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       # taz.de -- Debatte Brexit: Ein Deal ohne Zukunft
       
       > Der Brexit-Deal ist in Großbritannien weder umsetzbar noch
       > mehrheitsfähig. Nötig ist eine Lösung, in der sich die Parteien auf
       > Augenhöhe begegnen.
       
   IMG Bild: Gegenwind in der Heimat: Theresa May
       
       Das Brexit-Abkommen, das ein EU-Sondergipfel in Brüssel [1][am Sonntag
       gebilligt hat], ist schon ein seltsames Konstrukt. Es ist nach dem Gipfel
       genauso wenig beschlossene Sache wie davor, denn es muss erst noch die
       parlamentarische Ratifizierung durchlaufen – auf beiden Seiten. Nichts
       deutet derzeit auf eine Mehrheit dafür im britischen Unterhaus hin.
       
       Großbritanniens regierende Konservative um Premierministerin Theresa May
       haben [2][keine eigene Mehrheit] unter den 650 Abgeordneten, und alle
       anderen Parteien haben schon ihr Nein angekündigt. Auch die Konservativen
       selbst sind gespalten: Von ihren 316 Abgeordneten sind nach aktuellem Stand
       91 gegen diesen Brexit-Deal.
       
       Um zu verstehen, wie es nach einem Nein im Parlament weitergehen könnte,
       ist es wichtig, die Gründe dafür zu verstehen. Es geht nicht einfach um
       nölende Brexit-Fundamentalisten, denen der Bruch mit Europa nicht klar
       genug ist. Es geht vielmehr darum, dass das Abkommen eine in den
       internationalen Beziehungen einmalige Sondervereinbarung enthält.
       
       Danach könnten in Großbritannien auch nach dem Brexit Ende März 2019 und
       dem für frühestens Ende 2020 vorgesehenen Ende der Übergangszeit sämtliche
       EU-Regelungen in zentralen Politikbereichen einfach weitergelten: die
       EU-Außenhandels- und Zollregeln, die EU-Umwelt-, Arbeits- und
       Sozialstandards, die Regeln über Steuerkooperation, Finanzregulierung,
       Klimapolitik und staatliche Beihilfen.
       
       ## Komplette Angleichung der Wirtschaftspolitik
       
       Dies ist der sogenannte „backstop“ für Nordirland, der in Abwesenheit eines
       neuen Freihandelsabkommens in Kraft treten soll. Eigentlich sollte er nur
       die Einführung von [3][Grenzkontrollen zur Republik Irland verhindern]. Die
       EU nutzt ihn jetzt aber als Hebel zur kompletten Angleichung der britischen
       Wirtschaftspolitik: Damit es nirgends irgendwelche Kontrollen geben muss,
       gibt es nirgends unterschiedliche Regeln.
       
       Durchgesetzt werden soll das in Großbritannien von einer in Vertretung der
       EU-Kommission handelnden, allein dieser rechenschaftspflichtigen
       „unabhängigen Autorität“. Enden kann es nur im beiderseitigen Einvernehmen.
       
       Das ist der sogenannte „Vasallenstatus“ Großbritanniens, von dem sogar
       Brexit-Befürworter sagen, dieser Deal sei noch schlechter als ein Verbleib
       in der EU. Denn die EU-Regeln, die weiter in Großbritannien gelten sollen,
       sind die zum Ende der Übergangszeit – eine Übergangszeit von Ende März 2019
       bis Ende 2020, in der London nicht mehr wie bisher in Brüssel mit am Tisch
       sitzt. Gerade in den relevanten Politikfeldern ist die EU aber in der Regel
       Lobbyinteressen hörig, von Emissionsstandards für Autos über die Zulassung
       von Pestiziden. Wer da nicht mitreden kann, hat schon verloren.
       
