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       # taz.de -- Die Wahrheit: Die Fürstin der Finsternis
       
       > Im Darkroom mit Annegret Kramp-Karrenbauer, der künftigen
       > CDU-Vorsitzenden und Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland.
       
       Beginnen wir mit einer Warnung: Wer Annegret Kramp-Karrenbauer für ein
       graues Mäuschen hält, für das Musterbild einer rücksichtslosen Streberin,
       die im Laufe ihrer Karriere zum perfekten Apparatmenschen wurde, denkt
       nicht nur misogyn, sondern weiß auch sonst nicht viel von dieser Frau.
       Weggefährten wie Feinde sagen hinter vorgehaltener Hand: In gewisser
       Hinsicht ist sie zwar ebenfalls Mäuschen, Streberin und Apparatschik, aber
       der Kern ihrer Persönlichkeit stellt sich ungleich vielschichtiger dar –
       finster wie die Nacht.
       
       Zu unserem Termin in einem Café in Saarbrückens Innenstadt kreuzt sie in
       einer taillierten schwarzen Lederjacke auf, zur Bundfaltenhose trägt sie
       schwarze Lackstiefel. „Da sind Sie jetzt schon überrascht, was ich hier auf
       dem Hintergrund von immerhin 18 Jahren Regierungserfahrung positiv in
       dieses Treffen einbringe, was?“, lacht sie zur Begrüßung ihr freudloses
       Lachen. Und trifft die Sache auf den Punkt. Die Frau, die sich anschickt,
       Angela Merkel als Vorsitzende der CDU zu beerben, zeigt sich ohne Scheu in
       Lack und Leder. Sie scheint die Codes der sexuellen Subkulturen, die sie
       eigentlich doch so vehement bekämpft, wie aus dem Effeff zu kennen.
       
       „Ah jo, FF…“, gluckst sie, darauf angesprochen, im Idiom ihrer
       saarländischen Heimat. „Bei uns zu Hause heißt ‚FF‘ immer noch Freiwillige
       Feuerwehr. Ich denke da an gar nichts Böses. Sondern ganz normal an
       Uniformen, Saufgelage und lodernde Feuer, die nachts mit riesigen Spritzen
       gelöscht werden. Nächste Frage!“
       
       Was sie denn trinken möchte, wirft die Bedienung schüchtern ein. „Kaffee,
       natürlich schwarz“, lächelt die Generalsekretärin mit kalten, leblosen
       Reptilienaugen. „Und dazu einen Johnnie Walker Black Label, aber
       alkoholfrei.“
       
       Ihre Pläne für den angepeilten CDU-Vorsitz hat sie schnell heruntergebetet.
       Dass sie irgendwelche „Prozesse umsteuern“ will, um „die neuen
       Wettbewerbsherausforderungen im Politikgeschäft bestehen zu können“,
       langweilt sie selbst anscheinend am meisten. Viel lieber möchte sie über
       die Dunkelheit reden, jene Dunkelheit, die auf sie immer schon eine
       unheimliche Faszination ausgeübt hat.
       
       ## AKK kommt aus der hässlichsten Stadt Deutschlands
       
       Kramp-Karrenbauer stammt aus elenden Verhältnissen – sie kommt von ganz
       unten, aus dem Saarland. Und zwar aus Völklingen, einer Stadt der Gruben
       und Stahlwerke, die einst derart verqualmt und lichtlos war, dass sie erst
       zur hässlichsten Stadt Deutschlands gewählt werden konnte, nachdem sich die
       schwefligen Schwaden im Zuge der Deindustrialisierung verzogen hatten.
       „Schon als kleines Mädchen“, schmunzelt die 56-jährige, „habe ich es
       genossen, in der Dunkelheit um mich herum unsichtbar zu sein. Nicht nur
       beim Spielen auf der Straße, sondern auch daheim im Kinderzimmer, unter der
       Couch oder im Keller – uuuuh, ich habe diesen Keller so geliebt!“
       
       Selbstverständlich ging es der kleinen Annegret, die streng katholisch
       erzogen wurde, bei ihrem steten Versteckspiel darum, sich Freiräume zu
       erkämpfen. „Der Herrgott sieht alles? Pustekuchen!“, lacht sie
       triumphierend. „Wer im Verborgenen agiert, macht sich unangreifbar – selbst
       für die himmlischen Mächte.“ Das sollen ihre Klassenkameraden, ihre Lehrer,
       aber später auch die Kollegen von der Jungen Union schmerzhaft zu spüren
       bekommen. Viele von ihnen, insbesondere jene, die mit ihr konkurrieren
       müssen, verschwinden spurlos, doch Kramp-Karrenbauer ist in keinem Fall
       etwas nachzuweisen.
       
