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       # taz.de -- Streit beim Berliner Bundesliga-Klub: Hertha oder härter?
       
       > Die Ultras von Hertha BSC liegen mit ihrem Klub im Clinch. Es geht um
       > mehr als eine Schlacht mit der Dortmunder Polizei.
       
   IMG Bild: Ist denn schon wieder Silvester? Hertha-Hools in Dortmund am 27. Oktober 2018
       
       Berlin taz | Am Donnerstagmorgen sitzt Pál Dárdai in
       sponsorennamenbestückter Joggingjacke auf der Pressekonferenz und scherzt
       über Felipe Lima. Diese angebliche Neuverpflichtung, und dann war irgendwie
       doch alles eine Falschmeldung. Dárdai muss die Konferenz allein bestreiten;
       Manager Michael Preetz lässt sich mit einem Paralleltermin entschuldigen.
       Und der Ungar zwinkert und lächelt, während um ihn herum ein Flächenbrand
       tobt.
       
       Nach der 0:3-Heimniederlage gegen Leipzig unter eisigem Schweigen der
       Ultras, nach dem Banner- und Fahnenverbot „bis auf Weiteres“ durch den
       Verein wurde gerade bekannt, dass die Fanhilfe Hertha BSC Anzeige gegen
       Michael Preetz erstattet; wegen übler Nachrede und Beleidigung. Außerdem
       erstattet sie Strafanzeige gegen die [1][für den Polizeieinsatz von
       Dortmund Verantwortlichen]. Und die zukunftsuchende Hertha ächzt und stöhnt
       zwischen Weltklub und Wedding.
       
       Pál Dárdai will den Fankonflikt abhaken, jetzt ehrlich. „Umso schneller die
       Sache gelöst ist, umso besser. Wir sind alle Herthaner. Ich hoffe, dass es
       von beiden Seiten eine schnelle Einigung gibt.“ Und dann sagt er noch:
       „Herthaner gegen Herthaner, das verstehe ich nicht.“
       
       Für Dárdai muss die Situation etwas Zynisches haben: Zum ersten Mal seit
       dreieinhalb Jahren lässt er den so lange geforderten [2][attraktiven
       Fußball spielen], und jetzt interessiert es niemanden. Dass sich der
       Stimmungsboykott aufs Spiel des jungen Hertha-Teams auswirkt, ist zumindest
       denkbar. „Bestimmt diskutiert die Kabine über den Streit“, sagt Dárdai
       vage. Noch nimmt er die Vorlage nicht auf, die Schuld an schlechten
       Ergebnisse den Fans zuzuschieben.
       
       Auslöser, nicht aber der Ursprung allen Übels ist der ausufernde
       Polizeieinsatz bei Herthas 2:2 gegen den Tabellenführer aus Dortmund.
       Nachdem Hertha-Fans mehrfach Pyrotechnik zündeten, marschierte die Polizei
       ohne Absprache mit Fanvertretern zum Block und entfernte ein auf dem Boden
       liegendes Banner; vorgeblich, weil sich die zündelnden Fans vorher dahinter
       versteckt hatten. Die Situation eskalierte.
       
       Videoaufnahmen zeigen ein zuerst einigermaßen skurriles Kämpfchen, bei dem
       beide Seiten minutenlang an einem Stück Stoff zerren. Die Dortmunder
       Polizei war sich bewusst, dass der „Entzug des Banners, das ein Heiligtum
       der Hertha-Fans ist, zu Problemen und massiven Reaktionen der Berliner
       führt.“ Teile der Berliner Ultras griffen die Polizei mit Plastikstangen
       und Bengalos an; die wesentlich höhere Anzahl von Verletzten fand sich aber
       aufseiten der Berliner Fans. Später zertrümmerten Herthaner noch die
       Dortmunder Sanitärräume.
       
