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       # taz.de -- Berliner Musikerin Gudrun Gut: Vom Mut zur Freiheit
       
       > In den 70ern dockte Gudrun Gut an den Underground der Mauerstadt Berlin
       > an. Mit „Moment“ erscheint dieser Tage ihre aktuelles Album.
       
   IMG Bild: Steht für Vergangenheit und Gegenwart avantgardistischer Elektronik: Gudrun Gut
       
       Existierte Gudrun Gut, diese bemerkenswerte Berliner Musikerin und
       Labelmacherin, nicht: Das Heroines of Sound Festival, das von Donnerstag
       bis Samstag im Berliner Theater Hebbel am Ufer (HAU) stattfindet, müsste
       sie erfinden – so perfekt passt sie in die Programmatik, die „Werke der
       Pionierinnen elektronischer Musik“ feiern und dabei die „Verbindungen
       zwischen den frühen Heldinnen und den Komponistinnen aktueller
       zeitgenössischer Musik“ offenlegen will.
       
       Gudrun Gut steht für beides: die Vergangenheit und die Gegenwart
       avantgardistischer Elektronik. Mitte der 1970er zog sie aus der Lüneburger
       Heide nach Berlin und dockte an den Underground der Mauerstadt an. Mit vier
       Frauen gründete sie die Band Mania D., die Free-Jazz-Elemente mit New Wave
       zusammenbrachte. Mit ihrer Mitstreiterin Bettina Köster betrieb sie den
       szenerelevanten Laden Eisengrau in Schöneberg, in dem es Klamotten, aber
       auch Tapes und Magazine gab. Kurzzeitig war sie auch bei den Einstürzenden
       Neubauten dabei. 1981 gründete sie mit Köster die stilprägende Band
       Malaria. Deren Hit „Kaltes klares Wasser“ inspirierte das Münchener
       Performance-Kollektiv Chicks On Speed im Jahr 2000 zu einer treibenden
       Coverversion.
       
       In den neunziger Jahren gründete Gut die Labels Moabit Musik und Monika
       Enterprise, auf Letzterem veröffentlichten unter anderem Barbara
       Morgenstern und Masha Qrella. Sie machte Performance-Kunst und Hörspiele
       und rief den Ocean Club ins Leben, der unter anderem als Show bei Radio
       Eins über 15 Jahre immer wieder frische Klangwelten unter die Menschen
       brachte. Seit 2014 arbeite sie mit Hans-Joachim Irmler von der Gruppe FAUST
       – um ein paar Stationen der umtriebigen Kulturaktivistin zu benennen.
       
       ## Spontane Momentaufnahmen
       
       Dieser Tage erscheint mit „Moment“ ein schönes, kühl-elektronisches Album,
       auf dem sie eher spontane Momentaufnahmen zu einem unaufgeregten
       Gegenwartspanorama verdichtet. Die Songs tragen Titel wie „Startup Loch“,
       „Seltene Erde“ oder auch „Baby You can Drive My Car“ – der letztere Song
       thematisiert die Aufhebung des Frauenfahrverbots in Saudi-Arabien.
       
       Dort findet sie auch die Autorin, die ihr ein paar Fragen zum neuen Album
       stellen will – die Antworten kommen per Mail. Mit ihrer „Faszination mit
       Arabien“ – „wir haben so wenig Informationen, es erscheint uns sehr fremd“
       – habe der Aufenthalt nur indirekt zu tun. Die Einladung, zusammen mit der
       Technokünstlerin Pilocka Krach und der DJ Charlotte Spiegelfeld Konzerte
       und einen Workshop zu geben, kam vom Deutschen Konsulat in Dschidda,
       nachdem im Sommer saudische Künstler beim UM-Festival dabei waren. Beim
       alle zwei Jahre stattfindenden Festival ist sie als Mitbetreiberin des Guts
       Sternhagen ebenfalls involviert. In der Uckermark wohnt sie mit ihrem
       Lebensgefährten, dem Musiker Thomas Fehlmann, wenn sie nicht in Berlin ist.
       Ruhesuchende Urlauber oder Kreativarbeiter können sich dort einmieten.
       
       Während das seinerzeit neu entdeckte Leben auf dem Land ihr letztes
       Soloalbum „Wildlife“ (2012) etwas luftig-flirrender klingen ließ, knirscht
       und knarzt es diesmal stärker im Gebälk. „Die Musik“, so erklärt Gut, „ist
       aus Improvisation entstanden. Ich habe einige analoge Synthesizer
       verkoppelt und manipuliert. So entstanden manchmal tolle Sachen.“ Die
       wurden dann von ihr nachbearbeitet. Gemixt wurden die Experimente dann von
       Marco Haas, seines Zeichens ebenfalls Musiker (aka T.Raumschmiere) und
       Betreiber des Elektroniklabels Shitkatapult.
       
       ## Der Wille zum Fliegen
       
       Dissonanz spielen auch auf thematischer Ebene eine stärkere Rolle. Mit
       einem Cover von David Bowies „Boys Keep Swimming“ gelingt ihr 40 Jahre nach
       der Erstveröffentlichung des Songs ein verstörend aktueller Kommentar zu
       Gendergerechtigkeit. Und der Text zum erwähnten „Startup Loch“, dem
       treibenden, leicht dräuenden Eröffnungstrack des Albums, so erklärt sie,
       „hat mit der eigenen Gegenwart zu tun: die Probleme des Selbstständigen,
       die Existenzangst und der Mut, die Lust zur Freiheit. Der Wille zum Fliegen
       ist eingebettet in die Angst vor dem Absturz.“ Vor einigen Jahren postete
       sie auf Facebook die Summe, die ihr an Rente zustehen wird: um die 300 Euro
       – ein Problem, das nicht nur Musiker, sondern viele selbstständig
       arbeitende Kreativarbeiter betrifft.
       
       Doppelt schön also, dass Gudrun Gut über all die Jahre eher angstfrei ihr
       Ding gemacht hat. Bei „Heroines of Sound“, wo sie am Donnerstag auftritt,
       wird am gleichen Abend unter anderem der erste Teil einer Hommage an die
       Filmemacherin Mary Ellen Bute zu erleben sein. Die 1983 verstorbene New
       Yorkerin brachte in animierten Filmen Musik und Visuelles zusammen und gilt
       als Pionierin experimentellen Filmschaffens. Den zweiten Teil der
       Auseinandersetzung mit Bute folgt am Samstag – neben weiteren
       Programmpunkten, die neugierig machen.
       
       5 Dec 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Stephanie Grimm
       
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