# taz.de -- Europaparteitag der Grünen: Auf die Botschaft kommt es an
> Ein Satz zur Flüchtlingspolitik im Leitantrag sorgt für Verdruss. Dabei
> ist sich die Partei doch einig, dass „nicht alle, die kommen, bleiben
> können“.
IMG Bild: Noch bis Sonntag diskutieren die Grünen auf ihrem Parteitag über Europa
Berlin taz | Manchmal sind es die Kleinigkeiten, die eine Menge aussagen.
Die Grünen sind bekanntlich stolz auf ihre humane Flüchtlingspolitik. Sie,
und nur sie, betonen Spitzenleute, bildeten den weltoffenen und liberalen
Gegenpol zu AfD. Doch so einig, wie die Grünen tun, sind sie sich dann doch
wieder nicht.
Wie empfindlich die Gemüter sind, zeigt eine Posse, die sich [1][im Vorfeld
des Grünen-Parteitages] abspielte, der an diesem Wochenende in Leipzig
stattfindet. Die Delegierten treffen sich von Freitag bis Sonntag, um ihren
Kurs für die Europawahl zu beschließen. Die Parteispitze wäre eine Show der
Geschlossenheit am liebsten, um ihren Höhenflug zu verstetigen. Aber ein
Satz im Leitantrag des Bundesvorstandes sorgte für böses Blut.
Das Recht auf Asyl sei nicht verhandelbar, schreibt der Vorstand darin. Und
fügt hinzu: „Auch wenn nicht alle, die kommen, bleiben können.“ Klingt
banal, ist für manche Grüne aber ein Aufreger. Gleich fünf Änderungsanträge
forderten, den Satz zu streichen.
Einen hat Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth formuliert, unterschrieben
wurde er unter anderem von den Bundestagsabgeordneten Agnieszka Brugger und
Frithjof Schmidt. Ihre Begründung: Der Satz, „das Recht auf Asyl ist nicht
verhandelbar“, sei „stark und selbstbewusst“. Er solle für sich stehen und
wirken dürfen. „Es wäre bedauerlich, wenn nun auch wir den Eindruck
erweckten, man müsste sich für sein Festhalten am individuellen Grundrecht
auf Asyl in Deutschland und Europa mit einem Bekenntnis zu
rückführungspolitischer Härte rechtfertigen.“
Bekenntnis zu Härte – oder vielleicht nur eine Binsenweisheit? Dass
Menschen, die keinen Schutz nach dem Asylrecht oder der Genfer
Flüchtlingskonvention bekommen, in ihre Heimat zurückmüssen, wird
tatsächlich von keinem führenden Grünen in Frage gestellt. Dieses Prinzip
akzeptiert die Ökopartei schon lange, mehr noch: Sie handelt danach.
Schließlich ist sie an neun Landesregierungen beteiligt. In
Baden-Württemberg, Hamburg und anderswo werden abgelehnte Asylbewerber
abgeschoben, ohne dass sich grüne Minister vor den Ausländerbehörden
anketten.
## Nicht der Inhalt des Satzes stört
Wollen Roth und die anderen KritikerInnen, dass alle Geflüchteten bleiben?
Mitnichten. Auch die AutorInnen des Änderungsantrags bezweifeln nicht, dass
es Abschiebungen geben müsse. Rückführungen, schreiben sie, gehörten „zur
juristischen Realität eines Einwanderungskontinents wie Europa“. Sie
müssten nur möglichst humanitär ausgestaltet werden.
Nicht der Inhalt des Satzes stört also, sondern seine Botschaft – und die
Platzierung. Vor allem die Kopplung an den Satz mit dem Recht auf Asyl sei
problematisch, heißt es bei der Grünen Jugend. Das ist ein Argument, das
außerhalb der grünen Parteitagswelt keiner versteht. Was nun?
Eine Abstimmung auf dem Parteitag über einen Satz, über den sich alle einig
sind, wäre albern – und der Öffentlichkeit nicht zu vermitteln. Er stand
fast wortgleich im Wahlprogramm für die Bundestagswahl 2017. Die Zeitungen
würden ungläubig fragen, ob die Grünen ernsthaft jeden Geflüchteten, der
kommt, aufnehmen wollen.
Dieses unschöne Szenario vor Augen entfaltete der Bundesvorstand eine
fieberhafte Tätigkeit, um die Bombe zu entschärfen. Telefonate mit den
AntragstellerInnen, Absprachen, Zusagen. Alles scheint – Stand
Freitagnachmittag – auf einen Kompromiss zuzulaufen. Der umstrittene Satz
bleibt, aber er wird an eine andere Stelle verschoben. Dafür fällt eine
Abstimmung und damit größere Öffentlichkeit aus. Immerhin: Die Grünen sind
professionell genug, um sich nicht lächerlich zu machen. Aber sie haben in
der Flüchtlingspolitik große Angst davor, zu sagen, was ist.
9 Nov 2018
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DIR Ulrich Schulte
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