       Ralf Busch, Leiter des Fanprojekts Berlin, sah den Einsatz mit Sorge.
       „Üblich ist immer gewesen, dass die Polizei die viel gelobte
       Videoüberwachung nutzt und versucht, Täter im Nachgang zu ermitteln“, sagt
       er. „Wir hatten ganz lange keinen so massiven Polizeieinsatz in einem
       Fanblock mehr. Wenn dies kein Einzelfall bleiben, sondern eine neue
       Polizeistrategie werden sollte, so wird diese definitiv zu einer Eskalation
       führen und die Fronten zwischen Fans und Polizei weiter verhärten.“
       
       ## Gezielte Eskalation
       
       Ob es sich tatsächlich um einen Strategiewechsel handelt, ist unklar.
       [3][NRW-Innenminister Herbert Reul] kündigte an, man werde den Gebrauch von
       Pyrotechnik auch künftig „konsequent verfolgen.“ Der hessische
       Innenminister Peter Beuth, ebenfalls CDU-Mann, forderte am Mittwoch
       medienwirksam, Pyrotechnik unter das Sprengstoffgesetz zu fassen. „Wer im
       Stadion zündelt, geht in den Knast.“ Gezielte Eskalation.
       
       „Mit Sicherheitsmaßnahmen und Verboten wird man Pyrotechnik nicht aus den
       Stadien kriegen“, sagt Ralf Busch. Das Berliner Fanprojekt plädiert dafür,
       über eine Legalisierung zumindest wieder zu diskutieren. „Wenn Pyrotechnik
       legal wäre, müsste man sie nicht mehr heimlich zünden. Das würde die
       Risiken enorm reduzieren. Die jetzige Situation ist für alle Seiten
       unbefriedigend.“
       
       Die Wahrscheinlichkeit erneuter Legalisierungsgespräche geht allerdings
       gegen null. Die Polizei hat bei den nach außen populären Einsätzen gegen
       „Krawallmacher, Chaoten, Brutalos und Kriminelle“ öffentlich durchaus etwas
       zu gewinnen. Wenn auch wenig faktischen Fortschritt; Ultrakultur und
       Pyrotechnik sind kaum voneinander zu trennen. Und die Ultras aus den
       Stadien verweisen wird niemand wollen. Hertha irrlichtert derweil unter dem
       enormen Druck beider Fraktionen zwischen allerhand abenteuerlichen
       Maßnahmen.
       
       Michael Preetz hat schnell seine Unterstützung für den Polizeieinsatz
       deutlich gemacht. „Wir sind diejenigen, die die Verantwortung dafür tragen,
       dass alle Zuschauer ein sicheres Stadionerlebnis haben“, sagte er. Im
       Nachgang hat Hertha bis auf Weiteres Fahnen, Banner und andere
       Fan-Utensilien im Stadion verboten; trotz des Versprechens,
       Kollektivstrafen auszusetzen. Das daraus resultierende Schweigen der Fans
       kann sich Hertha aber eigentlich gar nicht leisten. Verein und aktive Fans
       sind einander in tiefer Abhängigkeit verbunden. Stimmungsboykott ist da
       eine wirksame Waffe.
       
       ## Wem gehört Hertha?
       
       Schon seit Januar 2017 haben die Ultras von den „Harlekins“ und der
       „Hauptstadtmafia“ den Dialog mit Hertha BSC offiziell eingestellt. Um
       Kommerz geht es vorgeblich, aber so ganz richtig ist das nicht. Eher um
       Tradition versus Moderne, lokal versus global, Basis versus Eliten –
       zumindest gefühlt.
       
       Die Liste der Streitpunkte seit 2016 ist lang und unübersichtlich:
       Ausweichtrikots in Pink statt in traditionellem Blau-Weiß, mittelwitzige
       englische Werbeslogans statt Nähe zum Kiez, zuletzt die von Hertha
       erfolglos verordnete neue Einlaufhymne. „Dickes B“ von Seeed statt „Nur
       nach Hause“ von Frank Zander. Kapitalismuskritik? Nicht wirklich: Die einen
       wollen Frank Zander und blau-weiße Trikots verkaufen, die anderen pinke
       Shirts und „Dickes B“. Wem aber gehört Hertha?
       
       Hertha, die RTL2-Diva unter den Berliner Vereinen, wo viel schmutzige
       Wäsche bundesweit gewaschen wird, war nie sonderlich gut darin, Liebe zu
       zeigen. Paul Keuter, Digitalisierungschef und von den Ultras in einer
       Verschwörungstheorie zum Alleinschuldigen an überhaupt allem erkoren,
       erklärt immer wieder, Hertha habe keine Zeit, sich mit den Fans über die
       Zukunft auseinanderzusetzen. Pech, gerade keine Zeit für Demokratie. Der
       Protest der Ultras ist ein gar nicht so stummer Schrei nach Liebe,
       gerichtet an einen Verein, der sich um seine Zukunft sorgt; wenig Protest
       gegen das System, sondern ein sehnsüchtiges: Will you still love me
       tomorrow? Werte, Wertschätzung, Nähe. Aber Nähe kann man unterschiedlich
       empfinden.
       
