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       # taz.de -- Leben auf dem Mars: Warum bist du so gottverdammt tot?
       
       > Schade, dass der Mars keine zweite Erde ist. Ab Montag sucht die
       > Nasa-Sonde „Insight“ nach den Gründen für unsere kosmische Einsamkeit.
       
   IMG Bild: Dreidimensionales Mars-Panorama aus der Perspektive des Mars-Pfadfinders 1997
       
       Im Januar wird Matthias Grott ein Loch in den Mars bohren. Fünf Meter tief
       – Rekord im Löcherbohren auf anderen Himmelskörpern. Die bisherige
       Bestmarke hält der Apollo-17-Astronaut Harrison Schmidt: 1972, Mond, drei
       Meter.
       
       Im Gegensatz zu Schmidt meißelt Grott natürlich nicht selbst. Er forscht am
       Institut für Planetenforschung des Deutschen Zentrums für Luft- und
       Raumfahrt in Berlin und besteigt keine Raumschiffe. Aber Grott hat einen
       Bohrer samt Labor mitentwickelt, das am Montagabend um 21 Uhr deutscher
       Zeit auf dem Mars ankommt, an Bord der Nasa-Raumsonde Insight. Geht alles
       gut, wird im Januar ein Roboterarm der Insight Grotts „Marsmaulwurf“
       genanntes Labor HP3 auf den Boden vor sich platzieren – damit steht dann
       ein komplett in Deutschland gebautes Ding auf dem Roten Planeten.
       
       Das Roboterlabor soll herausfinden, warum der Mars eine so gottverdammte,
       tote Wüste ist: Die durchschnittliche Oberflächentemperatur liegt bei minus
       63 Grad Celsius, flüssiges Wasser gefriert sofort oder verdampft wegen der
       dünnen Atmosphäre spätestens bei 10 Grad.
       
       Es ist eine wahrlich große Tragödie. Denn mit etwas planetarer Fortune
       könnte es auf dem Mars heute deutlich sichtbares Leben geben. So aber steht
       ein schrecklicher Verdacht im Weltenraum: Womöglich ist ein so lauschiges,
       blau funkelndes Örtchen wie die Erde extrem selten im kalten All. Und der
       Mensch dann vielleicht das am höchsten entwickelte Wesen des Universums.
       Sollen wir wirklich alles sein? Nach 13,81 Milliarden Jahren Sein,
       Existenz, Dinglichkeit des Kosmos? Wie sinnlos.
       
       Schon ein wenig Mikrobenschleim auf dem Mars wäre ein Zeichen, dass aus der
       Chemie des Alls Leben entsteht, wo geht. Wir wären dann wohl kaum die
       einzigen grüblerischen Wesen mit Hang zu Poesie und Totschlag.
       
       ## Vor vier Milliarden Jahren waren Mars und Erde gleich
       
       So aber scheint der Mars tot zu sein, obwohl die Nasa den Roten Planeten
       einen Zwilling der Erde nennt. Denn vor vier Milliarden Jahren waren beide
       gleich, so der Stand der Forschung. Die Zwillinge waren warm und nass und
       hatten eine dicke Atmosphäre. Auf der Erde entstanden in den Ozeanen erste
       einfältige, einzellige Lebensformen. Auch der Mars hatte reichlich Wasser,
       noch heute ziehen sich Adern von ausgetrockneten Strömen über den Planeten,
       die in kahle Ebenen münden, womöglich einst Meere. Dort könnte eine von der
       Erde unabhängige, zweite Geburt des Lebens stattgefunden haben.
       
       Weil der Mars kleiner und leichter ist als die Erde, verlor er mangels
       ausreichender Gravitation seine Atmosphäre, sein Wasser entwich
       größtenteils ins All. Falls es noch einfaches, bakterienähnliches Leben
       gibt, so muss es Zuflucht unter der Oberfläche gefunden haben, wo noch
       Wasser vorhanden ist. Die nackte, erstarrte Oberfläche des Mars ist wie
       konserviert in einem Zustand von vor Milliarden von Jahren – und weil der
       Mars aus dem gleichen Material entstand wie die Erde, ist alles Wissen über
       den Mars heute auch Wissen über die Kleinkindphase unserer Heimat.
       
       Matthias Grott und sein Team wollen wissen, wie vital der Mars noch ist.
       Auf Grotts Berechnungen geht die Lochtiefe von 5 Metern zurück – aus dem
       Temperaturunterschied zur Oberfläche lässt sich errechnen, wie viel Wärme
       noch im Inneren des Mars steckt, ob der Kern noch aus flüssigem Gestein
       besteht, wie die Erde. „Wir wollen herausfinden, wie Planeten wirklich
       interessante Sachen machen können. Also wie viel Energie es für ein
       Magnetfeld und für Vulkanismus gibt. Beides ist für die Entwicklung der
       Atmosphäre wichtig, und beides ist wichtig für Leben“, sagt Grott.
       Womöglich ist der Planet im Inneren sogar noch so warm, dass es unter den
       Polkappen aus gefrorenem Wasser und Kohlendioxid noch flüssige Seen gibt –
       in denen bis heute Leben überdauern könnte.
       
