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       # taz.de -- Netflix und seine deutsche Konkurrenz: Fremde oder Freunde?
       
       > Seit Netflix auch in Deutschland sendet, stehen deutsche Programmanbieter
       > unter Druck. Mal kooperieren sie, mal reagieren sie gereizt.
       
   IMG Bild: „Eine Story ist umso universeller, je spezifischer sie ist“: Szene aus der Netflix-Serie „Dogs of Berlin“
       
       Er müsse jetzt einmal emotional werden, meint Ufa-Chef und Produzent Nico
       Hofmann. Es ist Ende Oktober in München, Hofmann sitzt in einer
       Podiumsdiskussion bei den Münchener Medientagen: „Ich finde das ganze
       Set-up etwas schwierig.“ Gerade hat Kelly Luegenbiehl, Vizepräsidentin für
       Internationale Originalproduktionen bei Netflix eine halbe Stunde lang im
       Einzelgespräch die Möglichkeit gehabt, die Philosophie des globalen
       Streaminganbieters zu beschreiben und die neuen deutschen Produktionen der
       Plattform ausgiebig zu präsentieren – „mit Showreel“, fügt Hofmann
       süffisant hinzu, also mit einer Videopräsentation.
       
       Nun sitzt er mit Verantwortlichen von ZDF, RTL und ProSiebenSat.1 gemeinsam
       auf der Bühne und soll „in der zweiten Front erklären, wie die normale Welt
       weitergeht“. Der Ufa-Geschäftsführer ärgert sich über die exklusive
       Sonderbehandlung des US-amerikanischen Streaminganbieters zum Auftakt der
       Tagesveranstaltung, mit der „bereits ein Präjudiz auf die Gesamtlandschaft“
       gegeben werde. „Ich werde nicht müde zu sagen, dass es eine
       Fehleinschätzung ist, dass wir hier alle von Netflix wach geküsst werden
       müssen“, sagt Hofmann.
       
       Beim Thema Netflix, so viel wird auch im Laufe dieser Gesprächsrunde
       deutlich, reagieren die Repräsentant*innen der deutschen Sender- und
       Produktionslandschaft mittlerweile häufig verschnupft oder lassen gleich
       ihre Muskeln spielen. Heike Hempel, stellvertretende Programmdirektorin und
       Leiterin der ZDF-Hauptredaktion Fernsehfilm/Serie II, lässt sich angesichts
       des Interesses an den deutschen Eigenproduktionen des Streaminganbieters –
       die unter „Netflix Originals“ firmieren – sogar zu einer geradezu
       Battle-Rap-artigen Ansage hinreißen, wenn sie trotzig klarstellt: „Im ZDF
       senden wir Originals seit 1963.“ Das stimmt, ist aber vielleicht auch das
       Problem der alten TV-Platzhirsche. „Wir beauftragen pro Jahr um die 150
       Fernsehfilme und ungefähr 300 Serienfolgen“, sagt Hempel mit Blick auf die
       kurz zuvor [1][angekündigten fünf deutschen Netflix-Serien].
       
       ## Gar nicht so groß, wie sie wirken
       
       Auch auf dem Anfang November in München stattfindenden Branchentreff
       „Seriencamp“ legte man in diesem Jahr einen Schwerpunkt auf den vom
       Streamingboom herbeigeführten Paradigmenwechsel. Klaus Holtmann,
       Bereichsleiter für die digitalen Spartenprogramme von RTL, hebt die
       Milliardensumme hervor, die sein Sender jährlich in Produktionen stecke:
       „In dieser Hinsicht ist Netflix klein.“ Zumindest gesteht er der neuen
       Streamingkonkurrenz „gutes Marketing“ und „interessanten Content“ zu.
       
       Dass sich seine Sendergruppe mit dem anvisierten Relaunch ihrer Mediathek
       namens TV Nowdem „kleinen“ Anbietern durchaus annähert, lässt er dabei
       lieber unerwähnt. Für die Neugestaltung der hauseigenen Digitalplattform
       will der Sender bereits exklusiv die eigentlich für den Pay-TV-Ableger RTL
       Crime produzierte Serie „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“ sowie die
       Reality-Show „Temptation Island“ bereitstellen.
       
       Seine Mitdiskutantin Nadine Bilke, Chefin des Digitalspartensenders
       ZDFneo, schließt sich an: Hinsichtlich der Zahlen sei Netflix „nicht so
       groß, wie sie wirken“. Wenn man den Wettbewerb beibehalte, könne man
       durchaus auch beim Kampf um die jungen Zielgruppen mithalten. Die
       Trennlinien zwischen den globalen Streaminganbietern und den deutschen
       Sendern sind allerdings nicht immer so eindeutig. Bilke spricht von
       „Frenemies“, einem Kofferwort aus dem englischen „Friend“ (Freund) und
       „Enemy“ (Feind).
       
