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       # taz.de -- Kommentar Kettcar-Krise: Kinder mit erstaunlichen Fähigkeiten
       
       > Der legendäre Spielzeughersteller ist insolvent. Nicht so schlimm.
       > Inzwischen kann man auch einem Zweijährigen kein Auto mehr verkaufen.
       
   IMG Bild: So war es, so wird es nie wieder sein: Kettcar in den 60ern
       
       Papa lenkt, Kind ruft: „Schneller“: Seit der Erfindung des Rades werden
       Kinder in Karren und Wägen herumgefahren. Dann kam der (oder das?) Kettcar.
       Plötzlich durften 4 bis 14-Jährige selbst steuern. Gewiss, das hatte ein
       paar Voraussetzungen, z. B, dass man im Westen der Republik wohnte, oder
       dass die Eltern das nötige Kleingeld aufbringen konnten.
       
       Waren die erfüllt, bekamen die Glücklichen (fast immer Jungs) vier eigene
       Räder zum Rollen und ein fünftes zum Steuern. So kurvten sie in der
       Nachbarschaft herum, beneidet und bewundert von den Gleichaltrigen.
       
       Seither allerdings vervielfachten die Autos ihre Zahl, blähten sich zu
       SUV-Größe, ließen Gehwege und Einfahrten unter einer Blechwelle
       verschwinden. Auch die Motoren wuchsen, sie hatten statt 30 plötzlich 350
       PS und die Höchstgeschwindigkeit der Karossen stieg auf 250
       Stundenkilometern. Am Steuer saß jetzt Mama und übte sich im Stau in
       Geduld. Die Kinder mussten festgeschnallt werden, sie bekamen eigene Sitze
       und wurden mit Elektronik ruhiggestellt.
       
       Die Kettcars spielten die Veränderung nach: Auch sie wurden größer, die
       Reifen wurden breiter. Die Firma Kettler, Erfinder des Kinder-Kultfahrzeugs
       der 70er, erweiterte unterdessen ihr Spektrum, Fahrräder, Gartenmöbel und
       Trainingsgeräte gehörten jetzt zur Marke.
       
       ## 720 Arbeitsplätze bedroht
       
       Bei einer ersten Krise vor zwei Jahren wurde dann die Fahrradsparte samt
       den erfolgreichen Elektrofahrrädern verkauft. Trotzdem steht das
       Unternehmen inzwischen erneut vor der Pleite, der verstorbene Eigentümer
       soll Millionen in die Schweiz geschleust haben, und der jetzige Besitzer,
       eine Stiftung, zeigt wenig Interesse an den Rettungsbemühungen der
       nordrhein-westfälischen Landesregierung, obwohl es um 720 Arbeitsplätze
       geht.
       
       Tröstlich ist: Selbst wenn die Firma verschwinden würde, die
       Kindermobilität wäre kaum beeinträchtigt, im Gegenteil. Sie hat das Auto
       hinter sich gelassen. Zwar kam zunächst, als Zwischenstufe, das Bobby-Car,
       gern noch mit dem Logo einer Automarke. Da konnte man sich auch mit Windel
       reinsetzen und der Radau machte, weil es oft in der Wohnung genutzt wurde,
       Eltern und Nachbarn verrückt. Ein Spielzeug eben.
       
       Inzwischen aber ist die Mobilitätsrevolution tatsächlich bei den Kindern,
       auch den ganz Kleinen, angekommen. Sie spielen nicht nur, sie bewegen sich
       selbstständig fort, auf dem Weg zur Kita oder zum Einkaufen, gern auch im
       Trupp mit Eltern und Geschwistern. Kaum können sie laufen, flitzen sie auf
       ihren Laufrädern blitzschnell durch die Lücken, die die Autos ihnen lassen.
       
       Ihre Eltern, eine Spezies mit neuartigen Fähigkeiten, dirigieren sie
       routiniert und gelassen durch die an allen Ecken lauernden tödlichen
       Gefahren, während Angehörigen der Generation Kettcar beim bloßen Zusehen
       einen Herzkasper nach dem nächsten erleiden. Bleibt das Zwerglein wirklich
       am Bordstein stehen, während einen Meter entfernt die mörderischen Karossen
       vorbeibrausen? Fährt es zügig mit, wenn Papa über mit dem Fahrrad über die
       vierspurige Straße vorausfährt? Tut es.
       
       Menschen, das zeigt diese Geschichte, sind also noch immer unendlich
       erfindungsreich. Lässt man sie und traut ihnen etwas zu, haben auch sehr
       kleine Menschen erstaunliche Fähigkeiten. Kettcar war schön, aber wir sind
       weiter.
       
       9 Nov 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Roland Schaeffer
       
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