       Nach einer Lehre im Schattenkabinett des späteren CDU-Ministerpräsidenten
       Peter Müller erklimmt sie unbemerkt die politische Karriereleiter. Auch
       privat bleibt sie der Obskurität verpflichtet: Ihren Gatten, den
       Bergbauingenieur Helmut, heiratet sie heimlich unter Tage, die drei Kinder
       werden im gemeinsamen Ehebett bei ausgeschaltetem Licht gezeugt. Ihre
       politischen Positionen schließlich entwickelt sie bis zum heutigen Tage
       ständig fort: für Kernkraft und die Frauenquote, aber gegen eine
       Rückabwicklung der Merkel’schen Flüchtlingspolitik, solange ausländische
       Straftäter hart genug angefasst werden.
       
       Nur bei einem Thema kennt sie kein Pardon: Die „Ehe für alle“ hasst sie wie
       die Pest. Warum, Frau Kramp-Karrenbauer? Die Kandidatin wird wortkarg,
       verweist auf ihr berühmtes Interview mit der Saarbrücker Zeitung, in dem
       sie vor Polygamie und inzuchtartigen Verhältnissen warnt. „Vielweiberei,
       Sex mit Tieren und eklige Mutanten als Nachkommen – das braucht doch kein
       normaler Mensch“, bricht es aus ihr heraus. Auf die Frage, ob sie nur
       latent oder sogar schwer homophob sei, reagiert sie mit verhaltener
       Empörung: „Ich habe da keinerlei Berührungsängste! Ich beweise es Ihnen,
       indem ich mit Ihnen auf der Stelle in einen Darkroom gehe.“
       
       Auf dem Weg zur Lokalität wird sie regelrecht frivol. „…ch habe diesen
       Darkroom schon zweimal besucht und sicherheitshalber Plätze reserviert“,
       gurrt sie. „Es ist wunderbar, was es für Empfindungen weckt, wenn man sich
       ausschließlich auf Tastsinn, Geschmackssinn und Geruchssinn konzentrieren
       darf.“ Als wir schließlich vor dem Etablissement, einem rustikalen Gasthaus
       stehen, bin ich mehr als verblüfft. „Dinner in the Dark“ steht dort
       angeschlagen, „Abendessen im Dunkeln“ also, ein Gastronomiekonzept, das
       sich vor allem in Mittelstädten größter Beliebtheit erfreut.
       
       ## AKK hasst Jens Spahn noch mehr als Friedrich Merz
       
       Drinnen hat sich bereits ein Grüppchen mittelalter Menschen in
       Funktionskleidung versammelt. Wir bekommen das Prinzip des
       Dunkelrestaurants erklärt, werden von blinden Kellnern durch eine
       Lichtschleuse in die vollkommen finstere Gaststube geführt und kriegen ein
       ödes viergängiges Menü serviert, in das wir andächtig hineinschmecken. Drei
       Eindrücke sind es, die ich von dort mitnehme. Erstens: Annegret
       Kramp-Karrenbauer schmatzt beim Essen. Zweitens: Sie hasst Jens Spahn
       entschieden mehr als Friedrich Merz. Drittens: Sie hätte nichts gegen
       Homosexuelle, wenn sich alle von ihnen so unaufdringlich, wohlerzogen und
       unsichtbar verhalten würden wie hier heute Abend im „Darkroom“.
       
       Irgendwann verändert sich ihre Stimme. Endlos referiert sie nun
       Grundsatzprogrammentwürfe der Christlich Demokratischen Union. Kurz bevor
       ich wegdämmere, ist das Event vorbei. Im hellen Foyer erblicke ich an
       meiner Seite eine junge Dame, die sich als persönliche Referentin vorstellt
       und ihre Chefin wegen eines dringenden Termins entschuldigt. Sie ist eben
       einfach nicht zu fassen, seufze ich beim Hinausgehen in die Saarbrücker
       Nacht: Annegret Kramp-Karrenbauer, Fürstin der Finsternis, die mit einiger
       Sicherheit die neue CDU-Vorsitzende wird und, sofern sie ihre unbändige
       Homophobie im Zaum hält, wahrscheinlich auch die nächste deutsche
       Bundeskanzlerin.
       
       17 Nov 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Mark-Stefan Tietze
       
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