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       # taz.de -- Gastkommentar Geheimdienstkontrolle: Entmystifiziert die Spione
       
       > Bei der demokratischen Kontrolle über deutsche Nachrichtendienste ist
       > noch viel zu tun. Das zeigt ein Vergleich mit anderen Ländern.
       
   IMG Bild: Ungenügend: Anhörung durch das Kontrollgremiums des Bundestages
       
       Die Präsidenten der drei Nachrichtendienste des Bundes standen neulich den
       Kontrolleuren im Bundestag in öffentlicher Sitzung [1][Rede und Antwort] –
       zum zweiten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik. Die Regierung sieht
       darin einen wichtigen Erfolg der Reform von 2016. Diese hat die
       Auslandsaufklärung des BND gesetzlich klarer verankert und die
       parlamentarische Kontrolle gestärkt.
       
       Die jährliche Anhörung von Bundesnachrichtendienst, Bundesamt für
       Verfassungsschutz und Militärischem Abschirmdienst diene dazu, so der
       Vorsitzende des Parlamentarischen Kontrollgremiums, Armin Schuster, die
       Dienste zu entmystifizieren. Um nicht zum jährlichen Wunschkonzert der
       Spione zu verkommen, sollte die Recht- und Verhältnismäßigkeit
       nachrichtendienstlicher Tätigkeiten dort mehr im Fokus stehen. Das ist das
       Kerngeschäft der Kontrolle und hier besteht großer
       Entmystifizierungsbedarf.
       
       Denn es ist ein Mythos, dass Deutschland weltweit vorbildhafte Regelungen
       und Kontrollinstrumente für die Nachrichtendienstkontrolle hat. Viele
       andere Länder verfolgen deutlich ambitioniertere Ansätze bei der
       gesetzlichen Regelung und praktischen Kontrolle nachrichtendienstlicher
       Kommunikationsüberwachung.
       
       Während hierzulande noch das Bundesverfassungsgericht darüber entscheidet,
       ob das Fernmeldegeheimnis auf deutsches Hoheitsgebiet beschränkbar ist, hat
       man in den Niederlanden bereits erkannt, dass es zeitgemäßer und sauberer
       ist, bei der massenhaften Kommunikationsüberwachung keine Unterscheidung
       mehr zwischen In- und Ausländern vorzunehmen.
       
       Zweitens ist es zwar wichtig, dass Nachrichtendienste auf neueste Technik
       zurückgreifen können. Dies sollte dann aber genauso für die Kontrolleure
       gelten. In Frankreich, den Niederlanden, Norwegen und in der Schweiz haben
       die Kontrollgremien bereits einen direkten digitalen Zugriff auf die von
       den Nachrichtendiensten erhoben Kommunikationsdaten sowie deren
       Überwachungsprogramme. Damit sind sie nicht mehr davon abhängig, nur die
       Unterlagen prüfen zu können, die ihnen die Dienste vorlegen. Die
       KontrolleurInnen können damit die Einhaltung von Datenschutzregeln
       ungehindert und in größerem Umfang als bisher überprüfen.
       
       In Schweden wird dieser Zugang beispielsweise dazu genutzt, statistische
       Abweichungen bei der Löschung von Daten zu erkennen. Dort, wo es auffällige
       Abweichungen gibt, wird dann genauer kontrolliert. Auch Dänemark arbeitet
       daran, die knappen Mittel der Kontrolle mittels Big Data Analytics besser
       auf Schwachstellen im System zu konzentrieren.
       
       ## Zuständigkeit ungeklärt
       
       Drittens haben letzte Woche Kontrollgremien aus fünf europäischen Ländern
       einen gemeinsamen Fahrplan für eine „Stärkung der Aufsicht über den
       internationalen Datenaustausch zwischen Nachrichten- und
       Sicherheitsdiensten“ veröffentlicht.
       
       Die wachsenden Möglichkeiten, gigantische Mengen an Daten international zu
       tauschen und nahezu in Echtzeit in gemeinsame Dateien einzuspeisen, macht
       die unzureichende Vernetzung nationaler Kontrollgremien zu einem gehörigen
       Demokratiedefizit. Ein wachsender Teil des Regierungshandelns wird nicht
       oder nur unzureichend kontrolliert. 
       
       Der Verbund europäischer Kontrolleure sammelt dazu Ideen zur Stärkung
       externer Kontrollmechanismen. Deutsche Kontrolleure sind explizit
       eingeladen, sich in diesen Verbund einzubringen. Wer aber soll diesem
       Wunsch eigentlich nachkommen? Das Parlamentarische Kontrollgremium, das
       Unabhängige Gremium, die G10-Kommission oder der ständige Bevollmächtigte
       für die Nachrichtendienstkontrolle?
       
       ## Parlamentarisches Selbstverständnis
       
       Viertens: Andere Länder sind weniger restriktiv, wenn es darum geht,
       nationalen KontrolleurInnen Zugang zu Informationen eines internationalen
       Kooperationspartners zu gewähren. Während der G10-Kommission der Zugang zu
       den Selektoren der NSA selbst nach dem Gang nach Karlsruhe verwehrt blieb,
       wird den norwegischen und amerikanischen KontrolleurInnen mittlerweile im
       Regelfall dieser Zugang gewährt. Das hat viel mit dem Selbstverständnis der
       Parlamente zu tun. So würde sich der amerikanische Kongress durch die
       deutsche Bundesregierung wohl kaum einschränken lassen.
       
       Fünftens sollte man sich, wie Kanada, bei der Kontrolle künftig eher auf
       die nachrichtendienstlichen Tätigkeiten als auf die ausführenden Behörden
       konzentrieren. Das würde dann übrigens auch der Formulierung des
       Grundgesetzes entsprechen: Der Bundestag hat ein Gremium für die Kontrolle
       der nachrichtendienstlichen Tätigkeiten des Bundes zu bestellen. Bislang
       stehen aber nur der BND, das BfV und der MAD im Fokus. Da stellt sich die
       Frage, ob die nachrichtendienstlichen Tätigkeiten anderer Behörden, wie das
       Kommando Fernmeldeaufklärung der Bundeswehr, die vielfältigen
       Vorfeldermittlungen durch das Bundeskriminalamt oder etwaige offensive
       Cybermaßnahmen neuer Behörden nicht genauso als nachrichtendienstliche
       Tätigkeiten des Bundes kontrolliert werden sollten.
       
       ## Kontrollgremien? Fehlanzeige
       
       Der [2][Fortschritt der Überwachungstechnologie] und die Innovationen in
       anderen Demokratien zeigen, dass man sich in Deutschland nicht auf der
       ohnehin umstrittenen Reform von 2016 ausruhen sollte. Vielmehr sollten die
       weiterreichenden Befugnisse bei den deutschen KontrolleurInnen jetzt
       Wettbewerbslust entfachen.
       
       Dass in Deutschland noch einiges an Reformbedarf besteht, gab letzte Woche
       auch der UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Privatsphäre im
       Anschluss an seinen Deutschlandbesuch zu Protokoll: „Deutschland scheinen
       Kontrollgremien zu fehlen, die ausreichend befähigt und ausgestattet sind,
       um bei den Diensten jederzeit ohne Vorwarnung anzuklopfen und insbesondere
       die technischen Systeme stichprobenhaft eigenständig zu prüfen.“
       
       25 Nov 2018
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Thorsten Wetzling
       
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