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       # taz.de -- Ausbeutung von Migrant_innen: „Ein risikoloses Geschäft“
       
       > Arbeitsausbeutung, Zwang in der Psychiatrie und Rüstungsexporte:
       > Deutsches Institut für Menschenrechte legt Jahresbericht vor.
       
   IMG Bild: In der Reinigungsbranche ist Ausbeutung von Migrant_innen weit verbreitet
       
       Berlin taz | Eigentlich sollte Frau M. für ihren Job als Reinigungskraft
       zehn Euro die Stunde bekommen. Doch dazu kommt es nicht. Ihr Arbeitgeber
       verweigert ihr das volle Gehalt: Das bisschen, was er der Frau aus Kamerun
       bezahlt, wird ihr bar ausgehändigt. Ohne Quittung, auch einen
       Arbeitsvertrag hat sie nicht bekommen, und weder Finanzamt noch
       Krankenkasse wissen von ihrer Beschäftigung. Frau M. sucht Hilfe bei einer
       Beratungsstelle. Als diese den Arbeitgeber kontaktiert, lässt jener Frau M.
       ihren Arbeitsvertrag zukommen – zusammen mit der Kündigung.
       
       Frau M. will sich dann arbeitsrechtlich wehren. Aufgrund fehlender
       Deutsch-, Lese- und Schreibkenntnisse hat sie aber Schwierigkeiten, den
       Antrag auf Prozesskostenhilfe auszufüllen. Die vielen geforderten
       Informationen machen ihr Angst, manche kann sie nicht erbringen – etwa zum
       Einkommen ihres Ehemannes, zu dem sie keinen Kontakt hat. Am Ende
       kapituliert sie und zieht die Klage zurück.
       
       Frau M. ist eine von insgesamt 33 Arbeitsmigrant_innen, die das Deutsche
       Institut für Menschenrechte (DIMR) im Zusammenhang mit schwerer
       Arbeitsausbeutung befragt hat. Am Mittwoch stellte die Organisation in
       Berlin ihren [1][jährlichen Bericht zur Entwicklung der
       Menschenrechtssituation in Deutschland] für den Zeitraum Juli 2017 bis Juni
       2018 vor. „Ausbeutung ist aktuell ein risikoloses Geschäft“; so lautet das
       Fazit von Beate Rudolf, Direktorin des Instituts.
       
       Das DIMR ist die unabhängige Nationale Menschenrechtsinstitution
       Deutschlands und wird vom Bundestag finanziert. „Die Qualität des
       Menschenrechtsschutzes in einem Staat misst sich gerade daran, ob die
       Rechte der Schwächsten geachtet und geschützt werden“, heißt es in der
       Einleitung des Berichts.
       
       Das genaue Ausmaß von schwerer Arbeitsausbeutung sei nicht bekannt,
       bemängelte Rudolf, es gebe kaum verlässliche Zahlen. Der hohe Zulauf in den
       Beratungsstellen zeige aber, dass Handlungsbedarf bestehe. Besonders
       gefährdet seien Arbeitsmigrant_innen, etwa aus Osteuropa oder
       Nicht-EU-Ländern wie Pakistan, Syrien, Argentinien oder Peru. Besonders oft
       gebe es Probleme in den Branchen Bau, Reinigung, Pflege oder auch in der
       fleischverarbeitenden Industrie.
       
       „Viele Menschen erhalten weit weniger als den Mindestlohn, oder der Lohn
       wird ihnen ganz vorenthalten“, sagte Rudolf. Unbezahlte Überstunden seien
       ebenso an der Tagesordnung wie Drohungen und Gewalt. Faktisch sei es oft
       unmöglich, sich dagegen zu wehren; zu groß sei etwa die Abhängigkeit vom
       Arbeitgeber. Wegen fehlender Arbeitsverträge und Lohnabrechnungen sei die
       Ausbeutung zudem oft schwer zu beweisen.
       
       Ein „Teufelskreis“ sei das, sagte Rudolf: „Wegen ihrer prekären
       Lebenssituation sind die Menschen gezwungen, in ausbeuterischen
       Arbeitsverhältnissen zu bleiben.“ In der Konsequenz mahnte sie ein
       „Gesamtkonzept“ an, dessen Ziel es sei, Betroffenen die Durchsetzung von
       Lohnansprüchen zu erleichtern. Als Beispiele nannte Rudolf die Einführung
       eines Verbandsklagerechts und eine Ausweitung der Dokumentationspflicht für
       Arbeitgeber.
       
       ## Weitere Themen: Psychiatrie und Rüstungsexporte
       
       Der Bericht geht auch auf zwei weitere Themen ein: Zwang in der Psychiatrie
       und Rüstungsexporte. „Zwang in der Psychiatrie greift in schwerer Weise in
       grundlegende Menschenrechte ein: in das Recht auf Selbstbestimmung und das
       Recht auf Freiheit“, sagte Rudolf. Sie kritisierte, dass Menschen „gegen
       ihren Willen eingewiesen, gefesselt oder isoliert werden und ihnen
       zwangsweise Psychopharmaka verabreicht werden.“ Es brauche umgehend einen
       Systemwechsel. Rudolf forderte mit Blick auf ein Urteil des
       Bundesverfassungsgerichts aus dem Sommer, Bund und Länder müssten auf ein
       System der Psychiatrie hinarbeiten, das ohne Zwang arbeite, „um die
       Selbstbestimmung der Patienten zu wahren.“
       
       Das Institut hat außerdem die Genehmigungspraxis von Rüstungsexporten
       untersucht. Deutschland hat sich eigentlich einer
       menschenrechtsorientierten Außenpolitik verpflichtet. Die
       Menschenrechtssituation in Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen
       Emiraten sowie die Einhaltung des humanitären Völkerrechts hätten aber „bei
       den Genehmigungen von Rüstungsexporten offenbar keine Rolle gespielt“,
       sagte Rudolf.
       
       Sie begrüße, dass die Waffenlieferungen nach Saudi-Arabien im Zusammenhang
       mit dem Mord an dem Journalisten Jamal Khashoggi zur Zeit ausgesetzt seien,
       sagte Rudolf; das behebe aber nicht das Grundproblem der
       Menschenrechtsverletzungen innerhalb der Länder selbst sowie die
       Beteiligung am Krieg in Jemen.
       
       Das DIMR fordert ein Rüstungsexportgesetz, das völker- und
       menschenrechtliche Genehmigungskriterien verankert. Die Bundesregierung
       solle Entscheidungen über Genehmigungen gegenüber dem Bundestag begründen.
       
       5 Dec 2018
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.institut-fuer-menschenrechte.de/fileadmin/user_upload/Publikationen/Menschenrechtsbericht_2018/Menschenrechtsbericht_2018.pdf
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Dinah Riese
       
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