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       # taz.de -- Deutsche Kolonialgeschichte: Lieber mühsam als radikal
       
       > Die baden-württembergische Landesregierung gibt die Bibel des
       > Nama-Oberhaupts und Widerstandskämpfers Hendrik Witbooi an Namibia
       > zurück.
       
   IMG Bild: Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann
       
       Hendrik Witbooi war ein frommer Mann. Mit der Bibel in der Hand hat er den
       Widerstand gegen die deutschen Kolonialherrscher organisiert. Seine
       Ausgabe, ein 1866 in Berlin gedrucktes Neues Testament in der Sprache der
       Nama, weist viele handschriftliche Notizen von Witbooi und seiner Familie
       auf. Für Deutschland ist das Buch zugleich eine unangenehme Erinnerung an
       ein immer wieder verdrängtes Kapitel deutscher Geschichte. Für Namibia ist
       sie das historische Dokument eines Nationalhelden, der 1905 im Aufstand
       gegen die deutschen Kolonialherren fiel.
       
       Die Bibel von Hendrik Witbooi, außerdem eine Rinderpeitsche aus seinem
       Besitz, sind seit dieser Woche ein letztes Mal im Stuttgarter Lindenmuseum
       zu sehen, bevor sie Ende Februar nach über 100 Jahren von Theresia Bauer
       (Grüne), Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kunst in
       Baden-Württemberg, nach Namibia zurückgegeben werden. Die Rückgabe könnte
       ein neues Kapitel in der Debatte zum Umgang mit Beutekunst eröffnen, die
       derzeit in ganz Europa stattfindet.
       
       Der Beschluss des Stuttgarter Landeskabinetts, einem Wunsch aus Namibia von
       2013 zu entsprechen, fällt mitten in die Restitutionsdebatte, die
       spätestens seit dem Bericht von Bénédicte Savoy und Felwine Sarr für den
       französischen Staatspräsidenten nicht mehr nur in Fachzirkeln geführt wird.
       Der radikale Vorschlag aus Frankreich, alle Beutekunst ohne weitere
       Diskussion an die Herkunftsländer zurückzugeben, hat in Deutschland für
       Kontroversen gesorgt.
       
       Die grün-schwarze Regierung in Stuttgart geht mit der Rückgabe der Stücke,
       die bei einem brutalen Überfall der Kolonialarmee auf die Nama-Siedlung
       Hornkranz 1893 erbeutet wurden und auf Umwegen nach Stuttgart kamen, einen
       anderen, einen differenzierteren Weg als die Franzosen. Petra Olschowski,
       Kulturstaatssekretärin in der Regierung Kretschmann lobt den französischen
       Debattenbeitrag zwar dafür, dass er in seiner Radikalität und Ungeduld
       Schwung in die Diskussion gebracht hat. Für Deutschland könne es aber nicht
       der richtige Ansatz sein, alles einfach „in Kisten zu packen und zurück in
       die Herkunftsländer zurückschicken, um dann nichts mehr damit zu tun zu
       haben“.
       
       ## Geschichte nicht bewältigen, sondern nutzen
       
       Stattdessen solle die Rückgabe der Bibel und der Peitsche von Hendrik
       Witbooi der Beginn eines Dialogs über die koloniale Geschichte Deutschlands
       und die kulturellen Verflechtungen beider Länder sein. Deshalb hat
       Baden-Württemberg zugleich ein 1,24 Millionen schweres Programm zur
       Provenienzforschung aufgesetzt, an dem neben dem Lindenmuseum neun
       Universitäten, Institute und Hochschulen des Landes beteiligt sind, aber
       auch Universitäten und Kulturträger in Namibia.
       
       Geplant sind gemeinsame Summerschools in Tübingen und Namibia, bei denen
       Studentinnen und Studenten gemeinsam zu den Objekten forschen. Kernstück
       ist eine Datenbank, auf der bis 2020 alle 5.000 Objekte öffentlich online
       zur Verfügung stehen sollen. Zur Sichtung des Bestands sind im Haus extra
       zwei Stellen geschaffen worden.
       
       Es ist ein mühsamer Weg, den Baden-Württemberg einschlägt. Einer, der
       Geschichte nicht bewältigen, sondern sie nutzen will, damit daraus etwas
       Neues, Gemeinsames entsteht. Petra Olschowski spricht bei dem Programm von
       einem Best-Practice-Beispiel, an dem Land und Bund lernen könnten, wie es
       zu einem „klugen Miteinander“ zwischen Herkunftsstaaten und den deutschen
       Kulturinstitutionen kommen könne.
       
       ## Viele Landessammlungen sind betroffen
       
       Die Diskussion dazu war auch innerhalb der grün-schwarzen Koalition in
       Stuttgart nicht einfach. Eigentlich wollte die zuständige Ministerin
       Theresia Bauer mit einer sogenannten Haushaltsermächtigung eine rechtliche
       Grundlage schaffen, mit der das Land künftig Beutekunst umstandslos
       zurückgeben kann. Sie wurde vom Koalitionspartner CDU gestoppt. Man solle
       auf eine Regelung im Bund warten, fand die Union. Doch die Diskussion kann
       noch auf sich warten lassen. Neben dem Humboldt Forum in Berlin sind vor
       allem Landessammlungen betroffen.
       
       Immerhin die neu geschaffene Kulturministerkonferenz, die im Januar 2019
       ihre Arbeit aufnimmt, ist aus Sicht von Baden-Württemberg der richtige Ort,
       um weiter an dem richtigen Umgang mit der Beutekunst, welcher Herkunft auch
       immer, zu arbeiten.
       
       16 Dec 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Benno Stieber
       
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