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       # taz.de -- Diskussion um Merkels Nachfolge: Merz stellt Asylrecht in Frage
       
       > Auf einer Regionalkonferenz der CDU geht der Bewerber um den
       > CDU-Parteivorsitz mit einer neuen Forderung in die
       > Anti-Migrations-Offensive.
       
   IMG Bild: Bei ihm soll das Asylrecht nicht mal mehr auf einen Bierdeckel passen: Friedrich Merz
       
       BERLIN taz | Die Bewerber*innen um den CDU-Vorsitz sind sich offenbar
       einig: Um Stimmen aus der eigenen Partei kämpft man am besten mit rechtem
       Populismus, und auf dem Rücken von Migrant*innen. Sei es Jens Spahn, der
       den [1][UN-Migrationspakt] noch mal von vorne bis hinten durchdiskutieren
       will, Annegret Kramp-Karrenbauer, die zum wiederholten Male den Doppelpass
       in Frage stellt – oder Friedrich Merz, der sagt, man müsse über das
       Fortbestehen des Grundrechts auf Asyl [2][„offen diskutieren“].
       
       Kramp-Karrenbauer, Spahn und Merz touren derzeit durch Deutschland, um sich
       auf [3][Regionalkonferenzen] der Parteibasis zu stellen. Am Mittwochabend
       taten sie das im thüringischen Seebach, es war ihr erster Auftritt in einem
       ostdeutschen Bundesland. Merz hatte dabei erklärt, Deutschland sei das
       „einzige Land der Welt, das ein Individualrecht auf Asyl in der Verfassung
       stehen“ habe. Er sei schon lange der Meinung, „dass wir bereit sein
       müssten, über dieses Asylgrundrecht offen zu reden, ob es in dieser Form
       fortbestehen kann, wenn wir ernsthaft eine europäische Einwanderungs- und
       Flüchtlingspolitik wollen.“
       
       Eine europäische Lösung sei nicht zu schaffen, wenn man alles gemeinsam
       vereinbare, es in Deutschland als einzigem Land dann aber zusätzlich noch
       ein Individualrecht auf Asyl gebe – „darüber dürfen wir uns nun gar keine
       Illusionen machen.“ Zudem müsse Deutschland klarstellen, dass durch den
       UN-Migrationspakt keine neuen Asylgründe geschaffen würden, etwa Flucht vor
       dem Klimawandel. „Das sind Dinge, die wir in Deutschland auch durch die
       Hintertür nicht akzeptieren können.“ In den vergangenen Wochen hatte sich
       vor allem Merz' Konkurrent, der Gesundheitsminister Jens Spahn, mit
       [4][Kritik an dem unverbindlichen Rahmendokument] hervorgetan, das die
       UN-Mitgliedsstaaten im Dezember in Marokko annehmen wollen.
       
       Zuerst hatte die AfD mit einer groß angelegten Kampagne massiv Stimmung
       gegen den Pakt gemacht. Spahn nutzt diese, um sich zu profilieren und sich
       von seinen Mitbewerber*innen abzuheben. Von der Regierung und nicht zuletzt
       der Bundeskanzlerin bekam er Gegenwind; erst im Dienstag hatte Angela
       Merkel während der [5][Generaldebatte] im Bundestag gesagt: „Entweder man
       gehört zu denen, die glauben, sie können alles alleine lösen und müssen nur
       an sich denken. Das ist Nationalismus in reinster Form. Patriotismus ist,
       wenn man im deutschen Interesse auch andere mit einbezieht und
       Win-Win-Situationen akzeptiert.“ Das richtete sich zuerst an die AfD, kann
       aber genau so auch an Spahn gerichtet verstanden werden.
       
       Inzwischen haben die anderen Bewerber*innen nachgezogen, allen voran Merz,
       während Kramp-Karrenbauer sich in Seebach eigentlich anderen Themen hatte
       zuwenden wollen und sich erst auf Nachfrage zum Migrationspakt äußerte.
       Erst vor knapp einer Woche hatte sie allerdings angekündigt, im Fall ihrer
       Wahl die Regeln für die doppelte Staatsbürgerschaft überprüfen zu wollen.
       
       ## Pro und contra „Merkels Flüchtlingspolitik“
       
       Die drei Kandidat*innen führen damit fort, was sich schon lange beobachten
       lässt: Die AfD treibt die Union vor sich her, vor allem die CSU – und die
       wiederum macht Druck auf die CDU. Unvergessen ist der Streit zwischen den
       beiden Schwesterparteien, der die Union in zwei Lager geteilt hat: pro und
       contra „Merkels Flüchtlingspolitik“.
       