       ## Nicht zu große Hoffnungen hegen
       
       Nach Marsmikroben buddeln wird Insight allerdings nicht. Sollte Leben auf
       dem Mars unter der von kosmischer Strahlung gegrillten Oberfläche
       überdauert haben – dann ist es verdammt schwer zu finden. Einer, der das
       wissen muss, ist Fred Goesmann. Der Physiker arbeitet am
       Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung in Göttingen und bastelt
       gerade an einem Labor, das die europäische Raumfahrtagentur Esa und
       Russland im Jahr 2020 gemeinsam zum Mars schicken wollen. Dieses Labor
       könnte das Zeug dazu haben, Leben nachzuweisen. Wobei Goesmann da sehr
       vorsichtig ist. Nur keine zu hohen Erwartungen wecken. „Haben Sie mal
       versucht, winziges, kaum mehr vorhandenes Leben auf einem fast toten
       Planeten nachzuweisen? Das gibt eine Indizienkette, nicht die große
       Sensation“, sagt er. Die Suppe, in der was zappelt, die werde man nicht
       finden.
       
       Die Nasa kann ein Lied davon singen. Im Jahr 1976 suchte sie sehr
       gewissenhaft nach Mikroorganismen im Marsboden. Damals landeten die beiden
       Viking-Sonden auf dem Planeten, entnahmen Proben und testeten, ob es darin
       Stoffwechselvorgänge gibt – vulgo, ob etwas atmet, isst und kackt. Bis
       heute gibt es Diskussionen über die Ergebnisse. Tatsächlich schien es, als
       habe etwas im Marsboden eine beigemischte Nährlösung aufgenommen und als
       Abfallprodukt Gase ausgeschieden. Doch ein anderes Experiment schlug fehl.
       Es sollte organische Moleküle nachweisen. Die können, müssen aber nicht zu
       lebenden Organismen gehören – auch Plastik, Erdgas oder Alkohol sind zwar
       organische Verbindungen, aber ziemlich tot. Die Viking-Sonden fanden
       jedenfalls: überhaupt nichts, nada. Was damals ein großes Rätsel war.
       
       „Bei Viking hat die Nasa gesagt, weil wir keine organischen Moleküle
       nachgewiesen haben, kann da auch kein Leben sein. Eine etwas brutale
       Schlussfolgerung, aber okay“, sagt Goesmann. Heute weiß man, wo das Problem
       lag: 2008 entdeckte die Nasa-Sonde Phoenix sogenannte Perchlorate im
       Marsboden. Ein Stoff, der auch in Silvesterraketen drin ist. Macht Bumm,
       wenn heiß. Die beiden Viking-Labore erhitzten den Marsboden auf bis zu 500
       Grad, um ihn zu analysieren. Sollten sie tatsächlich Leben an der Angel
       gehabt haben, haben die Perchlorate es pulverisiert. Mit diesem Wissen
       ausgestattet setzte die Nasa dann 2012 den Rover Curiosity auf dem Roten
       Planeten ab. Der hat tatsächlich organische Moleküle nachgewiesen – aber
       noch nichts, was typisch für Leben ist .
       
       Fred Goesmann nun könnte die Indizienkette auf der Suche nach
       Mikroben-Marsianern schließen. Sein Instrument wird Bodenproben mit
       Laserblitzen analysieren und so die organischen Moleküle sehr genau
       vermessen können, bevor sie kaputt sind. „Wir können dann sagen, was das
       ist und ob es potentiell ein Baustein von Leben gewesen sein könnte“, sagt
       er.
       
       Doch selbst dann stünde da immer noch der Verdacht, dass diese Bauteile von
       der Erde eingeschleppt worden sind – „Instrumente nicht richtig geputzt“,
       sagt Goesmann. Falls eindeutig lebende Zellen auf dem Mars nachgewiesen
       werden sollten, selbst dann wüsste man nicht, ob die nicht von der Erde
       stammen. Denn Mars und Erde tauschen sich aus: Nach Asteroideneinschlägen
       schleudern sie Gesteinsbrocken ins All, die irgendwann beim Nachbarn
       einschlagen. Mikroben können den Trip durchs All überleben, das weiß man.
       Die marsianischen Mikroben müssten also genau analysiert werden, um
       herauszufinden, ob auf dem Mars unabhängig von der Erde Leben entstand –
       oder ob sich die Planeten gegenseitig infizierten.
       
       „Sobald Menschen auf dem Mars rumhirschen, ist es allerdings vorbei mit der
       Suche nach Leben dort. Dann ist alles mit irdischen Mikroorganismen
       kontaminiert“, sagt Goesmann. Die Sorge, dass außermarsianische Aliens von
       der Erde das hauchzarte Leben auf dem Mars ausrotten könnten, teilen Nasa
       und Esa. Raumsonden, die auf dem Mars landen, werden sterilisiert, bevor
       sie losdürfen. Insight landet extra an einer Stelle, die so unwirtlich ist,
       dass blinde Passagiere von der Erde keine Überlebenschance haben. Versetzen
       Sie sich nur mal in eine Mars-Mikrobe: Die Vorfahren haben Milliarden von
       Jahren unter härtesten Bedingungen auf einem kargen Wüstenplaneten
       überlebt. Dann sterben alle. Weil der Mensch kommt. Wäre ziemlich typisch
       für uns.
       
       26 Nov 2018
       
       ## AUTOREN
       
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