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       # taz.de -- Landesparteitag der Berliner Grünen: Eine Spitze gegen das Gymnasium
       
       > Die Grünen streiten über die Zukunft des Gymnasiums. Bei der
       > Gemeinschaftsschule sollen Eltern die Wahl behalten, im Leitantrag steht
       > das später aber nicht.
       
   IMG Bild: Die neue alte Doppelspitze: Nina Stahr und Werner Graf auf dem Landesparteitag der Berliner Grünen
       
       Vielleicht ist da die Erinnerung an 2011, die die Berliner Grünen beim
       Landesparteitag am Samstag nicht Klartext reden lässt über das, was sie
       schulpolitisch wirklich wollen. 2011 schienen sie auf direktem Weg ins Rote
       Rathaus zur Regierungsübernahme. Lächerlich muten die aktuellen 24 Prozent
       in Umfragen gegen jene zeitweise 31 Prozent an, die die Grünen damals in
       Umfragen hatten. Und doch schaffte es die Partei, bis zur
       Abgeordnetenhauswahl wenige Monate später noch auf 17,6 Prozent abzusacken
       – auch weil die damalige Spitzenkandidatin Renate Künast kurz mal Klartext
       redete: Sie forderte Tempo 30 stadtweit, stellte das Gymnasium infrage, und
       den BER, der damals noch BBI hieß, hätte sie gern auf einen
       Regionalflughafen eingedampft.
       
       Das war vielleicht bei den Grünen, aber nicht bei den Wählern
       mehrheitsfähig. Die Umfragewerte brachen ein. Also nun, über sieben Jahre
       später, bei aller Kritik am Gymnasium: bloß nicht das böse Wort vom
       Abschaffen in den Mund nehmen.
       
       Um Bildung geht es nämlich beim fast drei Stunden diskutierten Leitantrag
       des später wiedergewählten Landesvorstands um Nina Stahr und Werner Graf.
       Genauer: Es geht um mehr Lehrer, bessere Ausstattung aller Schulen mit WLAN
       in allen Klassenzimmern, es geht den Grünen grundsätzlich um die
       bestmögliche Bildung für alle. Und die bietet nach ihrer Ansicht die
       Gemeinschaftsschule, unter dem rot-roten Senat 2006 von der Linkspartei
       durchgesetzt. Nicht sechs Grundschuljahre lang, sondern zehn Jahre oder
       mehr sollen Kinder zusammen lernen, statt in leistungsstärkere und
       lernschwächere aufgeteilt zu werden.
       
       „Eine Schule für alle“ nennt es der [1][Leitantrag], den Parteichefin Stahr
       vorstellt. Für sie hat das auch etwas mit sozialer Durchmischung zu tun:
       Sie wolle nicht, dass sich Kinder aus unterschiedlichen gesellschaftlichen
       Gruppen nur noch in der U-Bahn begegneten.
       
       Kritikerinnen wie Stefanie Remlinger, langjährige Bildungsexpertin in der
       grünen Abgeordnetenhaus-Fraktion, warnen davor, die Forderung nach besserem
       Unterricht und besserer Ausstattung mit einer Änderung der Schulstruktur zu
       verbinden. Aus ihrer Sicht riskiert die Partei damit einen „Schulkrieg“ –
       eine Wortwahl, für die Remlinger heftig kritisiert wird. Nein, niemand hat
       an diesem Samstag die Absicht, ein Gymnasium abzuschaffen. Es soll laut
       Leitantrag bloß künftig kein Gymnasium jetziger Art mehr sein dürfen.
       
       ## Das Probejahr abschaffen
       
       Konkret wollen die Grünen das Probejahr abschaffen, sodass die Gymnasien
       leistungsschwächere Schüler nicht mehr an andere Schulformen abgeben
       können. Ein Antrag der Grünen Jugend, künftig gar keine Gymnasien mehr zu
       bauen, scheitert eher knapp und vorrangig an dem Argument, dass man den
       Bezirken nicht vorschreiben wolle und dürfe, welche Schulen sie bauen
       möchten.
       