       ## Bloß nicht noch mehr Unruhe
       
       Der Himmel ist neblig, das Wetter ungemütlich, die Hertha-Kicker trainieren
       in blauen, nicht pinken Leibchen in der Nähe des Olympiastadions.
       Vielleicht zehn Kiebitze stehen am Zaun. Hier ist kein Ultra-Land. Und vor
       lauter Fokussierung auf ein paar Tausend in der Ostkurve fühlen sie sich
       ein wenig übersehen. „Diese Fans haben mittlerweile im Fußball fast zu viel
       Macht“, sagt ein älterer Herr, der den Ultras nichts abgewinnen kann. Ein
       anderer, Familienvater, sagt: „Diese Ultra-Arschkrampen gehen mir auf den
       Sack. Ich finde die Preetz-Linie super.“ Verständnis für Pyrotechnik oder
       den Stimmungsboykott ist hier rar.
       
       Es liegt eine eigene, große Welt zwischen den Welten. Auch der Vater kann
       der Kommerzialisierung nichts abgewinnen; Fifa, Uefa, die Bundesliga, das
       sei doch „eine Farce“. Aber die Ultras empfindet er als aggressive
       Wichtigtuer: „Eine Minderheit spielt beleidigte Leberwurst. Ich glaube
       nicht, dass sie tatsächlich die Meinung der Fans repräsentieren.“ Ihm
       selbst wäre „Dickes B“ als Hymne genauso lieb gewesen wie Zander; die neuen
       Marketingsprüche, ironisch gebrochen, das sei doch mutig. „Mir gefällt es,
       dass der Verein sich wandeln will. Ich hatte immer das Gefühl, früher war
       das so ein Westberliner Mief. Jetzt sehe ich die Bemühung, sich
       aufzufrischen.“
       
       Auch die Basis ist gespalten. Und kann es sich ein Bundesligist überhaupt
       leisten, seine Fans über Zukunftsstrategien abstimmen zu lassen? Wenn nun
       wirklich eine Mehrheit gegen Twitter und die neue E-Sports-Akademie ist,
       lässt man es dann einfach bleiben? Vielleicht hätte es damals eher
       geholfen, die Menschen mitzunehmen, ernst zu nehmen, öfter anzuhören. Jetzt
       ist viel Schaden angerichtet. Donnerstagabend fand ein erster runder Tisch
       mit Fanvertretern statt; er machte vor allem deshalb Schlagzeilen, weil ein
       Vorgespräch zwischen Ultras und Verein am Montag platzte. Sie fühlten sich
       vom Klub erpresst. Auch bei Hertha scheinen sie keine schnelle Lösung zu
       erwarten. Im Nachgang des runden Tischs gab es eine kurze Pressemitteilung:
       „Über das weitere Vorgehen wurde Vertraulichkeit vereinbart.“ Bloß nicht
       noch mehr Unruhe.
       
       Wie kommt die Ruhe wieder? Hinter dem Tor beim Vormittagstraining steht der
       19-jährige Christopher, Dauerkartenbesitzer. Beim Leipzig-Spiel gehörte er
       zu den wenigen, die gegen den Boykott sangen. „Wir hatten den besten
       Saisonstart, den wir hätten haben können“, klagt er. „Jetzt schadet man der
       Mannschaft mehr als dem Verein.“ Den Keuter-Hass findet er falsch, die
       Kollektivstrafen aber auch. „Ich glaube, dass man sich einigen kann. Ohne
       Fans ist der Fußball nichts.“ Das jedenfalls stimmt auf mehr Arten, als es
       Hertha lieb sein dürfte.
       
       The Show must go on. Und wer laut genug ist, der darf auch mitreden; eine
       Demokratie des Stärkeren. Christopher will eigentlich nur, dass Hertha
       gewinnt. „Ich finde, die Streitereien im Verein sorgen für Unruhe im
       Spiel“, sagt er. „Man sollte die Mannschaft anfeuern und den Streit in den
       Hintergrund stellen.“ Pál Dárdai drückt den Like-Button.
       
       10 Nov 2018
       
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       ## AUTOREN
       
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