       Mit der Serie „Parfum“ hat ihr Sender nämlich gerade auch [2][eine
       Koproduktion mit dem vermeintlichen Feind Netflix] präsentiert. Auf der
       anderen Seite hat das ZDF im Mai die Initiative „European Alliance“
       geschmiedet, innerhalb der es zusammen mit France Télévisions, und dem
       italienischen TV-Sender RAI zukünftig fiktionale Serien gemeinsam
       realisieren will. „Zusammen haben wir die Möglichkeit, trotz Sparbemühungen
       international vergleichbare Budgets für Hochglanzserien bereitzustellen“,
       freut sich ZDF-Intendant Thomas Bellut.
       
       ## Lokale Produktionen, universelle Geschichten
       
       Es sind nur zwei Beispiele von vielen neuen Allianzen, die als Reaktion auf
       den Eintritt von Netflix oder Amazon in den Markt geschlossen wurden, um
       auf die veränderten Wettbewerbsbedingungen eingehen zu können. Neben der
       ZDF-Netflix-Kooperation bei „Parfum“ hat auch RTL für „M – Eine Stadt sucht
       einen Mörder“ im österreichischen ORF einen Koproduktionspartner gefunden.
       Und die erste Eigenproduktion der Telekom für MagentaTV, die
       deutsch-französische Culture-Clash-Comedy „Deutsch-Les-Landes“, ist in
       Zusammenarbeit mit Amazon entstanden.
       
       Die „Frenemies“ von Netflix setzen bei ihren exklusiven Inhalten dagegen
       auf lokale Produktionen. „Es gibt eine lange Tradition, in der man versucht
       hat, eine Show um die Welt zu schicken, indem man eine amerikanische Figur
       eingebaut hat oder die englische Sprache zum Teil der Serie macht. Aber wir
       haben eigentlich herausgefunden, dass es das Gegenteil ist“, erklärt Kelly
       Luegenbiehl die Strategie ihres Unternehmens. „Wir haben gelernt, dass eine
       Story umso universeller ist, je spezifischer, lokal und authentisch sie
       ist.“
       
       Mit der ersten deutschen Netflix-Produktion „Dark“ sei dies 2017 bereits
       bewiesen worden. Die Serie sei im ersten Monat ihres Erscheinens in mehr
       als 130 Ländern in den Top 10 des Anbieters aufgetaucht. „Solange es
       großartige Storys zu erzählen gibt, werden wir unsere Investments hier
       fortsetzen“, so Luegenbiehl.
       
       Völlig frei wird Netflix bei solchen Entscheidungen in Europa zukünftig
       sowieso nicht mehr sein. Mit der überarbeiteten „Audiovisual Media Services
       Directive“ hat die EU gerade eine Richtlinie für Video-on-Demand-Dienste
       verabschiedet, bei der die internationalen Akteure einen Anteil von
       mindestens 30 Prozent an europäischen Inhalten in ihren Katalogen
       sicherstellen müssen. Dies dürfte Produzenten wie Nico Hofmann gelegen
       kommen. Bislang belaufe sich der Jahresumsatz der Ufa durch
       Streamingplattformen nämlich lediglich auf fünf oder sechs Prozent, hat er
       ausgerechnet. Die klassischen Auftraggeber machten noch immer den
       Löwenanteil aus.
       
       ## Die spielen modernen Fußball
       
       Natürlich verändert sich der TV-Markt durch digitale Vorreiter wie Netflix
       derzeit in Europa massiv. Nicola Lusuardi, Autor, Producer und Tutor des
       Torino SeriesLab, stellt das US-Unternehmen beim Münchner „Seriencamp“ in
       eine Reihe mit Google und Facebook. Dabei hebt er besonders die
       Geschwindigkeit hervor, mit denen dort gearbeitet werde: „Sie analysieren
       superschnell. Mir haben sie jedes Mal innerhalb von zehn Tagen beantwortet.
       Und wenn sie grünes Licht für ein Projekt geben, steht bereits der
       komplette Dreh- und Veröffentlichungsplan.“
       
       Das Tempo, das hier im Vergleich zu den klassischen Sendern vorgelegt
       werde, könne mit dem Unterschied zwischen dem modernen Fußball im Gegensatz
       zum Kicker-Stil der 70er Jahre beschrieben werden, so Lusuardi: „Aber sie
       sind deswegen nicht weniger präzise. Es ist einfach nur eine Frage des
       Trainings.“ Um mithalten zu können und beispielsweise eine konkurrenzfähige
       europäische Plattform auf die Beine zu stellen, bedürfe es allerdings der
       Hilfe und Unterstützung aus der Politik. Und hier seien die Prozesse
       wiederum viel zu behäbig und träge.
       
       Den Status als Innovationstreiber trage das Unternehmen seiner Meinung nach
       jedenfalls zu Recht: „Wir reden über Netflix nicht, weil wir die anderen
       Player nicht kennen, sondern weil sie uns gezeigt haben, was möglich ist.“
       
       7 Dec 2018
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Jens Mayer
       
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