       Die kritischen Stimmen drängen in der Debatte darauf, nach außen deutlich
       zu machen, dass man die Gemeinschaftsschule nicht vorschreiben, Eltern
       nicht die Wahlmöglichkeiten nehmen und das Gymnasium nicht abschaffen
       wolle. Erfolglos fordern sie, folgenden Satz in Leitantrag aufnehmen zu
       lassen: „Wir werden Schulen und Eltern diesen Weg aber weiterhin nicht
       vorschreiben, sondern wollen durch gute Praxis überzeugen und setzen auf
       ermöglichen statt verordnen.“
       
       Ein ähnlicher Satz steht durchaus im Redemanuskript von Parteichefin Stahr:
       „Ich werde niemanden zwingen, diese oder jene Schulform zu wählen – Leute
       aus dem Alter sind wir als Partei jetzt echt raus.“ Am Mikro, vor den 140
       Delegierten in der zum Tagungsort umgewandelten Kreuzberger
       Jerusalemkirche, sagt Stahr diesen Satz jedoch nicht. Unbeabsichtigt soll
       der rausgefallen sein, sagt sie der taz später dazu. Sie stehe aber
       dahinter, man könne ihn so zitieren.
       
       Unverändert bleibt im Leitantrag auch eine Passage, die auf die Zukunft
       jener kleineren Gruppe von Gymnasien zielt, den sogenannten grundständigen,
       die schon mit der 5. Klasse beginnen: Man werde „eine verbindliche
       Grundschulzeit von sechs Jahren durchsetzen“. Das hieße: kein Wechseln nach
       der 4. Klasse und damit keine grundständigen Gymnasien mehr.
       
       ## „Kein Kampf gegen das Gymnasium“
       
       Stahr ist sichtlich erregt, als sie angesichts vieler Änderungsanträge aus
       den Reihen der Delegierten zum zweiten Mal ans Rednerpult tritt, um den ein
       Jahr lang vorbereiteten Leitantrag zu verteidigen: „Ihr könnt mir nicht
       unterstellen, ich sei die Verbotsfrau“, sagt sie, „das ist kein Kampf gegen
       das Gymnasium, hört auf, das zu unterstellen.“ Doch den Satz, der
       Wahlfreiheit garantiert und alle Kritik widerlegt hätte, den sagt sie auch
       jetzt nicht.
       
       So heftig die Grünen über Bildung diskutieren, so einig ist man sich beim
       zweiten großen Punkt, einem Leitantrag zu Stadtentwicklung, der sich unter
       anderem für mehr Grün und Parkranger einsetzt und nochmals eine Bebauung
       des Tempelhofer Felds ausschließt.
       
       Grünen-Bundeschef Robert Habeck ist zu diesem Zeitpunkt schon längst nicht
       mehr im Saal, nach seinem Gastbeitrag eilt er zum nächsten Termin, einem
       von so vielen in diesen Tagen und Wochen. Müde oder ausgelaugt wirkt er
       trotzdem nicht, als er vorher die Berliner Grünen vor Überheblichkeit
       angesichts der Umfragewerte und jüngsten Wahlerfolge in Bayern und Hessen
       warnt. „Das ist kein Grund, sich auf die Schultern zu klopfen und wie ein
       Orang-Utan durch die Manege zu laufen“, sagt Habeck, „lasst uns arbeiten
       und nicht abheben.“
       
       Der CDU wirft Habeck Selbstbeschäftigung vor. Die Kandidaten um den
       Parteivorsitz, Friedrich Merz und [2][Jens Spahn], kritisiert er namentlich
       – Annegret Kramp-Karrenbauer als Dritte im Bewerbertrio erwähnt er nicht.
       
       Dann wünscht Habeck sich noch, dass die Berliner Grünen im nächsten Jahr
       die Landtagswahlkämpfe ihrer Partei in Brandenburg und Sachsen
       unterstützen. Das liegt nicht nur örtlich nahe: In Berlin gibt es in
       U-Bahn-Distanz 7.000 Mitglieder, der Brandenburger Landesverband hingegen
       muss mit seinen nur rund 1200 Mitgliedern ein über 30-mal größeres Gebiet
       abdecken. Oft lediglich nicht mehr als eine Stunde Zugfahrt, hat Habeck
       schon recherchiert, würde die Fahrt zur Wahlkampfhilfe dauern.
       
       25 Nov 2018
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://gruene.berlin/sites/gruene.berlin/files/abstimmungen_leitantrag_bildung.pdf
   DIR [2] /Kommentar-Spahn-und-Migrationspakt/!5548589
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Stefan Alberti
       
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