       Dabei hat sich längst gezeigt, dass die Fokussierung auf das Thema
       Migration am Ende wohl eher der AfD nützt, als enttäuschte
       Unionswähler*innen von dort zurückzuholen. Verschiedene Umfragen haben
       aufgezeigt, dass Zuwanderung beziehungsweise deren Begrenzung für die
       Mehrheit der Menschen keineswegs das wichtigste Thema ist. Dafür drängen
       Themen, die im politischen Diskurs aber oft vom Streit um die richtiges
       Migrations- und Asylpolitik überlagert werden – wie soziale Gerechtigkeit,
       der Kampf gegen Altersarmut oder für gleiche Bildungschancen und die
       Gleichberechtigung von Männern und Frauen.
       
       Merz‘ Äußerungen zum Grundrecht auf Asyl blieben vom Regierungspartner
       nicht unwidersprochen. „Unser Grundrecht auf Asyl ist eine historische
       Errungenschaft. Daran gibt es nichts zu rütteln“, sagte Bundesaußenminister
       Heiko Maas (SPD) der Rheinischen Post. Dass das Asylrecht dem Europarecht
       nicht entgehen stehe, sei bereits im Grundgesetz verankert.
       „Rechtspopulisten hinterher zu laufen“ führe nur zu einer weiteren
       Spaltung. Der SPD-Vize Ralf Stegner sagte, mit seinen Äußerungen verlasse
       Merz den „demokratischen Grundkonsens“.
       
       Und auch aus den eigenen Reihen kommt Kritik. Die Integrationsbeauftragte
       der Bundesregierung und CDU-Politikerin Annette Widmann-Mauz mahnte mit
       Blick auf die deutsche Geschichte, „das Grundrecht auf Asyl nicht in Frage
       zu stellen“. Eine Begrenzung der Asylzahlen erreiche man nicht durch eine
       Änderung des Grundgesetzes, „sondern indem wir Fluchtursachen bekämpfen,
       gemeinsam mit unseren Partnern an einem solidarischen Asylsystem arbeiten
       und eine faire Lastenverteilung in Europa vorantreiben“.
       
       Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) hingegen erklärte,
       Deutschland müsse mit seinen hohen Standards aufpassen, dass nicht „alle
       nach Deutschland kommen, weil wir die besten Voraussetzungen schaffen.“
       
       Die beiden Mitbewerber*innen reagierten unterschiedlich auf Merz' Vorstoß.
       Während Spahn erklärte, das Grundgesetz sei eine große Errungenschaft, doch
       jedes Argument müsse „auf den Tisch“ und das Thema sei aus seiner Sicht
       eher der Schutz der EU-Außengrenzen als das deutsche Grundgesetz, betonte
       Kramp-Karrenbauer, eine Abschaffung des Grundrechts auf Asyl halte sie
       nicht „mit dem Wesenskern der CDU“ für nicht vereinbar.
       
       Die Opposition wies Merz‘ Äußerungen vehement zurück. Der Grüne
       Innenpolitiker Konstantin von Notz [6][erklärte auf Twitter], der
       Grundrecht auf Asyl sei eine „Lehre des Grundgesetzes aus den schrecklichen
       Erfahrungen von Jüdinnen und Juden, die aus Nazi-Deutschland zu fliehen
       suchten“ und aus der Fluchterfahrung von Millionen Deutschen. „Das mal eben
       beim Kampf um einen Parteivorsitz abräumen zu wollen spricht Bände.“ Jan
       Korte, Parlamentsgeschäftsführer der Linken, erklärte, mit der Aussage, das
       Asylrecht „noch weiter schleifen zu wollen“, trete man für den
       Parteivorsitz bei der AfD an, „aber nicht bei einer Partei aus dem
       demokratischen Spektrum“.
       
       Merz selber ruderte am frühen Nachmittag zurück. Er stelle das Grundrecht
       auf Asyl selbstverständlich nicht in Frage, [7][schrieb er auf Twitter],
       „weil wir Politik aus christlicher Verantwortung und vor dem Hintergrund
       der Geschichte machen“. Man müsse sich aber – „in aller Ruhe und
       Sachlichkeit“ – damit beschäftigen, wie dieses Grundrecht und ein
       europäischer Lösungsansatz gemeinsam wirken könnten.
       
       [8][Der UN-Migrationspakt: Der vollständige Vertragstext – kommentiert von
       ExpertInnen für Migration.]
       
       22 Nov 2018
       
       ## LINKS
       
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   DIR [6] https://twitter.com/KonstantinNotz/status/1065489276119470080
   DIR [7] https://twitter.com/_FriedrichMerz/status/1065592912409436160
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