URI: 
       # taz.de -- BVB in der Champions League: Dortmunder Dekadenz
       
       > Die Qualität des BVB-Kaders treibt kuriose Blüten. Paco Alcácer ist mit
       > zwei Startelf-Einsätzen an der Spitze der Torjägerliste. Beginnt er gegen
       > Brügge?
       
   IMG Bild: Mit der Einwechslung von Paco Alcácer (Mitte) ist der Torerfolg fast garantiert
       
       Dortmund taz | Titel haben die Dortmunder in dieser Saison natürlich noch
       nicht gewonnen. Ein Fest, auf dem die eigene Herrlichkeit gefeiert wurde,
       veranstalteten sie am vorigen Montag trotzdem schon einmal. Auf der
       Aktionärsversammlung sang Geschäftsführer [1][Hans-Joachim Watzke]
       klangvolle Lobeshymnen auf den Trainer, die Aktionäre, die Fans, die neuen
       und die alten Mitarbeiter von allen Ebenen des Organigramms und auf die
       Nachwuchsteams, die fast alle an der Tabellenspitze stehen.
       
       Vor allem aber huldigte er zwei Tage vor der Champions League-Partie gegen
       den FC Brügge (Mittwoch 21 Uhr, live auf Sky), in welcher der BVB mit einem
       Sieg das Achtelfinale erreichen kann, den Fußballprofis auf der Ersatzbank.
       Jene Spieler, die kaum zum Einsatz kommen, seien „die wahren Helden“,
       dieser bislang so glanzvollen Saison, erklärte Watzke, „die machen uns
       momentan so stark, weil sie unser Niveau dramatisch heben, weil sie im
       Training versuchen, sich aufzudrängen, weil sie bei aller Enttäuschung
       weiter Gas geben“.
       
       Das war einerseits ein psychologischer Kniff, Watzke will mit solchen
       Schmeicheleien die gute Stimmung wahren. Die Spieler im Schatten der
       gefeierten Champions sollen keine schlechte Laune bekommen. Aber die Sache
       mit dem Kader und seiner Breite ist auch eine unbestreitbare Tatsache. Seit
       der FC Bayern 2012 begann, dem BVB systematisch die wichtigsten Spieler
       wegzukaufen, erst Mario Götze, dann Robert Lewandowski und Mats Hummels,
       dachten viele Experten ja, dass die individuelle Klasse der Münchner für
       alle anderen Bundesligisten auf Jahre unerreichbar bleiben würde. Zumal
       sich auch internationale Klubs gerne bei den Dortmundern bedienen.
       
       In diesem Herbst verfestigt sich der Eindruck, dass der BVB nicht nur wegen
       der guten Form und des funktionierenden Kollektivs so überlegen spielt;
       möglicherweise hat der Revierklub ligaweit schlicht den besten Kader
       zusammengestellt. Auch Watzke staunte in den zurückliegenden Wochen immer
       wieder, wenn er die Liste der Spieler betrachtete, die nicht in der
       Startelf auftauchten: „Dann muss man ganz ehrlich sagen: Da ist es uns
       gelungen, ein Niveau mittlerweile zu haben, das wir früher nie hatten, und
       das in der Bundesliga keine Konkurrenz mehr scheuen muss.“
       
       Tatsächlich treibt die enorme Qualität der Dortmunder Profis kuriose
       Blüten. Paco Alcácer zum Beispiel, der Mann von der Spitze der
       Bundesliga-Torjägerliste, stand erst zwei mal in der Startelf des Teams,
       hinzu kommen zwei Einsätze von Beginn weg [2][in der Champions League]. Das
       klingt fast nach Dekadenz. Natürlich spielt die Anfälligkeit des Spaniers
       für Muskelblessuren an dieser Stelle eine Rolle, aber in jedem anderen
       Verein würde ein einsatzfähiger Spieler dieser Qualität viel häufiger
       spielen. In Dortmund kommt er eben von der Bank und entscheidet Spiele in
       der Schlussphase. „Dass wir extrem viele Tore in der zweiten Halbzeit
       schießen, zeigt, dass wir einen breiten Kader haben“, sagt Kapitän Marco
       Reus, „das ist ein Plus in den englischen Wochen.“
       
       ## 30 Profis
       
       Auch andere Details verdeutlichen die bemerkenswerten Fähigkeiten dieses
       BVB-Teams: So muss Abdou Diallo, der im Sommer für 28 Millionen Euro von
       Mainz 05 verpflichtet wurde, sich derzeit oft mit einem Platz auf der Bank
       begnügen. Dabei ist der Franzose gut in Form, aber der Teenager Dan-Axel
       Zagadou ist einfach noch ein Stück besser. Für Julian Weigl, Shinji Kagawa,
       Marius Wolf oder Maximilian Philipp war in Mainz am vorigen Wochenende noch
       nicht einmal Platz im Kader, und Sebastian Rode sowie Jeremy Toljan, die
       einst als kommende Nationalspieler galten, spielen überhaupt keine Rolle
       mehr beim BVB.
       
       Insgesamt beschäftigen die Dortmunder 30 Profis. „Wir sind zu viele“, hat
       Trainer Lucien Favre schon früh in der Saison erklärt. Aber bislang zeigen
       sich keine negativen Folgen, was wohl auch ein Verdienst von Sebastian Kehl
       ist. „Es ist nicht so ganz einfach“, sagt der Leiter der
       Lizenzspielerabteilung, „wir machen uns natürlich Gedanken, was wir im
       Winter vielleicht nochmal verändern können.“ In vielen Gesprächen versucht
       er den Frust der Profis aus der zweiten und der dritten Reihe zu lindern,
       aber vielleicht ist der gar nicht so groß, wie man meinen mag. Denn der
       Dortmunder Alltag macht in diesem Herbst sicher auch denen Spaß, die nur im
       Training kicken dürfen und dafür vor den Aktionären gelobt werden. Es gibt
       zweifellos schlimmere Schicksale.
       
       28 Nov 2018
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Kolumne-Liebeserklaerung/!5482692
   DIR [2] /Borussia-Dortmund-in-der-CL/!5537689
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Daniel Theweleit
       
       ## TAGS
       
   DIR Fußball
   DIR Fußball-Bundesliga
   DIR Fußball-Bundesliga
   DIR Borussia Dortmund
   DIR 1. Bundesliga
   DIR BVB
   DIR Fußball
   DIR FC Bayern München
   DIR Champions League
   DIR Jadon Sancho
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Kolumne Pressschlag: Weg mit den Mittwochsspielen
       
       Champions-League-Spiele ab dem Jahr 2024 auch am Wochenende? Es wäre ein
       logischer Schritt in die neue Unübersichtlichkeit.
       
   DIR Vor dem Spitzenspiel BVB – Bayern: Rekordmeister übt sich in Demut
       
       Vor der Partie gegen den BVB erneuert der FC Bayern seine Treueschwüre für
       Niko Kovac. Kein Wunder: Ein anderer Trainer ist nicht in Sicht.
       
   DIR BVB in der Champions League: Lach- und Schießverein
       
       Mit 4:0 zerlegt Borussia Dortmund niemand geringeren als Atlético Madrid.
       Es ist der vorläufige Höhepunkt eines bemerkenswerten Spielrauschs.
       
   DIR Dortmunds Jungstar Jadon Sancho: Teenager mit Weltklassepotenzial
       
       Jadon Sancho, an dem der FC Bayern nie Interesse hatte, beweist in Dortmund
       sein Talent. Gegen Atlético Madrid betritt er die große Bühne.