       Nehmen wir ein gar nicht so weit hergeholtes Beispiel: Ein Start-up in
       einem englischen Technologiecluster entwickelt in den nächsten Jahren
       leistungsfähigere Elektromotoren als die schwerfällige deutsche Konkurrenz
       und erwägt, diese in Asien in Serie herzustellen. Die (von der deutschen
       Autoindustrie bestimmten) EU-Regeln in diesem Bereich umfassen dieses
       Produkt aber nicht, und Großbritannien hat keine Handhabe, das zu ändern.
       Die EU könnte ein solches Produkt also sogar vom britischen Markt
       fernhalten.
       
       ## Selbstkastration
       
       Selbst wenn die britischen Parlamentarier in einem Anflug geistiger
       Umnachtung eine solche Selbstkastration billigen würden, bliebe die
       praktische Anwendung ein Rätsel. Mit dem Brexit erlischt nämlich die
       automatische Gültigkeit von EU-Recht in Großbritannien – nichts anderes
       bedeutet ja die Aufkündigung der Mitgliedschaft. Das bereits beschlossene
       britische EU-Austrittsgesetz hat dies abschließend geklärt.
       
       Das heißt aber auch: In Zukunft sind EU-Regeln nicht mehr automatisch
       britisches Gesetz. Ihre nationalstaatliche Entsprechung muss neu geregelt
       werden. Entweder also muss das Londoner Parlament die Übertragung
       zukünftigen fremden Rechts auf das eigene Hoheitsgebiet pauschal
       ermöglichen, ohne nationale Prüfung. Das aber wäre wohl nicht nur in
       Großbritannien verfassungswidrig. Oder es muss jedes Mal ein neues
       britisches Einzelgesetz beraten – so würden jedes Mal die Brexit-Debatten,
       die derzeit die britische Politik zerreißen, wieder neu aufgerollt werden.
       Keine Regierung könnte das lange überleben.
       
       Die Fallstricke des Brexit-Deals sind also noch viel zahlreicher als die
       aktuell ungünstigen Mehrheitsverhältnisse im Unterhaus. Das Verfahren ist
       jetzt schon kompliziert genug. Die derzeit für den 10. Dezember geplante
       Abstimmung im Unterhaus ist nämlich keine einfache Ja-Nein-Abstimmung, nach
       der das Brexit-Abkommen entweder gilt oder stirbt.
       
       ## Eine „bedeutungsvolle Abstimmung“
       
       Es findet – das haben ausgerechnet die Brexit-Gegner bei den Konservativen
       im Frühsommer durchgesetzt – eine „bedeutungsvolle Abstimmung“ (meaningful
       vote) statt, in der die Parlamentarier sich das weitere Vorgehen
       vorbehalten. Wenn sie das Abkommen durchfallen lassen, können sie die
       Regierung zwingen, einen Vorschlag über das weitere Vorgehen zur Abstimmung
       zu stellen – hier kommen Optionen wie ein neues Referendum, ein Antrag auf
       Verlängerung der Austrittsfrist bei der EU oder Neuverhandlungen ins Spiel.
       
       Alles kann sich monatelang hinziehen. Bei Neuverhandlungen mit Verschiebung
       des Brexit ist zu bedenken, dass im Mai 2019 das EU-Parlament neu gewählt
       wird und dann möglicherweise ganz andere Mehrheitsverhältnisse und eine
       neue EU-Kommission herrschen.
       
       So oder so: Dieser Deal hat keine Zukunft. Ohne Einigung auf etwas anderes
       aber tritt Großbritannien am 29. März automatisch aus der EU aus – ohne
       Abkommen, „no deal“. Hinter den Kulissen sollen bereits Gespräche mit
       Brüssel im Gange darüber sein, wie man sich über „no deal“ ganz pragmatisch
       verständigt. Hier, in Kooperation auf Augenhöhe, und nicht in hochmütigen
       Wolkenschlössern, liegt der Schlüssel dafür, wie die ganz große Krise
       abgewendet werden kann.
       
       25 Nov 2018
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Dominic Johnson
       
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