Schachzug
       
       Eigentlich ein gelungener Schachzug: das wachsende, obgleich oft nur
       subjektive Unsicherheitsempfinden vieler Bürgerinnen und Bürger mit dem
       Gerechtigkeitsthema zu verbinden, um so wieder näher ans Lebensgefühl jener
       Wähler zu rücken, die der SPD zuletzt in Scharen den Rücken gekehrt haben.
       Wäre da nicht das leidige Thema Videoüberwachung, auch wenn es im
       zehnseitigen Antrag nur ein paar Zeilen einnimmt.
       
       Für Geisel ist eine temporäre Installation von Kameras an
       kriminalitätsbelasteten Orten nicht verhandelbar. „Wenn wir die Möglichkeit
       haben, an bestimmten Orten, wo es mehr Kriminalität gibt, Menschen zu
       schützen, dann sollten wir das tun“, warb er in seiner Rede.
       
       Vor allem die Jusos hielten dagegen: „Es gibt bislang keine
       wissenschaftlichen Untersuchungen, dass Videoüberwachung Straftaten
       verhindert“, meinte Jusovertreter Ben Schneider. Doch die Kritiker blieben
       eine Minderheit.
       
       Am Ende stimmte die übergroße Mehrheit der Delegierten für mehr Kameras,
       wohl auch, weil Geisel sich in seiner Rede deutlich gegen flächendeckende
       Videoüberwachung ausgesprochen hatte, wie sie die Initiatoren eines
       Volksbegehrens um Ex-Justizsenator Thomas Heilmann (CDU) und den
       Exbezirksbürgermeister von Neukölln, Heinz Buschkowsky (SPD), fordern.
       
       ## Erfolg für Geisel und Müller
       
       Die Abstimmung war ein Erfolg für Geisel und den Regierenden Bürgermeister
       Michael Müller, mit deren Eindeutigkeit wohl nur wenige gerechnet hatten.
       Dennoch gab es für Geisel auch einen Dämpfer. Den Passus, dass
       „ausländische Gefährder“ nach einen rechtsstaatlichen Verfahren „in ihre
       Heimatländer abgeschoben werden“, lehnte die Mehrheit der Delegierten ab.
       
       Geisel hatte sich zuvor dafür stark gemacht, indem er auf die Erfahrungen
       beim Anschlag auf den Breitscheidplatz hinwies. „Gerade vor diesem
       Hintergrund, wo wir einen Fehler gemacht haben, können wir nicht warten,
       bis ein Anschlag stattfindet“, betonte Geisel. Nach der
       Abstimmungsniederlage stellte er im kleinen Kreis klar, auch weiter an der
       Abschiebung von Gefährdern festhalten zu wollen, da diese ohnehin vom
       Bundesrecht gedeckt sei.
       
       Stand Geisel für das Thema der inneren Sicherheit im Doppelpack mit der
       „urbanen Sicherheit“, konzentrierte sich Michael Müller in seiner Rede auf
       die soziale Sicherheit. Dass die im Juni 2017 eingesetzte SPD-Kommission
       zur Vermögens teuer bis heute keine Vorschläge unterbreitet habe, sei
       „inakzeptabel“.
       
       Ohnehin müssten sich die Sozialdemokraten in vielen Themenfeldern klarer
       positionieren, um Vertrauen zurückzugewinnen, so Müller. Zwar habe man mit
       Mieten und Wohnen, Bildung, Arbeitsmarkt oder Gesundheit und Pflege die
       richtigen Themen. Das Problem sei aber, dass sich die SPD oft nicht konkret
       genug festlege.
       
       ## 150 Euro Berlinzulage
       
       Auch deshalb beschlossen die Delegierten am Samstag einstimmig eine
       Berlin-Zulage für alle Landesbeschäftigten in Höhe von 150 Euro. Untere
       Lohngruppen sollen höher eingruppiert werden. Darüber hinaus soll es
       kostenfreie Schulhorte sowie freies Essen in Kitas und Schulen geben. Der
       Mindestlohn bei der Vergabe öffentlicher Aufträge soll schrittweise auf
       12,63 Euro steigen.
       
       Die SPD spricht von einem Gesamtvolumen von rund 500 Millionen Euro. Mit
       den Koalitionspartnern Linke und Grüne ist das Paket allerdings noch nicht
       abgesprochen. Das Gleiche gilt für die anlassbezogene und temporäre
       Videoüberwachung, gegen die Grüne und Linke bereits Widerstand angekündigt
       haben.
       
       Immerhin aber haben die Genossen tatsächlich Position bezogen. Beim Thema
       Braunkohle stellten sie sich sogar deutlich gegen die Politik der SPD im
       Nachbarland Brandenburg. „Es geht so nicht mehr weiter, dass wir seit den
       70er, 80er Jahren eigentlich wissen, was zu tun ist, aber immer noch in
       Wahlkämpfen dafür streiten, dass wir Arbeitsplätze in der Braunkohle
       erhalten wollen“, sagte Müller und verlangte eine klare Abkehr von der
       Braunkohle als Energieträger.
       
       Innensenator Geisel freute sich, dass die SPD wieder einen „klaren Kompass“
       habe, nämlich „Freiheit, Solidarität und soziale Gerechtigkeit“. Lange
       waren das nur Worthülsen. Nun aber scheint es, als seien die Berliner
       Sozialdemokraten wieder dabei, sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf zu
       ziehen.
       
       ## Saleh blieb blass
       
       Einer blieb dabei ziemlich blass. Fraktionschef Raed Saleh hielt eine so
       seltsam verschwurbelte Rede, dass es den Anschein hatte, als habe er sich
       aus dem Rennen um die Macht in der Berliner SPD zurückgezogen. Michael
       Müller dagegen ließ sich für seinen Erfolg mit der Ansiedlung des
       Siemens-Campus von den Genossen feiern – und stellte gleich mal klar, dass
       er sich 2019 zur Wiederwahl als SPD-Landesvorsitzender stellen wolle.
       
       18 Nov 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Uwe Rada
       
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